Die Racheliste

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Die Hufe des Pferdes auf dem ich saß klapperten unnatürlich laut auf dem Asphalt. Es hatte einen asynchronen Klang mit dem anderen Pferd, das Robin auf dem Rücken trug, der jetzt, wo ich zu ihm nach hinten sah, grinste. Auf seinem Rücken hing ein Gewehr, dass er von wer weiß wo her hatte und ein Rucksack mit unseren wenigen Habseligkeiten und dem Proviant. Proviant der Army, wie er früher immer betont hatte. Ich erinnerte mich daran, da hatten wir uns drei Tage von dem Essen ernährt als wir mit der seltsamen Clique zelten waren. „Augen nach vorne, mein Engel.“, rief Robin über das Geklapper der Pferde hinweg und seine Stimme schallte auf den Straßen der Stadt wieder, die menschenleer vor uns lag. Wobei Stadt wirklich übertrieben war. Es war ein Dorf, ein Kaff mit Feldern drum herum. Aber anstatt dass es frei roch, nach Wildnis und Feldern, nach Ackerbau und Vieh, roch es nach Verwesung und Krankheit. Auf den Feldern, auf denen früher einmal Schafe gegrast hatten erkannte ich verendete Tiere, die Felder wurden beherrscht von Fuchs und Reh, die darüber jagten und in einem nahen Stück Wald verschwanden.

Ich warf ihm noch eine Kusshand zu, ehe ich den Blick wieder nach vorne richtete und den Rehen bei der Flucht zusah. Ich kannte diese Straße, auf die wir zusteuerten. Ich kannte dieses Waldstück, durch das ich einmal gegangen war. Vor ewigen Zeiten.

Robin hatte erstaunlich schnell reiten gelernt, nachdem die Welt den Bach runter gegangen war. Er hatte alles getan, um uns am Leben zu halten und sich von mir beibringen lassen, wie ein Pferd zu führen war. Ganz anders als alle vermutet hatten war die Welt wie wir sie kannten, in der wir aufgewachsen waren, für immer verschwunden. Es waren keine Außerirdischen, keine Aliens, die uns aufgesucht hatten. Keine Lebewesen von einem anderen Stern, nach denen die Menschen gesucht und gefahndet hatten. Keine grünen Männchen, die in den vielen Filmen im Kino und Fernsehen als Mörder der Menschheit angepriesen worden waren. Es war auch nicht Mutter Natur gewesen, die als Rachegöttin über ihre Schöpfungen hergefallen war und die Erde verschlang, verbrannte oder vereiste. Kein Vulkan war ausgebrochen um die Menschheit zu dezimieren, keine Seuche ins Land gezogen von mutierten Keimen, die Mutter Natur erschaffen hatte um den grausamsten Teil aller Lebewesen die auf ihr wandelten zu strafen dafür, dass sie sie zerstört, ausgebeutet und vernichtet hatten. Keine Lava hatte sich über uns ergossen und es gab kein jüngstes Gericht, das uns erschienen war um uns unsere Fehler aufzuzeigen. Es war auch kein Monster aus irgendwelchen Sagen dabei gewesen Menschen zu verschlingen oder Fahrzeuge zu zerstören, kein Urzeittier wie Godzilla aus dem Meer gestiegen und die Städte zerstört. Es waren wir gewesen. Wir, die Menschen, hatten dafür gesorgt, dass die Menschheit zerstört wurde. Aufstände, Hungersnöte, Seuchen aus Laboren, Kriege und Demonstrationen. All das hatte dafür gesorgt, dass Regierungen gestürzt und durch Anarchie ersetzt wurde. Armut hatte um sich gegriffen, die skrupellosen Menschen hatten die Macht ergriffen, Plünderung, Mord und Gesetzlosigkeit hatten um sich gegriffen. Der Mensch hatte den Menschen gefressen um zu überleben und jetzt waren nur noch wenige übrig.

Am ersten Abend nach dem Teilzusammenbruch der Welt hatte ich mich zu Robin durchgeschlagen. Den Menschen wurde niemand so wichtig wie er selbst. Wir verschanzten uns bis der Strom ausfiel, aßen, bis der Kühlschrank und der Supermarkt geplündert war, tranken und duschten, bis das Wasser abgestellt wurde. Wir überlebten. Das war das erklärte Ziel. Wir ließen niemanden wissen, dass wir lebten, ließen alle anderen außen vor. Wir beschützten uns gegenseitig und suchten, nachdem es einigermaßen sicher auf den Straßen geworden war, nach unseren Freunden. Wir fanden nicht mehr viele. Wir suchten sie eine Weile, bis auch das zu einer einzigen Tortur wurde. Schließlich hatte ich vorgeschlagen, dass wir ein paar Pferde suchten. Es gab keine Bahn mehr, keine Fahrzeuge die man zum Laufen bringen konnte. Pferde waren eine sinnvolle Idee und so klauten wir uns welche, wobei klauen das falsche Wort war, denn die Tiere gehörten niemandem mehr. Wir retteten sie eher und dieser Gedanke gefiel mir. Gras gab es im Überfluss, Unterstände fanden sich immer wieder und im Winter bekamen die Tiere ein dichtes Winterfell. Das Leder der Sättel und Trensen war leicht zu pflegen und wenn es dennoch kaputt ging war es leicht zu ersetzten und zur Not ritten wir ohne Sattel. Auch wenn Robin das wenig gefiel.

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