Der Atlantik breitete sich vor der Flotte aus. Die Stille pochte in den Ohren. Niemand war im Stande etwas dagegen zu unternehmen. Es gab nur das Wasser, dass konstant gegen den metallenen Rumpf des Schiffes stieß. Das Plitsch Platsch zehrte an den Nerven. Die Dunkelheit wurde nicht einmal durch den Mond durchbrochen. Seine kaum zu erkennende Sichel schob sich immer wieder hinter dichte Wolkenschleier. Es war, als wollte selbst der Himmel sie verspotten. Sie alle bereits jetzt in Todesangst versetzen, noch bevor irgendetwas geschehen war. Mit grimmiger Miene beobachtete er den Kapitän des kleinen Kampfschiffes. Der stand alleine nachts auf der Brücke seines Schiffes und blickte hinauf zu den Sternen. Er war zur Wache eingeteilt worden, stand irgendwo an Deck des Schiffes hinter einem Maschinengewehr und wartete. Der eisige Wind stach wie Nadeln in seine Wangen. Der Schnaps hatte ihn eine Weile warm gehalten, doch jetzt war davon kaum noch etwas zu spüren. Der Blick seiner müden, rot unterlaufenen Augen wanderte wieder auf das Meer. Es war ein schwarzer Teppich, der jedes Licht verschluckte, dass auf ihn viel. Nicht einmal die Sterne spiegelten sich darin. Die absolute Finsternis erinnerte ihn bereits jetzt an den nahen Tod. Als hätte er seinen Mantel bereits wie eine unheilvolle Vorhersage über der Flotte ausgebreitet. Es war die perfekte Finsternis, um dem Tod zu begegnen. Er versuchte seine steifen Finger mit seinem Atem zu wärmen, während er die Gedanken an den Sensenmann abschüttelte. Er hatte schon viele dieser eisigen, finsteren Nächte erlebt. Viele waren an ihm vorüber gezogen, ohne dass etwas geschehen war. Andere dieser Nächste hatten mit Feuersbrünsten geendet, die mehrere seiner Kameraden in den eisigen Schlund des Atlantik gestürzt hatten. Die Finsternis bedeutete nichts, dennoch gab er ihr jedes mal erneut eine symbolische Bedeutung. Seine Beine kribbelten von der ewig gleichen Position, seine Finger und Zehen waren taub vor Kälte, selbst seine Lippen spürte er kaum noch. Salz in der Luft machte sie spröde und wenn er nicht das Salz schmeckte, so schmeckte er sein Blut. Der Drang die Lippen mit der Zunge zu befeuchten war übermenschlich. Er widerstand ihm kaum. Wieder blickte er zu seinem Vorgesetzten. Er fragte sich, wieso diese Männer nie nach Feinden ausschau hielten, sondern immer den Blick in den Himmel richteten. Eine Antwort hatte er noch nie gefunden. Eigentlich war er auch viel verwunderter, den Mann auf der Brücke zu dieser Uhrzeit zu sehen. Jetzt, wo bis auf die nötigsten Soldaten alle schliefen. Er musste gähnen, als er an die Wachablösung dachte, die sich verspätete. Durch die Bewegung seines Mundes rissen seine Lippen noch weiter auf. Wieder sammelte sich der kupferne Geschmack auf seiner Zunge. Angewidert spuckte er aus. Das monotone Geräusch der Wellen wurde mit einem grausamen Moment durchbrochen. Beinahe Lautlos, aber er hatte geschulte Ohren. Die Jahre auf den Kriegsschiffen hatten ihn gelehrt, jedes Geräusch wahr zu nehmen, dass nicht zu den Wellen gehörte. Er spitzte die Ohren, wartete angespannt, hielt die Luft an, um die Töne nicht zu verfälschen. Sehen konnte er in der Schwärze vor ihm nichts, aber er hörte sie. Die anderen. Die Feinde. Soldaten auf Schiffen wie seinem. Metallene Monster, die sich durchs Gewässer fraßen, nicht wissend, was auf sie lauerte. Die unrhythmischen Klänge des Wassers kamen näher, unverkennbar. Mit einem Mal schoss Adrenalin durch seinen Körper. Er versuchte, wieder besseren Wissens, etwas zu erkennen. Versuchte mental den schwarzen Vorhang zur Seite zu schieben, den alles auf dem Meer umgab. Seine Augen brannten, aber er erkannte noch immer nichts. Auch sein Gehör ließ ihn kurzzeitig wieder im Stich. Waren sie rechts? Waren sie links? Oder waren sie doch direkt vor ihnen? Wie viele? Welches Kriegsgerät? Oder hatte er sich getäuscht? Seine Gedanken rotierten, versuchten in wenigen Sekunden zu der Entscheidung zu gelangen, die er tätigen musste. Sollte er Alarm schlagen, dabei sein eigenes Schiff verraten, den Schutz der Dunkelheit aufgeben? Oder sollte er warten bis er sich sicher sein konnte?
Das Pfeifen, das seine Gedanken durchschnitt, ließ ihn zusammen zucken. Die Druckwelle der Explosion riss ihm beinahe die Füße weg. Wasser spritzte auf, eine Fontäne ergoss sich über die Reeling. Er schmeckte salziges Wasser, spürte es wie aggressive Säure in seinem Gesicht. Einige Minuten verharrte er. War zu Säule erstarrt. Wie ein erschrecktes Tier im Scheinwerferlicht war er nicht im Stande sich zu bewegen. Erst als erneut ein hoher Pfeifton sein Trommelfell zerschnitt hastete er los. "ALARM!", brach sich aus seiner Kehle bahn, während er die Glocke läutete. Das Schiff wurde herumgeschleudert durch die Bomben, die um sie herum im Wasser einschlugen. Noch ehe er das Wort zu Ende geschrien hatte, hörte er bereits die Schritte der schweren Stiefel auf der Leiter, die zu der Tür führte, aus der nun Soldaten hervorquollen, wie Würmer aus einer eiternden Wunde. Er erblickte viele junge Gesichter. Menschen, denen sie alle nur noch Nummern gaben. Drei Kämpfe mussten die Milchbuben überstehen, ehe man sich die Mühe machte, sich ihre Namen zu merken. Sie trugen die Helme falsch auf dem Kopf, hatten vergessen ihre Schuhe zu schnüren. Einige waren Barfuß auf das Deck gestürmt. Ihre Blicke waren zerstreut, von Angst und Panik durchsetzt. Einer seiner Kameraden stellte einen jungen Burschen ab, der heute vielleicht seine dritte Schlacht schlug. Er übernahm die Arbeit an der Glocke, während die Männer sich an die Geschütze stellten. Noch immer war auf der rauen See nichts zu erkennen. Das Meer lag da, wie ein schwarzer Fleck. Eine riesige Ebene aus Pestilenz. Obwohl die Männer laut waren, war von dem Feind nichts zu sehen. "Browning, siehst du was?", fragte einer seiner Vorgesetzten. Er lauschte, spähte, aber so sehr er sich anstrengte, er konnte nichts erkennen. Langsam schüttelte er den Kopf. Als die Männer vollständig an ihren Geschützen standen, kehrte erneut Ruhe ein. Die angespannte Stille wurde nunmehr abermals nur vom Plitsch und Platsch der Wellen unterbrochen. Jeder versuchte zu erkennen, woher der Angriff gekommen war. Jeder suchte nach dem Schiff oder den Schiffen. Jeder zitterte vor Angst, dass er diese Nacht nicht überleben würde.
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Short Stories
Cerita PendekEine Kurzgeschichte Copyright © 2015 by Nephthis. All Rights Reserved.