02 | Blütendes Schicksal

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k a p i t e l z w e i

[ b l ü t e n d e s s c h i c k s a l ]

Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass Katran nicht ausgerastet war, als sie ihren Blick nicht senkte. Er hätte beinahe selbst seinen Stand verlassen, um sie aus dem Blickfeld des jungen Mannes zu zerren, doch Asya blickte stur zurück und ignorierte den finsteren Verkäufer geflissentlich.

Nach einer Weile wandte sich der Junge ab und sie konnte sogar aus der Ferne seine Stirn runzeln sehen. Asya hob fragend die Augenbrauen und hätte beinahe angefangen zu kichern.

Sie fühlte sich böse. Die Tatsache, dass er der erste war, der den Blickkontakt abbrach und nicht sie, gab ihr das Gefühl unabhängig zu sein. Frei.

„Ich werde jetzt gehen, Katran", zwitscherte sie vergnügt und zwinkerte ihm schelmisch zu. „Einen äußerst schrecklichen Tag noch."

Sie sah, wie er seinen Mund öffnete um eine ganze Linie an Schimpfwörtern aufzusagen, doch sie lachte nur, bevor sie sich auf den Fersen umdrehte und den ganzen Weg nach Hause zurück rannte.

Ihre Füße taten weh, die kleinen spitzen Schottersteine drangen in ihre dünnen Sandalen; ihre Haare standen widerspenstig vom Kopf ab, flatterten im Wind, weil sich ihr Knoten schon längst gelöst hatte. Sie war sich sicher, dass sie schrecklich aussehen musste, und sie konnte nicht anders als weiter zu rennen. Von dem Stand, dem Markt. Dem fremden Jungen.

Ihr dämmerte es langsam, was sie soeben gemacht hatte. Die Sitte schrieb vor, dass sämtliche Mädchen ihre Blicke zu senken hatten, wenn ein Junge ihres Alters sie ansah. Doch Asya hatte diese Regeln satt, sie hatte dieses Dorf satt.

Als sie das kleine Haus erreichte, glomm schwaches Licht im untersten Fenster und sie lehnte sich keuchend gegen die Hauswand. Die Luft brannte in ihrer Lunge, ihre Hände waren angeschwollen und ihre Füße von mehreren Bläschen übersät. Sie würde sie diesmal wieder mit Bandagen wickeln müssen, dachte sie sich bitter und schloss müde die Augen.

Wenn ich nur von hier wegkönnte, ging es ihr durch den Kopf. Sei es nur für einen Tag.

Die Haustür ging einen Spalt auf und ein Lichtstreifen fiel auf den dunklen Boden.

„Asya?"

Asya räusperte sich und antwortete: „Ja?"

„Was machst du da draußen?", zischte ihre Großmutter. „Komm rein, du bist zu spät."

„Ja." Asya flitzte zwischen den Spalt hindurch in das Haus hinein. Die Stube war warm, und obwohl es noch nicht so kalt draußen war, knisterte ein schwaches Feuer im Kamin.

„Warst du am Markt?", fragte sie und nahm ihr den Korb ab.

„Ja", antwortete Asya zögernd. „Aber Katran hat den Preis runtergeschraubt."

„Er hat was?", fuhr sie ihre Großmutter an und Asya tat so als würde sie zusammenfahren. Sie hatte keine Angst vor ihr. Nicht mehr.

„Ich habe gefeilscht", log sie und zuckte die Schultern. „Eine Menge sogar, aber er hat mir trotzdem nicht mehr geben wollen. Es tut mir leid."

Sie ließ den kleinen Beutel vor ihr auf den Tisch fallen lassen und duckte sich nicht, als ihre Großmutter ausholte und ihr eine Schelle verpasste. Ihr Gesicht fiel zur Seite, ihr Handabdruck brannte schmerzhaft auf ihrer Haut.

„Du nutzlose Göre", presste sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Geh auf dein Zimmer, ich will dich heute nicht mehr sehen."

Asyas Magen rebellierte und grummelte; sie hat seit der Früh nichts gegessen und auf eine warme Mahlzeit gehofft sobald sie zurückkehren würde, wusste aber, dass sie nichts zum Essen bekommen würde. Das gehörte zu ihrer Bestrafung dazu.

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