Bei den Rebellen

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"Was soll das bitte?", fragte Simon von Pohlheim und deutete auf Kyla, die wie ein nasser Sack an Eriks Rücken hing. "Haben wir nicht schon genug Mäuler zu stopfen?" Simon sah seinen Freund vorwurfsvoll an. Dennoch half er Erik mit Kyla vom Pferd. Als er Kyla misshandeltes Gesicht sah, blickte er Erik entsetzt an. Dieser nickte nur. "Diese verfluchten Hurensöhne!", fluchte Simon. Vorsichtig nahm er Kyla Erik ab und trug sie den Hügel hinauf. Auf dem Hügel standen die Ruinen einer einst stolzen Burg, deren Mauern nun dem Verfall preisgegeben waren. Auf halber Höhe, von Bäumen und Buschwerk verdeckt, öffnete sich eine Art Zugang in den Berg. Durch eine schmale Höhle betraten sie eine große Halle teils aus blankem Fels teils aus Mauern. Zwei Frauen kamen den Männern entgegen. Die Ältere war kurz und stämmig, die Jüngere groß und schlank. Beide hatten die gleichen tief dunkelblauen Augen wie Simon von Pohlheim. Als die Ältere Kylas geschwollenes Gesicht sah, murmelte sie nur: "Oh Gott, oh Gott, die Arme." An die Jüngere gewandt sagte sie dann: "Lauf und hole, frische Leinentücher, heißes Wasser und bereite ein Lager." Das Mädchen nickte und eilte davon.

Als Kyla wieder zu sich kam, bekam sie ihre Augen kaum auf. Das Gesicht war geschwollen und schmerzte. Außerdem war ihr Kopf inklusive Gesicht bandagiert. Durch die schmalen Schlitze ihrer Augen nahm sie lodernde Flammen wahr und sie hatte das Gefühl, dass die Felswände neben ihr gleich auf sie herabstürzen würden. Sie bekam Panik und schlug wild um sich. "Gaaaanz ruhig, Kindchen. Es ist alles wieder gut. Du bist in Sicherheit." Die Stimme klang ruhig und liebevoll. Kyla beruhigte sich langsam wieder. Sie spürte, wie jemand ihre Hand nahm und liebevoll streichelte. Allmählich dämmerte sie wieder weg.
"Du hast mich noch garnicht gefragt, wer sie ist und warum ich sie hier her gebracht habe.", sagte Erik zu Simon, der ihm am Tisch gegenüber saß und biss danach in sein Brotlaib. "Na, ich habe mir gedacht, dass du mir es schon sagen würdest, wenn du soweit wärest.", antworte Simon ungerührt und nahm sich ebenfalls einen kleinen Laib Brot aus dem Korb auf dem Tisch. Erik berichtete von Kylas Schicksal, ihrer ersten Begegnung, ihrer Flucht vor den Schergen des Herzogs, ihrer Gefangennahme und wie er gerade noch Schlimmeres hatte verhindern können. Simon hatte seinem Freund aufmerksam zugehört und sah ihn, nach  dem dieser mit seinem Bericht geendet hatte, lange prüfend an. "Was?", fragte Erik irritiert. "Ich soll also glauben, dass Nächstenliebe der einzige Grund ist, aus dem du das Mädchen nun hierher gebracht hast?", erwiderte Simon darauf mit einem leichten Grinsen. Erik zuckte mit den Schultern: "Glaube was du willst, mein Freund, aber mehr ist da nicht." Simon ließ es mit dieser Antwort auf sich beruhen und wechselte das Thema. Am Ende kam Erik mit einer Frage wieder auf Kyla zu sprechen: "Ich verstehe allerdings nicht aus welchem Grund der Herzog so ein brennendes Interesse an dem Mädchen hat." "Kundschafter haben berichtet, dass der Herzog ziemlich ungehalten war, dass Rebellen ihm einen wertvollen Schatz gestohlen hätten. Vielleicht ist dieser Schatz kein Gold sondern dein Mädchen?",erwiderte Simon. Bei der letzten Frage grinste er wieder. Erik reagierte nicht darauf, sondern antworte: "Es weckt den Anschein. Aber nun wundert es mich erst recht, was dieses Mädchen so wertvoll macht für den Herzog." "Vielleicht fragen wir sie einfach selber. Jedenfalls scheinst du den Herzog ziemlich geärgert zu haben.  Und wenn er in Erfahrung bringt, wo sein Schatz versteckt ist, könnte es für uns ungemütlich werden hier. Möglicherweise ist es dann besser für alle Beteiligten, wenn du das Mädchen wo anders versteckst. Ich möchte die Sicherheit unserer Leute nicht unnötigen Gefahren ausgesetzt sehen.", mahnte Simon ernst. "Du hast ja recht, Bruder, ich werde unsere Sicherheit gewiss nicht unnötig auf das Spiel setzen. Aber in diesem Zustand ist sie derzeit nicht transportfähig.", entgegnete Erik. Simon nickt: "Sie muss ja nicht sofort wieder weg. Wir sollten halt nur die möglichen Gefahren im Blick behalten." Erik nickt nachdenklich. Im Grunde widerstrebte es ihm zutiefst, sie wieder wegbringen zu müssen. Insgeheim bewunderte er ihren Mut und ihr Geschick im Umgang mit Pfeil und Bogen. Doch mehr als eine kleine Schwester, die er sich immer gewünscht hatte, wollte nicht in ihr sehen.
Kyla ahnte von der Aufregung um ihre Person nichts. Unter den liebevollen Händen von Mona schritt ihre Genesung stetig voran. Mona war wie eine Ersatzmutter in deren Obhut Kyla sich gerne pflegen ließ. Besonders die tiefblauen Augen, die sie stets liebevoll und gütig anlächelten, brannten sich in ihr Gedächtnis. Mona hatte sich ihr als Mutter der Rebellen-Gemeinschaft vorgestellt. Ihr stets zur Seite war ihre Tochter Seldis, die so Anfang 20 sein musste und ebenfalls diese tiefblauen Augen hatte. "Du bist jetzt auch eine von uns.", erklärte Seldis an Kyla gerichtet. "Wer seid ihr denn und wo bin ich?", fragte Kyla leicht verwirrt. Mona klärte auf: "Wir sind alle Opfer des unbändigen Machthungers des Herzogs. Weil wir aber ihm nicht unterwerfen wollen, sind wir Geächtete und weil mein Sohn Simon von Pohlheim und sein Freund Erik von Traunberg zusammen weiteren Männern den Herzog immer wieder mit schmerzhaften Nadelstichen bekämpfen, sind wir verhasste Rebellen." Mona schien stolz auf das Tun ihres Sohnes und seiner Getreuen zu sein. "Wir haben hier in den Resten der ehemaligen Trutzburg von Windeck Zuflucht gefunden. Hier halten wir uns vor dem Herzog und seinen Soldaten versteckt." Kyla nickte. Schließlich fielen ihr erschöpft die Augen wieder zu.

Wohin dein Herz dich führtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt