Kapitel 31

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Plötzlich fing der Sommermann an, diabolisch zu grinsen. Hastig räusperte er sich, verneigte sich etwas unelegant vor Leo und dem Prinzen und fügte bemüht ernst hinzu: "Man sieht sich. Oder auch nicht."

Und dann war er genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war. Verdattert starrten Leo und auch der Prinz Richtung Stadt, wo nur noch ein paar leicht schwingende Äste verrieten, dass der Sommermann dort langgelaufen war.

Ärgerlich wandte Leo den Blick ab. Der Kerl sollte bloß nicht wiederkommen.

"Dieser Mistkerl hat irgendwas vor", murmelte der Prinz leise.

"Was?" Leo sah sich nervös um, aber außer ihnen schien niemand mehr hier zu sein. Der Wald war still.

Doch der Prinz schüttelte nur den Kopf und atmete tief aus.


Obwohl sie endlich im Wald waren, fühlte Leo sich nicht wirklich sicher. Was, wenn die Raubritter ihr Versprechen brachen? Wenn sie nachts heimlich einen Überfall planten?

Sicherheitshalber lief Leo über große Umwege zu der verlassenen Hütte, in der sie diese Nacht schlafen wollte, und blieb immer wieder stehen, um zu lauschen, ob ihnen jemand folgte. Aber abgesehen von ein paar Tieren waren sie alleine im Wald.

„Das ist doch gar nicht mal so schlecht gelaufen", sagte der Prinz plötzlich.

„Was?" Erschrocken blieb Leo stehen, zog ihn enger zu sich heran und presste ihm das Messer wieder gegen den Hals. Aber immer noch hörte sie um sich herum nichts als ein paar Vögel und Mäuse.

„Hey, ganz ruhig." Der Prinz klang ein wenig belustigt, aber auch ärgerlich. „Du kannst das Messer jetzt wegnehmen."

„Bist du verrückt?", fuhr Leo in an. „Wieso sollte ich das tun?"

„Es ist niemand mehr da, dem du etwas vorspielen musst."

„Ich spiele hier nichts."

„Ich weiß." Nun klang der Prinz wirklich genervt. „Aber ich bin nur ins Hochhaus gekommen, um euch da rauszuholen."

„Mit einer Pistole in der Hand."

„Ich hatte Angst, dass da noch jemand ..."

„Sei still", unterbrach Leo ihn barsch.

„Ich bin immer noch auf eurer Seite!", brauste der Prinz auf.

„Sei still, hab ich gesagt!", brüllte Leo ihn an.


Sofia begann wieder zu weinen. Leo stöhnte und rieb sich die Schläfe. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie die Pistole nach ihrem Sturz vergessen hatte. Verdammt.

Immer noch schlug ihr Herz wie wild, vor Angst und vor Wut. Sie würde dem Prinzen nicht trauen. Sie war schon viel zu weit gekommen, um nun durch einen leichtsinnigen Fehler wieder alles zu verlieren.


Als sie die Hütte erreicht hatten, hatte Sofia endlich wieder aufgehört zu weinen, und der Prinz hatte auch kein weiteres Wort mehr gesagt. Leo hatte sich ihre ersten Momente in Freiheit irgendwie anders vorgestellt. Immer wieder fragte sie sich, ob sie dem Prinzen Unrecht tat, nur um sich dann wieder einzuschärfen, dass das keine Rolle spielte. Sie konnte kein Risiko eingehen.

Nicht weit von der Hütte entdeckte Leo ein paar Pilze, beschloss aber, erst später Essen zu sammeln. Zuerst musste sie den Prinzen irgendwie ruhigstellen.

Als Leo endlich die Hütte betrat, durchflutete sie ein Gefühl von Erleichterung. Sie hatten es geschafft. Noch langen nicht genügend Kilometer zwischen ihnen und der Stadt, als dass Leo sich vollkommen sicher fühlen würde, aber sie bezweifelte auch, dass die Raubritter ihr folgen würden. Sie schienen begriffen zu haben, wie ernst es Leo mit ihren Drohungen war.

Die vergessenen StraßenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt