Galaxienbruch

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Eigentlich hatten sie sich mehr davon versprochen. Ihnen wurde mehr versprochen. Eine glorreiche Zukunft. Voller Leidenschaft hatten sie sich daran gemacht das Dasein einzunehmen, dass ihnen aufgetragen wurde. Sie hatten ihre Seelen dort zurück gelassen, wo es von ihnen verlangt wurde. Für eine Vision, eine Geschichte, eine Legende, einen Traum. Doch alles, was ihnen versprochen wurde, war nie eingetreten. Ausgebeutet, benutzt und gedemütigt hatte man sie. Sie und ihre Kindeskinder, die Welten, die Galaxien. Es war ein schöner Traum gewesen. Ein wunderbarer Traum. Er hatte sich warm und wohltuend um die Körper und Seelen gelegt und ihnen Kraft gegeben, als es keine Hoffnung mehr gab. Sie hatten auf etwas hingearbeitet, dass nie ihnen gehören würde. Sie hatten sich selbst aus dem Spiel genommen. Und es wurde ihnen mit jedem Tag bewusster. Nur langsam begannen sie sich aufzulehnen. Kleiner Gruppierungen, die sofort zerschlagen wurden. Die anderen hatten eine einfache Übermacht. Jeder Rückschlag schürte die Wut. Den Willen, sich nicht länger mit den Umständen zufrieden zu geben. Immer mehr von ihnen kamen mit neuen Ideen, mit Plänen, mit Aktionen, mit Demonstrationen. Je öfter sie erneut im Staub lagen, desto stärker war ihr Wille, sich zu erheben. Einige wurden gefangen genommen, viele starben, aber nicht der Wunsch. Er blieb, wuchs, wurde behütet, beschützt. Er konnte nicht zerstört werden und darum konnten auch sie nicht zerstört werden. Aus allen Welten der entdeckten Galaxien kamen sie zusammen. Um sich dem Diktator zu stellen, der ihnen eine glorreiche Zukunft versprochen hatte. Um der Welt eine neue Ordnung zu geben. Um eine Stimme zu haben. Sie trafen sich auf einem Planeten in der Galaxie Hickson Cluster 32. Auf dem Dead Man's Bone hatten sie ihr Lager errichtet. Zelte, Hütten, Barracken. In der Einöde um den Dead Man's Bone waren Sandstürme und eisige Winde zu erkennen. Nahrung war bereits zu knapp, als Lyhr mit der kleinen Drohne Delta XVI dort landete. Er hatte sie gestohlen, kurz nachdem er zugesehen hatte, wie sich seine Mutter zu Tode gearbeitet hatte. Für einen versprochenen Reichtum, der niemals ihnen gehören würde. Ein Reichtum, der einzig und alleine auf Algion B erblühte und nur jenen vorenthalten war, die seinen Vorfahren damals diese Zukunft versprochen hatten.

Die Hauptkabine hatte einen Sprung von der Landung, den Lyhr erst registrierte, als er die Umgebung sondiert hatte. Keine Patrouillen. Er verstand recht schnell wieso. Der Dad Man's Bone ragte wie ein unheilvolles Mahnmal aus der Ascheschicht des Planten vor ihm auf. Er hatte Geschichten über diesen Berg gehört. Auch über die Seelenfresser, die hier beheimatet sein sollen. Doch niemals hätte er es für möglich gehalten, dass der ehemalige Vulkan so riesig sein würde. Jeder Eindringling musste von seiner Spitze oder auch schon von der Hälfte des Anstiegs aus perfekt zu sehen sein. Erkennbar für die Wachen, die es hier geben musste. Der Junge schnitt mit einem Messer die Gurte durch, die ihn an den Sitz gepresst hatten, weil die Gurtschnalle sich nicht öffnen ließ. Dann kletterte er aus der kleinen Pilotenkabine und band sich sein Halstuch über Mund und Nase. Der Planet war von einer Ascheschicht bedeckt, die einst durch den Dead Man's Bone entstanden war. Eigentlich sehr nährstoffreicher Boden, doch auch giftig. Nichts mochte hier wachsen, so sehr es auch die Vereinigten Galaxien versucht hatten. Lyhr Blick wanderte über die Ebene. Es gab keine natürlichen Wasservorkommen auf dem Planeten, das wusste er aus den Sternkarten. Die Rebellion war einzig und alleine auf die Vorräte angewiesen, die sie raubten, plünderten oder von Verbündeten aus dem ganzen Universum zugeschickt bekamen. Auch der Junge hatte einige Vorräte dabei. Eine halbvolle Wasserflasche, die er sich nun gierig an die Lippen presste. Die normale Temperatur des Planeten war höher als es sein Körper für gut hielt. Darum überkam ihn plötzlich ein schrecklicher Durst. Während er trank, beobachtete er weiter die Ebene des Planeten. Es schien, als gäbe es nirgends eine Erhöhung oder ein anderes Gebirge. Nur den Dead Man's Bone. Aber in der Ferne bemerkte Lyhr bereits eine Staubwolke. Die Wachen kamen um ihn oder die Drohne zu inspizieren. Der Junge setzte sich auf einen Flügel des Gefährts und wartete.

Sie brachten ihn zu einer Treppe, die in den Berg eingelassen war. Verwundert sah der Junge hinauf, wie sich die Stufen in der Ferne verloren. "Da hinauf?", fragte er ungläubig und die Wachen nickten. Sie hatten ihn töten wollen. Doch als sie Lyhrs Anhänger gesehen hatten, den er an einem Lederband um den Hals trug und immer unter seinem Hemd versteckte, hatten sie ihn wortlos mitgenommen. Jetzt scheuchten sie ihn die Stufen hinauf, als ob sie hofften, dass er auf halben Wege einfach stolperte und fiel oder an Erschöpfung starb. Doch Lyhr hielt durch und kämpfte sich den Berg hinauf. Immer wieder fegte der Wind Wortfetzen zu ihm. Nur mit Mühe verstand er auch ab und zu ganze Sätze "We are the rulers of the stars. And each of your ships is a vengeful sword that can cut off the despoilers head." "Was bedeutet das?", fragte er und blickte zu einem der Wachen. Fremde Sprachen beherrschte Lyhr nicht. Lediglich der Sprachcomputer an seiner Hüfte half ihm, einige der zigtausenden Sprachen des Universums in seine Muttersprache zu übersetzen oder anders herum. Die Wache lauschte kurz, schüttelte denn den Kopf: "Geht dich noch nichts an. Bis du auf einem Schiff angeheuert hast." Damit setzten sie ihren Weg fort.

Lyhr sah den Mann, der die Rede hielt nur kurz. Die Wachen erlaubten ihm nicht sich auszuruhen oder der Masse auf dem kleinen Platz des Lagers anzuschließen und dem Mann zu lauschen, der auf einem kleinen Podest stand und in dieser seltsamen Sprache die Personen beflügeln sollte, die vor ihm standen und an seinen Lippen hingen. Erstmals bemerkte er unterschiedliche Rassen, die auf einem Fleck friedlich nebeneinander standen. Friede war schwierig geworden im Universum. Seit sie diese Legende der glorreichen Zukunft verbreitet hatten. Lyhr stolperte durch das Lager, bis er im Hauptzelt vor einem Tisch dazu aufgefordert wurde, zu warten. Also wartete er. Es dauerte lange, bis man ihn endlich zu Jaga brachte. Einer alten Frau mit schwarzen Haaren und stechenden Augen. "Du hast es also?", fragte sie bissig und trat auf ihn zu. Ehe Lyhr sich wehren konnte, hatte sie ihm den Anhänger vom Hals gerissen. Seine Haut brannte im Nacken, wo das Leder geplatzt war unter dem kräftigen Zug der Frau. "Du bist also Jaga?", fragte er ebenso bissig zurück und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Sie antwortete nicht. Drehte den Anhänger in ihren runzligen Händen in alle Richtungen und begutachtete ihn eindringlich, ehe sich ihre Augen wieder Lyhr zuwandten. "Jaga ist mein Name. Wie nennen sie dich, Erdling?" "Lyhr", er schob angriffslustig das Kinn vor, "Ihr braucht diesen Anhänger, aber der funktioniert nicht ohne mich." "Wissen wir", brummte sie und steckte Lyhrs Eigentum in ihre Rocktasche. Sie schöpfte etwas aus einem großen Topf und drückte Lyhr die Schüssel in die Hand. "Iss. Du wirst deine ganze Kraft brauchen."

Lyhr hatte zu dieser Zeit nicht verstanden, was Jaga damit meinte. Aber er verstand es einige Jahre später, als die Schiffe der Rebellion durch die Weiten des Alls zogen. Der Reaktor würde ihn töten. Nicht schnell, sondern langsam und qualvoll. Aber dadurch würde er die Chance haben, den nachfolgenden Generationen ein besseres Leben zu ermöglichen. Jedenfalls sollte das der Plan sein. Aber Lyhr hatte eine Alternative gefunden. Darum hatte er im größten Schlachtenlärm den Reaktor verlassen. Im Tumult um ihn herum auf dem Schiff fiel es nicht auf. Der Reaktor arbeitete mit Geisteskraft und Lebensenergie. Und Lyhr wusste, dass sein Körper diese Prozedur nicht überstehen würde. Aber seine Seele konnte es. Darum machte er sich auf die Suche nach dem einzigen Seelenfresser, den er kannte. Sie trafen sich im Maschinenraum, drei Gänge vom Reaktor entfernt. "Sie haben den Finalen Schuss schon geplant. Du musst in den Reaktor.", krächzte Lyhr's Verbündeter. "Ich weiß, aber du musst auf meinen Körper aufpassen. Es bleibt alles, wie geplant." Der Seelenfresser nickte, wünschte Lyhr viel Glück und dann starb er. Er starb so viele Tode, dass er das Zählen aufgab. Die Schmerzen machten ihn blind und taub und ließen ihn das Bewusstsein verlieren, dass er nicht hatte. Als er wieder erwachte, spürte er die Schwere seines Körpers. Das Dasein in einer lebendigen Hülle. Er war blind, aber er lebte. "Hat es geklappt?", fragte er in die Dunkelheit. Wartete angespannt auf eine Antwort. Doch alles blieb still.

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