Das erste Geheimnis

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‚Guten Morgen schöne Welt' dachte Selina als sie erwachte, die Sonne kitzelte an ihrer Nase. Geschrei, Gepolter und ein kräftiger Fluch holten sie sofort auf den Boden der Tatsachen zurück. Ach, ja, guten Morgen Geschwister... Papa stolperte fast jeden Morgen über irgendetwas dass ihr kleiner Bruder liegen liess. Dann knallte es, Papa fluchte unaufhörlich bis Mutter ihn anschrie, er solle sich gefälligst zusammenreissen, die Kinder sollten solche Ausdrücke nicht hören. Seufzend schwingt Selina sich aus dem Bett, hüpft um die ‚verfluchten' Gegenstände im Korridor. „Selina?" ihre Mutter hörte alles. Manchmal hat Selina das Gefühl ihre Mutter sei eine halbe Katze. Sich anschleichen gehörte nämlich ebenso zu ihren Fähigkeiten wie das gute Gehör. Und wenn sie es nicht besser wüsste glaubte sie wenn ihre Eltern sich stritten ein Fauchen zu hören, oder ihre Mutter könnte Buchstäblich Krallen ausfahren. Das hingegen bestätigte ihr Vater hin und wieder schmunzelnd, dass das wirklich so sei.. Natürlich glaubte sie ihm nicht. Selina wollte auch gar nicht genauer wissen warum er das sagte. Sie setzte sich an den Frühstückstisch und als die Familie komplett war begannen sie zu essen. Das war schon immer so. ‚Tradition' pflegte ihre Mutter zu sagen. Noch während sie assen begann Selina vorsichtig zu fragen. Sie wollte zu ihrer Grossmutter, zu den Katzen in das grosse Haus am Ende der Stadt. „Selina, warum gehst du ständig dorthin? Das ist doch kein normaler Wunsch als 15-jährige immer bei der Oma zu sein?" Wütend stand Selina auf; "Ach ja? Weisst du, Mam, andere würden es begrüssen wenn sich die ach so ‚schlimme' Jugend sich mehr um ältere Menschen kümmern würde! Ausserdem, warum frag ich überhaupt..?" Bevor ihre Mutter etwas erwidern konnte war Selina aus dem Haus. Jetzt würde es erst so richtig losgehen zu Hause...

Oma Lisbeth war eine kleine, rundliche alte Dame die in einem riesigen Haus wohnte. Das Haus war gut gepflegt, einzelne Räume waren aber immer verschlossen, deshalb wusste Selina nicht wie es drinnen aussah. Ein grosser schöner Garten ging um das ganze Haus herum. Ihr Lieblingsplatz war unter der grossen Trauerweide, Oma hatte ihr dort sogar extra ein Stuhl und ein kleiner Tisch hingestellt. Oma Lisbeth und Selina verstanden sich sehr gut. Selina hatte nie das Gefühl Lisbeth sei eine alte Frau. Sie nannte sie auch nicht Oma, nur Lisbeth. Die vielen Katzen die Lisbeth hatte rannten auf Selina zu, „offenbar haben sie echt ein Narren an dir gefressen, Kleines!" Lisbeth stand in der Eingangstür und winkte ihre Enkelin herbei. Selina musste aufpassen nicht über eine der Katzen zu stolpern die wie eine Traube um sie herum waren. ‚Komisch', dachte Selina ‚so aufdringlich sind die sonst auch nicht...' „Komm, Liebes, ich muss dir etwas zeigen.." Neugierig folgte sie Lisbeth, die alte Dame war aufgeregt. Sie stiegen die Treppen hoch in den zweiten Stock. „Lisbeth, ich dachte hier darf ich nicht hin? Warum.. Was ist denn da oben?" Lisbeth lächelte sie an. Selina nahm ein Aufblitzen in den sonst so trüben Augen wahr. „Selina, du wirst morgen 16, richtig?" Das hatte sie völlig vergessen.. Morgen war ihr Geburtstag! Aber bei dem ganzen Trubel zu Hause, immerhin hatte sie vier Geschwister die allesamt jünger waren, gingen ‚Geburtstage' schon mal unter. Lisbeth öffnete eine Tür die quietschend aufsprang. Dahinter erstreckte sich ein Raum, eher ein Saal, gefüllt mit Büchern, Schriftrollen und Statuen, die alle eine Katzenform hatten. Staunend trat Selina ein. Wieder hatten sich alle Katzen um sie versammelt, es waren sicher 15 Katzen, unterschiedlichen Alters und keine gleich wie die Andere. Lisbeth schritt an ihr vorbei, direkt auf den einzigen Sessel zu der mitten im Raum stand. Davor war ein kleiner Tisch aus uraltem Holz, abgegriffen sah er aus aber stabil. Selina kriegte den Mund nicht mehr zu, sie war überwältigt von dem Anblick, tausende Bücher um sie herum. Schon immer hatte sie gern gelesen. Unten hatte Lisbeth eine Bibliothek in der sich Selina immer gerne bediente und mit einer Auswahl an Büchern unter der Weide im Garten las. Lisbeth setzte sich dann und wann zu ihr und die beiden plauderten bei Tee und Gebäck. Doch das war unglaublich! So viele Bücher, vorwiegend alte, angestaubte, hatte Selina noch nie gesehen. Lisbeth drehte sich um. In ihrer Hand hielt sie ein Buch, es musste mindestens tausend Seiten haben, und streckte es Selina hin. „Hier, ich denke das ist ein guter Anfang, ich habe damals mit demselben begonnen.." Bevor Selina sich gefasst hatte war Lisbeth schon verschwunden. Sie setzte sich in den Sessel und schlug das Buch auf. Vor ihr hatte sich ein Teil der Katzengruppe hingesetzt, die anderen waren mit Lisbeth nach unten gegangen. Sie senkte das Buch, und der Anblick der sich ihr bot war ebenso unglaublich wie auch leicht beängstigend. Noch nie hatte ihr eine Katze etwas getan. Den Halbkreis, den die Katzen nun bildeten, alle aufrecht sitzend, schauderte Selina jedoch.

Selina, Katzen und ÄgyptenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt