10 | Gebrochene Lichter

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k a p i t e l z e h n

[ g e b r o c h e n e l i c h t e r ]

Wie fühlte es sich an zu sterben? Wahllos zwischen den dünnen Faden zu wanken, das einem noch am Leben bindet? Wie fühlt es sich an, nicht fähig zu sein vorwärtszukommen, obwohl man seine Beine weiterhin nach vorne abmüht? Obwohl man unerschrocken dem Ziel entgegenschreitet, doch er sich weigert näher zu kommen?

Es fühlt sich an, als würde man in sich selbst zerfallen.

Das Blut in ihrem Kopf rauschte wie wild, als sie ihre Augen öffnete. Gleißend weißes Licht blendete sie. Asya wollte ihre Hand heben, damit sie das Licht etwas dimmte, doch ihr Arm fiel wieder schwach zur Seite.

„Bist du wach?", fragte eine muskulöse Stimme. „Kannst du mich hören?"

Asya ließ den Kopf zur Seite fallen und blinzelte der Helligkeit entgegen. Wo bin ich, ging es ihr durch den Kopf. Wo ist Samira?

„Ja", krächzte sie leise. Ihre Stimme klang raspelnd und ihre Kehle fühlte sich trocken an, wenn sie sprach kam es ihr so vor, als würden die heiseren Klänge an ihren Stimmbändern schaben.

Der junge Mann in weißem Kittel wechselte ein Wort neben der Person, die neben ihm stand. „Erhöht die Dosis um das Doppelte. Wenn sie aufwacht, stellt sicher, dass sie ihre Mahlzeit zu sich nimmt. Das war auch alles."

Asya wollte den Kopf heben, doch ihr gesamter Körper war lahmgelegt.

„Wenn sie nicht essen möchte, dann bringt sie eben dazu, Pinar!", hörte sie ihn jetzt sagen. „Du wirst dafür bezahlt."

„Ich werde in wenigen Stunden wiederkommen, um nach ihr zu sehen." In wenigen Augenblicken war er wieder verschwunden und die Tür ging sanft ins Schloss.

„Mistkerl", sagte die Krankenschwester. Asya sah benommen dabei zu, wie sie zu der Kommode ging und Wasser in einen Becher goss. Sie half ihr dabei sich aufzurichten, bevor sie das Glas vorsichtig an ihren Lippen setzte.

„Du musst etwas trinken", sagte sie sanft. Asya gehorchte.

Das Wasser rann ihr kühl durch die Kehle. Sie sah die Krankenschwester dankbar an. „Danke", flüsterte sie.

Einen Moment lang waren beide leise, bis Asya das Schweigen brach. „Wieso bin ich hier?", fragte sie. „Ich weiß, dass es ein Krankenhaus ist", fügte sie hinzu und errötete. Es ist anders, als das im Dorf, dachte sie sich und dachte an der kleinen Praxis von dem einzigen Arzt dort; einen um die Jahre gekommenen Mann, mit knubbeligen Knien und einem freundlichen Lächeln. Dort hatten sich jahrelang die Dorfbewohner in strömenden Mengen eingefunden, so dass der Warteraum ständig zum Bersten voll gewesen war.

Wenn ein Patient tagelang Pflege brauchte, so kümmerten sich bestimmte Frauen um sie, die sich mit Heilkräuter und der Anatomie auskannten.

Doch hier waren die Wände weiß, nicht pastellfarben. Es roch nicht nach den vertrauten Salben, Heilkräutern und Lavendelseife, sondern einfach nur – steril.

Hier war alles so anders. So verdammt anders.

„Du bist hier, weil du zusammengebrochen bist. Kannst du dich noch an etwas erinnern?", wollte die Krankenschwester nun wissen.

Jetzt wo sie es erwähnte, kehrte ihre Erinnerung wieder in Bruchstücke zurück. „Ja", sagte sie. „Ich erinnere mich jetzt."

Die Krankenschwester schien jetzt munterer geworden zu sein. „Alle haben sich wirklich große Sorgen um dich gemacht, Asya", sagte sie. „Davut hat dich eigenhändig hierhergetragen, ich habe ihn noch nie so wütend gesehen."

DavutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt