Ich sah sie fallen.
Fast wie in Zeitlupe.
Die Vase viel einfach und ich konnte nichts ausrichten um den Fall zu verhindern oder die Vase daran zu hindern zu zerbrechen.
Ein Deja-vu, denn ich hatte schon viele Vasen fallen sehen. Immer, wenn sie auf dem Boden auftrafen, setzte der Schmerz ein. Es war jedes Mal das selbe Gefühl an Scherben zu ersticken, das von meinem Herzen Besitz ergriff.
Mal waren die Vasen älter, mal gerade erst fertig gestellt, mal noch mitten im Verzierungsprozess. Es waren schöne Vasen darunter, aber auch solche, die eine eigenartige Form hatten. Jede Vase war einzigartig, auf ihre eigene, ganz spezielle Weise. Jede Vase erzählte eine andere Geschichte. Sie waren nicht einfach nur Vasen. Gefertigt aus Liebe, Zuneigung, Respekt, Friedfertigkeit und Vertrauen bildeten sie das einmalige Gefäß für Erinnerungen, Erlebnisse, Abenteuer, Gefühle und Gespräche. Jedes Einzelstück wurde durch zwei Paar Hände gefertigt. Keine Vase glich sich, weder äußerlich noch innerlich. Aus manchen sprossen Blumen, andere beherbergten lebenspendendes Wasser, einige wurden mit Zauber aller Art gefüllt. Sie entwickelten sich, wanderten von Orten zu Orten. Nicht immer standen die Vasen nur bei mir, aber auch das leere Schränkchen sorgte für ein warmes Gefühl in der Brust. Es waren alles Gemeinschaftsprojekte. In jedes hatte ich ein Stück meines Herzens gelegt. Immer wieder glaubte ich daran, dass sie heil bleiben würden. Lange und noch länger. Doch immer wieder wurde mir gezeigt, wie zerbrechlich sie sind.Viele der Vasen zersprangen auf dem Boden, weil ich sie aus versehen hinunter geworfen hatte. Ein falscher Schritt, ein falscher Kommentar, eine falsche Entscheidung, eine falsche Meinung reichte aus um gegen den kleinen, wackeligen Tisch zu stoßen. Auch wenn es ein Missverständnis war, welches das Standbein beiseite fegte, so landete die Vase dennoch auf dem Boden. Die Scherben aufzusammeln war schwer und mühselig und ich muss zugeben, bei vielen Vasen machte ich mir nicht die Mühe sie wieder zusammen zu kleben. Wieso auch? Ich hatte doch die Möglichkeit mit einem anderen paar Hände eine viel wertvollere, viel schönere, viel einzigartigere Vase zu erschaffen. Vor allem wenn die Vasen noch jung waren, glaubte ich nicht, dass ich mir die Mühe geben musste. Einige Zeit, als es sich herausstellte, dass ich nur wenige oder eine minimale Anzahl an Vasen erhalten konnte, machte ich keine Neuen. Ich hegte die wenigen Vasen die ich hatte, bemühte mich, mich um die Tischchen herum zu schlängeln, jede Vase vor dem Fallen zu hindern oder den Boden zu polstern, damit sie nicht zerbrechen würden, wenn sie fallen. Aber dennoch fielen sie.
Und sie zerbrachen.
Und es schmerzte.
Und ich schnitt mich an den Scherben, die ich öfter alleine aufsammelte als ich zählen konnte.
Und dann machte ich mir die Mühe und klebte die Scherben wieder zusammen.Wer schon einmal an einem wirklich schweren Puzzle gesessen hat, der kann nachvollziehen, wie mühselig es sein kann, eine Vase wieder zusammen zu kleben. Wenn man dieses besonders schöne Stück auch mit Rissen behalten will. Wenn es einem als erstrebenswert vorkommt, jeden noch so kleinen Krümel wieder zusammen zu setzen. Es dauerte manchmal lange. Wochen, Monate, Jahre. Häufig auch nur wenige Tage. Manchmal war die Vase nicht völlig zerbrochen. Lediglich ein kleines Teil war heraus gebrochen, die Vase weitgehend intakt. Diese Vasen wurden zu meinen liebsten. Sie hielten mehr aus, als man ihnen auf den ersten Blick zutraute und sie waren so erschreckend selten, dass sie noch mehr Pflege und Schutz bedurften, als jene Vasen, die sofort auseinander brachen, wenn sie auch nur wackelten. Die kleinen Risse machten nichts aus. Sie schienen die Struktur der Vase sogar zu verstärken. Der Makel machte sie zu etwas unglaublich besonderem. Doch dann gab es auch die Vasen, die völlig in sich zusammen fielen, wenn sie auf dem Boden aufkamen. Die einfach zersprangen, wenn sie nur angetippt wurden. Diese Vasen bedeuteten die größte Anstrengung, die größte Arbeit, die nervenaufreibenden Puzzlespiele. Oft fragte ich mich, wieso ich an diesen Vasen festhielt. Wenn sie geflickt waren, waren sie nicht so schön wie die, denen nur ein kleiner Teil herausgesprungen war. Sie waren dann von einer schönen Hässlichkeit, die sich nicht beschreiben ließ. Aber im Gegensatz zu den Vasen, die etwas besonderes wurden, wenn sie geflickt wurden, sorgten die Risse in diesen Vasen dafür, dass der Inhalt stetig heraus tropfte. So sehr ich versuchte erneut Blumen sprießen zu lassen, Wasser hineinzufüllen, Erde oder Zauber, das alles sickerte immer wieder hinaus.
In meinem Gehirn setzten sich Fragen zu diesen Vasen fest. Was hat dazu geführt, dass es dazu gekommen ist? Wieso ist die Vase zerbrochen? Was ist im Entstehungsprozess schon schief gelaufen? Wieso flicke ich diese Vase überhaupt? Was muss ich vermeiden, um sie ganz zu lassen? Wie kann ich auch die letzten Löcher stopfen? Lohnt es sich überhaupt? Kann ich dieser Vase jemals wieder den selben Inhalt zumuten wie vor dem Zerfall?
Es stellte sich als extrem schwierig dar, die zerbrochenen Vasen ebenso schön zu finden wie jene, die lediglich einen Sprung aufwiesen. Es war schwierig, sie weiterhin zu füllen, uneingeschränkt. Sie als jene Vasen zu behandeln, die sie vor dem Fall gewesen waren. Zu oft hatte ich mich geschnitten, zu oft diesen reißenden Schmerz gespürt, wenn ich zusehen musste wie sie viel. Häufig war nicht einmal ich es gewesen, der die Vase von ihrem Standbein gefegt hatte. Es war schließlich ein Gemeinschaftsprojekt. Wenn einer die Vase fallen ließ, konnte der andere es kaum aufhalten. Ich hatte es nie aufhalten können. Die Vasen, die ich bewundere, sind alle von hässlicher Schönheit oder besonders. Sie alle weißen risse auf. Einige sind bereits undicht. Auch wenn mir der andere Erschaffer bei der Reparatur hilft, so ist die Vase nie wieder die selbe Vase wie vorher. Ich bemühe mich, sie mit den gleichen Augen zu sehen wie vor dem Schmerz. Aber es ist schwer und es ist nie wieder das selbe wie vorher. Manche Vasen haben mich jedoch überrascht, denn nachdem sie zerbrochen waren konnte ich aus ihren Scherben eine völlig neue Vase erstellen. Eine stärkere, eine schönere, eine bessere, eine wirklich besondere. Aber dennoch habe ich um alle Vasen angst. Denn sie können zerstört werden. Und fast immer ist der Partner dieses Gemeinschaftsprojektes dafür verantwortlich. Und fast immer hilft er mir die Scherben wieder zusammen zu kleben. Und dennoch hat die Vase danach risse. Und die Risse kann ich einfach nicht ignorieren.
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