"Kyla, geht es dir nicht gut, du bist so blass?", fragte Mona besorgt. "Nein, nein,", wiegelte Kyla ab, "es geht mir gut." Besonders überzeugend klangen ihre Worte allerdings nicht und auch ihr blasses Gesicht erzählte etwas anderes. "Ich beobachte dich schon seit einigen Tagen. Auch wenn du versuchst, deine Unpässlichkeit zu verbergen, sieht man dir mittlerweile an, dass es dir nicht gut geht. Du bist ziemlich blass geworden und abgenommen hast du auch. Sollte nicht besser ein Arzt dich untersuchen?", versuchte Sira auf Kyla einzuwirken. "Es ist nichts. Mach dir keine Sorgen.", blockte Kyla erneut ab. Noch bevor man ihr weitere Fragen stellen konnte, erhob sie sich und verließ eilig den Saal. Mona und Sira sahen sich besorgt und ratlos an. Kyla hatte sich in den letzten Tagen immer mehr zurückgezogen und ging immer wieder den Anderen aus dem Weg. Selbst Erik vermochte es nicht mehr zu ihr durchzudringen. Man machte sich inzwischen große Sorgen.
Eines Nachmittags beobachtete Sira zufällig, wie Kyla vor dem Bettchen des draußen in der Nachmittagssonne jammernden Gereon stand und diesen vorsichtig hochnahm. Liebevoll wiegte sie den Kleinen in ihren Armen und summte ein Lied bis der Junge eingeschlafen war. Dann legte sie ihn wieder vorsichtig in sein Bettchen. Sie hielt noch einen Augenblick inne bis plötzlich ein Zucken durch ihren Körper ging und sie mit den Worten "Nein, ich kann das nicht!" von einem Heulkrampf geschüttelt davon rannte. Erschüttert sah Sira Kyla nach. Später sah sie, dass Kyla rotgeweinte Augen hatte. Als diese jedoch den prüfenden Blick von Sira wahrnahm, wand sich Kyla sofort ab und verbarg ihr Gesicht.
Wenige Tage später beobachtete Sira erneut, wie Kyla den kleinen Gereon auf dem Arm umher trug und ihn herzte, um ihn zum Lachen zubringen. Auf Kyla's Gesicht war ein seltsames Strahlen und ihre Augen leuchteten. In diesem aus Kyla's Sicht unbeobachteten Moment war sie scheinbar völlig unbeschwert und glücklich. Ein seltsam warmer Glanz war in ihren Augen, als sie Gereon wieder zurück in sein Bettchen legte. So langsam kam Sira eine Ahnung, was mit Kyla los war. Sira lächelte und ging zu Mona, um dieser von ihren Beobachtungen und ihrer Vermutung zu Kyla's seltsamen Verhalten zu erzählen. Mona teilte Sira's Vermutung und war insgeheim ein wenig erleichtert. Beide Frauen beratschlagten, wie man Kyla vielleicht doch helfen könnte, ihre Krise zu überwinden.
Kyla stand etwas unentschlossen vor der kleinen Kate. Der Garten wirkte sehr gepflegt, es wuchsen und blühten dort Kräuter und Gemüse. Eine ältere Frau mit bereits ergrauten Haaren jätete Unkraut. Doch bevor Kyla etwas sagen konnte, blickte die Frau auf und lächelte sie an: „Oh, netter Besuch. Ihr müsst Kyla sein." Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und kam Kyla entgegen. „Herzlich Willkommen, mein Name ist Elsa." Kyla war die nette Frau mit den rosa Wangen und den hellen, blauen Augen gleich sympathisch. „Sira von Pohlheim schickt mich zu euch, ich soll euch das hier bringen. Elsa nickte: „Das ist nett. Kommt doch bitte mit in meine bescheidene Stube und trinkt einen Tee mit mir." Etwas zögernd folgte Kyla der netten Frau ins Haus. Die Stube war bescheiden aber sehr nett und sauber. Elsa bot Kyla einen Stuhl an und nahm ihr den Korb ab. Dann kam sie mit zwei Tassen und einem Teekessel zurück. Während sie den dampfenden Tee in die Tassen goss, erklärte sie bescheiden: „Verzeiht die einfache Einrichtung. Ich bin seit einigen Jahren Witwe und habe nur ein kleines bescheidenes Einkommen, mit dem ich aber mein Auskommen habe." „Habt ihr keine Kinder, die euch unterstützen könnten?" „Ich habe viele Kinder, nur eben keine eigenen." Ein Lächeln huschte über Elsa's Gesicht. Sie sah Kyla's verwirrten Blick und fuhr fort: „Leider sind meine eigenen Kinder früh gestorben, so bin ich dann Hebamme geworden. Ich helfe fast täglich werdenden Müttern mit ihrer neue Aufgabe zurechtzukommen und kleinen Erdenbürgern sich in dieser neuen Welt einzugewöhnen. Ein sehr erfüllende Aufgabe, ich tue es gern." Kyla wirkte nachdenklich. Es dauerte eine Weile bis sie Elsa fragte: „Wie weiß ich, ob ich für die Aufgabe, Mutter zu werden, bereit bin?" „Wehren sie sich deshalb so heftig gegen das Offensichtliche, weil sie Angst haben?" Kyla nickte mit gesenktem Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich schon bereit dazu bin, ob ich die Verantwortung für so ein Wesen tragen will und kann. Ich dachte, ich hätte noch etwas mehr Zeit gehabt mich auf diese ungewohnte Aufgabe vorzubereiten." Elsa nahm Kyla's Hand und antwortete: "Der Herrgott schickt uns neue Aufgaben mit denen wir wachsen und er weiß genau, wann wir bereit dazu sind, uns diesen Aufgaben zu stellen. Habt Vertrauen, lasst euch darauf ein und vorallem freut euch, denn die Liebe zwischen Mutter und Kind ist etwas ganz besonderes." Kyla lehnte den Kopf an Elsa's Schulter und seufzte, ein paar Tränen kullerten über ihre Wangen. „Ich weiß halt nicht, ob ich schon bereit bin für so eine große Verantwortung. Bis jetzt war ich nur für mich selbst verantwortlich.", sagte Kyla leise. "Doch Ihr wisst es, tief in euch drin wisst ihr es längst. Ihr habt es nur schon zu lange verdrängt. Warum wehrt ihr euch so dagegen? Ihr müsstet doch glücklich sein. Ihr habt einen Mann, der euch liebt und nun hat der liebe Gott eure Liebe beschenkt. Es ist das Natürlichste der Welt, wenn zwei sich lieben. Nehmt eure neue Aufgabe an, euch bleibt noch genug Zeit darauf vorzubereiten." Elsa nahm Kyla liebevoll in den Arm und Kyla verbarg dankbar ihr Gesicht an ihrer Schulter. Irgendwie hatte Elsa ihr ein wenig die Last von ihrer Seele genommen, die sie zu erdrücken schien. Ein kleiner Rest an Zweifeln blieb allerdings zurück.
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Wohin dein Herz dich führt
Historical FictionKyla wächst als einziges Kind eines Edelmannes auf der Stammburg der Familie auf. Da ihre Mutter früh stirbt, muss Kyla schnell lernen, selbstständig zu werden. Ihr Vater nimmt sie von klein auf mit auf die Jagd und lehrt sie mit Schwert und Pfeil u...