Die Reise

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Als die Feier zu Ende war, versuchte Selina nochmals mit Lisbeth zu sprechen. Doch die alte Dame wimmelte sie ab. „Liebes, ich bin sehr müde. Komm morgen früh vorbei und wir besprechen die Einzelheiten. Bring deinen Vater mit, er weiss warum.“ Selina stand vor verschlossener Tür. Sie konnte nicht begreifen wieso Lisbeth sie so abwies. „Selina, Schatz, kommst du? Dein Rad nehmen wir morgen mit.“ Ihr Vater stand ungeduldig am Auto. Ihre Mutter hatte den ganzen Nachmittag kein Wort mehr mit ihr gewechselt. Schweigend setzte sich Selina ins Auto. Zu Hause angekommen rannte Selina in ihr Zimmer und schmiss die Tür so heftig zu dass sie drohte aus den Angeln zu fliegen. Es war ihr egal. Sie drückte ihr Gesicht ins Kissen und weinte. Irgendetwas war. Und Lisbeth und Vater machten gemeinsame Sache. Sie wollte nicht weg. Und warum ausgerechnet Ägypten? Es klopfte. „Nein, lasst mich in Ruhe!“ schrie sie. Vergebens. Ihr Vater war bereits im Zimmer und setzte sich aufs Bett. „Selina, ich habe Lisbeth versprochen dir nichts zu sagen bis zu deinem 16. Geburtstag. Deine Mutter weiss nur Bruchstücke von dem was ich dir nun erzähle…“ Nachdem sich seine Tochter aufgesetzt hatte begann er zu erzählen. „Weisst du, Lisbeth ist eine unglaubliche Frau. Es kling verrückt aber sie lebt nun schon mehr als 150 Jahre. Deine Reise nach Ägypten war nur ein Vorwand, damit dich niemand sucht oder stört bei deiner Aufgabe.“ Selina wollte ihn unterbrechen aber er sprach unbeirrt weiter. „Lisbeth wird dir alles zeigen und dich unterrichten. Was genau das beinhaltet kann ich dir nicht sagen. Dieses Wissen fliesst nur zwischen Katzenfrauen.“ Dieses Wort liess sie aufhorchen. Katzenfrauen, der Titel des Buches. „Selina, du wirst bei Lisbeth bleiben. Du wirst das, was du sein musst. Es tut mir im Herzen weh dich gehen zu lassen, ich wusste dieser Moment würde kommen. Deine Mutter, sie weiss dass du gehen wirst und nicht zurückkehrst zu uns. Sie ist sehr traurig darüber, akzeptiert aber das Schicksal das dir zugeteilt wurde. Lass ihr bis morgen Zeit sich zu sammeln. Schlaf jetzt, meine Süsse. Ich hab dich lieb.“ Frederik liess seine Tochter nun allein. Sie würde eine Zeit lang damit beschäftig sein das alles zu verarbeiten. Er war traurig, hatte gehofft es würde ihnen mehr Zeit bleiben. Aber Selina zeigte schon als Kleinkind die Verbundenheit zu Katzen. Er hatte es damals schon gewusst.

Leise öffnete Selina ihre Zimmertür. Es war still. Niemand war wach. Sie schlich auf Zehenspitzen hinaus um zu Lisbeth zu laufen. Blieb ihr nichts anderes übrig, ihr Rad war noch dort. Als sie gerade an der Garage vorbei ging, hörte sie ein Geräusch. Ihr Vater stand mit den Autoschlüsseln in der Hand vor ihr. Sie zuckte im ersten Moment zusammen, entspannte sich aber sofort wieder. „Papa? Ich dachte ihr schläft alle noch..“ Frederik grinste. „Wie du weisst, bin ich nicht erst seit gestern Vater. Was denkst du denn? Ich lass dich bestimmt nicht alleine zu Lisbeth laufen nachdem was gestern war.“ Er machte eine einladende Geste während er die Autotür öffnete und Selina stieg dankbar ein. Während der Fahrt ertappte sie sich wie sie ihren Vater verstohlen musterte. Irgendetwas musste sie doch erkennen… Schmunzelnd sah Frederik seine Tochter an. „Was versuchst du herauszufinden?“ „Ich..weiss..nicht?“ stammelte Selina. „Ich dachte, ich sähe was, etwas das dich verraten könnte über dein Wissen. Aber ich sehe nichts..“ Frederik war erfreut über die Entwicklung seiner Tochter. Scheinbar hatte sie gewisse Fähigkeiten bereits angenommen. Ihre Neugier war unterdessen ins Unermässliche gestiegen. Lisbeth erwartete sie bereits. Selina sprang beinahe noch aus dem fahrenden Auto. Ihr war es unangenehm im Auto zu sein. Mitten im Schritt blieb sie stehen. Ihr war noch nie unwohl gewesen im Auto. Sie streifte den Gedanken ab und begrüsste Lisbeth herzlich. Frederik kam lachend hinterher. „Das war wohl die letzte Fahrt im Auto meiner Ältesten.. Hab nicht geglaubt dass es so schnell geht!“ Lisbeth kicherte amüsiert. „Mein Sohn, so wie du fährst ist das wohl kein Wunder. Kommt rein.“  

Selina’s Neugier war kaum zu stillen. Lisbeth unterbrach den Wasserfall von Fragen. „Selina, langsam. Ich werde dir nach und nach alles erklären und zeigen. Du wirst so viel Wissen aufnehmen müssen, du hast schneller deine Antworten als du glaubst.“ Selina resignierte, sie musste sich in Geduld üben wenn sie etwas erfahren wollte. „Frederik, du hast ihr gesagt was ich dir aufgetragen habe?“ Er nickte. „Nun gut, dann wird es Zeit euch zu verabschieden. Selina hat noch einiges vor heute..“ Frederik beugte sich zu Selina und küsste sie auf die Wange. „Du wirst noch Zeit haben dich von Mama und den Kleinen zu verabschieden, gegen Ende der Ferien kommen wir dich besuchen. Solange wirst du hier bleiben bei Lisbeth, ok?“ Selina konnte ihr Glück kaum fassen. Endlich musste sie sich nicht mehr um ihre Geschwister kümmern, diese Plagegeister waren ihr schon lange lästig.. Sie war aber auch betrübt ihre Eltern nicht mehr zu sehen. Ihre Mutter tat ihr leid, scheinbar fand sie sich mit der neuen Situation nicht so gut ab wie Vater. Sie küsste ihren Papa zurück und versprach artig zu sein und zu lernen was Lisbeth ihr auftragen würde. Als ihr Vater schliesslich ins Auto stieg bemerkte sie dass Tränen über sein Gesicht liefen. Selina wandte sich ab, Lisbeth schloss sie sofort in die Arme. „Lass es raus, Liebes. Du darfst traurig sein.“ Selina weinte nun bitterlich. Sie würde ihren Vater nie mehr sehen.

Selina, Katzen und ÄgyptenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt