Kapitel 13

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„Was?!", fragte Leo entgeistert.

„Lasst uns gehen!", brüllte da einer der Jungen und zog sein Messer.

„Leg das Messer weg, wenn dir dein Leben lieb ist, Bursche", sagte einer der Raubritter betont ruhig. Der Junge brüllte vor Wut und Verzweiflung, dann brach die Hölle los.

Blind vor Panik stürmten die Kinder los, die Raubritter zogen Waffen und ein Lärm erfüllte den Wald, wie Leo ihn noch nie gehört hatte. Das panische Schreien der Kinder, aber auch die Rufe der Raubritter, harte, kurze Befehle, aber auch Schreie, als eines der Kinder mit einem Stock zum Angriff überging. In all dem Chaos stand Sofia und hielt sich die Augen zu.

Einer der Raubritter packte sie von hinten und zwang sie auf die Knie. Sofia schrie wie am Spieß und warf sich hin und her, während der Mann versuchte, ihre Arme zusammenzubinden. Brutal kniete er über den kleinen Mädchen und drückte ihren Oberkörper so weit nach unten, dass ihre Wange auf den Boden gedrückt wurde. In diesem Moment dachte Leo nicht nach. Wutentbrannt sprang sie auf den Mann zu und schlug ihm mit ihrem Rucksack auf den Kopf. Eines der Apfelmusgläser hatte wohl getroffen, denn er sackte augenblicklich in sich zusammen. Mit tränenverschleierten Augen blickte Sofia auf, aber Leo drückte sie sofort wieder nach unten und ließ sich neben ihre kleine Schwester auf den Boden fallen. Um sie herum sprangen, stolperten und stürmten Menschen, aber niemand sah auf den Boden. Niemand sah die beiden Mädchen, die sich zwischen den Kämpfenden hindurchrobbten. Zumindest so lange nicht, bis einer der Raubritter rückwärts über sie stolperte.

„Hiergeblieben, ihr kleinen Bälger!" Im Nu war der Mann wieder auf den Beinen, aber da rannten Leo und Sofia bereits um ihr Leben. Jemand bekam Leo an Ärmel zu fassen, aber der Stoff riss beinahe widerstandslos. Leo drehte sich nicht um, zu konzentriert versuchte sie, all den in ihr Gesicht peitschenden Zweigen auszuweichen. Aber sie hörte, dass der Raubritter dicht hinter ihr war, hörte die anderen Kinder hinter sich schreien. Die Panik in ihren Stimmen verlieh Leo zusätzlichen Antrieb.


Trotzdem reichte es nicht. Alleine hätte Leo vielleicht entkommen können, aber das kam nicht infrage. Sie würde Sofia mitnehmen, und liefe sie noch so langsam. Immer wieder entwischte Leo fast die Hand ihrer kleinen Schwester, die glitschig vom Blut war, und als der Raubritter Sofia am Kragen zu fassen bekam, entglitt Leo die Hand vollends.

„Leo!", kreischte Sofia, die so wild zappelte und trat, dass der Raubritter vor Schmerz fluchte. Augenblicklich wirbelte Leo auf dem Absatz herum und schwang ihren Rucksack in Richtung des Mannes, aber er duckte sich weg und zog ein Messer. Da biss Sofia ihm so kräftig in die Hand, dass er die Waffe fallen ließ, und ehe Leo selbst begriff, was sie da tat, hielt sie das Messer bereits in der Hand.

Es bedurfte keiner Worte. Der Raubritter ließ Sofia los und die beiden Mädchen stolperten in den Wald davon. Doch kurz bevor sie außer Sichtweite waren, hörten sie noch einmal seine Stimme.

„Wir finden euch!"

Das Schlimme war, er hatte recht. Die Raubritter fanden einen immer. Wenn man Glück hatte, blieben einem noch ein, zwei Tage.

Erst als die Häuser um Leo herum mehr als nur Ruinen waren, begriff sie, dass sie nach Hause liefen. Und egal wie schlimm die Raubritter in ihrem Nacken sein mochten, ihrem Vater wollte Leo sich auf keinen Fall stellen. Wären sie bloß in den Wald geflohen, dann wären sie jetzt vielleicht in Sicherheit. Aber der Raubritter hatte sie in die Stadt zurück gejagt, und die verwinkelten Straßen, die Leo früher immer ein Gefühl von Sicherheit gegeben hatten, erschienen ihr nun wie eine Falle. Mit Sicherheit bewachten die Raubritter nun die Grenze zum Wald. Sie würden sichergehen wollen, dass Leo und Sofia nicht entkamen, trotzdem wollte Leo versuchen, noch heute Abend ein gutes Stück weiter südlich in den Wald zu gelangen. Wenn sie aus der Stadt entkommen konnten, dann jetzt. Morgen könnten sie bereits von Glück sprechen, wenn von ihnen noch mehr übrig war als ein paar abgeschnittene Finger und jede Menge Blut. Bei dem Gedanken daran, was mit den anderen Kindern wohl geschehen war, wurde Leo speiübel, und so schob sie den Gedanken wieder beiseite.

Die vergessenen StraßenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt