...die Spuren von Liebe die wir hinterlassen

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„Lilian!“, rief eine mir wohlbekannte Stimme, als ich an diesem wunderbar milden Frühlingstag in der Shoppingmeile unserer Kleinstadt herumschlenderte. Ich hatte vor mich für diesen Sommer neu ein zu kleiden. Ich hatte erst vor zwei Tagen bemerkt, dass mir sämtliche Klamotten einfach zu klein waren. Anscheinend hatte ich im Winter noch einen kleinen Wachstumsschub bekommen. Jetzt war ich zwar auch nicht wirklich groß, aber mit meinen 1, 65 ganz zufrieden.
Ich drehte mich mit dem Eis in der Hand zu dem Rufer um und grinste. Pablo hastete auf mich zu. In einer Hand hielt er sein Skateboard. Ein Ding, von dem ich bisher immer herunter gefallen war, egal wie oft mir Pablo auch beibringen wollte, darauf zu fahren. Pablo war Argentinier. Er hatte jetzt schon diese nussbraune Haut, obwohl die Frühlingssonne noch richtig schwach war. Seine braunschwarzen Locken wucherten unter seiner Basecap hervor und fielen ihm leicht in die Stirn. Wie immer, wenn die Sonne seine Augen erreichte, leuchteten sie bernsteinfarben, wie kleine Sonnen. Seine ebenmäßigen, männlichen Züge begannen, mir den Atem zu rauben. Wann hatte Pablo angefangen, so erwachsen und männlich auszusehen? Es raubte mir seit geraumer Zeit den Atem, ihm zu begegnen und mein Herz flatterte wie ein junger Kolibri.
Pablo brachte sein Board neben mir zum Stehen. Er war zwei Köpfe größer als ich, hochgewachsen und schlaksig. „Hey Lil.“, grinste er und es bildeten sich diese niedlichen Grübchen um seine Mundwinkel. Ich starrte auf seine Lippen als würde er mich hypnotisieren und fragte mich plötzlich, ob sie wirklich so weich waren, wie sie aussahen. Schnell schüttelte ich den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Pablo war mein Freund. Mein bester Freund. Ich durfte so etwas nicht denken. „Hey Pablo.“, antwortete ich und lächelte. Sicher sah ich aus, als würde ich Drogen nehmen.
Ja, Pablo war mein bester Freund, aber ich wünschte, er wäre mehr als das. Mein Herz wünschte es sich und mein Verstand konnte sich nicht länger gegen die Gefühle wehren. Ich war in ihn verliebt.

Ich war in Pablo verliebt.
Ich war in meinen besten Freund verliebt.

„Du shoppst schon wieder?“, fragte er neckend und stieß leicht eine der Tüten an, die ich in den Händen hielt. Ein knisterndes Geräusch von Plastik ging von ihnen aus und ich nickte leicht. „Meine Kleider sind mir zu klein geworden. Ich bin wohl nochmal gewachsen.“, sagte ich und spürte im nächsten Moment, wie er mir durchs Haar wuschelte. „Hey!“, empörte ich mich lautstark und wollte ihn abwehren, wobei mir das Eis aus der Hand fiel und mit einem dumpfen, schmatzenden Geräusch auf dem Pflasterstein aufschlug. „Du bleibst eben immer meine Kleine.“, grinste Pablo und dann schauten wir gleichzeitig auf das Eis, dass zwischen den Pflastersteinen hindruchfloss, als wäre es ein Bach aus Milch. „Och man.“, schmollte ich und stieß ihn leicht in die Seite, „Mein schönes Eis.“ Pablo ließ schuldbewusst die Schultern hängen, nahm sein Board und den Arm und legte den anderen um mich: „Komm Lil. Entschuldige. Dafür trag ich dir auch die Taschen nach Hause.“ Ich wusste, dass er das sonst nie tat. Er hasste shoppen und war auch so nie wirklich bereit gewesen, mir dabei gesellschaft zu leisten. Ich wusste einfach alles von Pablo, was mein Herz dazu brachte uns als perfektes Paar zu sehen. „Okay.“, antwortete ich leise, gab ihm zwei der Taschen und ignorierte meine Gänsehaut. Er hielt mich im Arm. Ein warmer Schauer durchlief meinen Körper. An sich war das nichts besonderes, aber meine Gefühle machten es plötzlich zu etwas anderem. Es was wundervollem. Etwas, dass ich immer haben wollte. Auf diese Weise. Der Frühling war einfach herrlich.

Ich lernte Pablo in der zweiten Klasse kennen. Da meine Eltern gebürtige Amerikaner waren, war ich in der Schule oft eine Ausenseiterin. Ich sprach nicht so gut deutsch, konnte dafür aber perfekt Englisch. Als Pablo in unsere Klasse kam, setzte ihn das Schicksal auf den freien Platz neben mir. Er begann spanisch zu sprechen und ich verstand kein Wort. Dann ließ er betroffen die Schultern hängen. Ich überlegte eine Weile, ehe ich ein Papier zur Hand nahm und darauf malte, dass ich aus Amerika war. Ich gab es ihm und er verstand sofort, was ich wissen wollte. Er zeichnete sein Heimatland darunter und plötzlich war es, als wäre ich nicht mehr alleine.
Wir mussten fortan zusammen zum Förderunterricht, damit wir die deutsche Sprache lernten. Mit Pablo zusammen, war es gar nicht mehr so schlimm, anders als die anderen zu sein. Wir klebten in der Grundschule zusammen, wie Pech und Schwefel. Wir machten alles zusammen: lachten, stritten, klauten anderen Kindern das Spielzeug, spielten und redeten.
Nach der Grundschule trennten sich unsere Wege ein wenig. Während Pablo auf die Realschule in unserer Kleinstadt ging, wurde ich auf das Gymnasium daneben geschickt. Ich hatte fürchterliche Angst vor dem ersten Schultag und wollte gar nicht hin gehen. Ich kannte nur die Freundschaft zu Pablo und in meiner neuen Klasse kannte ich niemanden mehr. Pablo sprach mir Mut zu, er bestärkte mich, dass die anderen Kinder mich schon mögen würden. Er hatte recht. Nach einigen Wochen hatte ich es geschafft in meiner Klasse einen bescheidenen Freundeskreis auf zu bauen. Obwohl Gymnasiasten und Realschüler sich eigentlich hassten und Pablo und ich diesen Hass oder diese Feindschaft mitbekamen, sorgte das nicht dafür, dass wir uns auseinanderlebten. Wir schafften es, beste Freunde zu bleiben und uns dennoch in völlig unterschiedliche Richtungen zu entwickeln.

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