Neuanfang

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Der Wiederaufbau der Stammburg Johannesberg kam tatsächlich gut voran und es stand einem Einzug kurz vor der erwarteten Niederkunft nichts mehr im Wege. Kyla war so aufgeregt, dass Mona und Sira schon befürchteten, dass Kind könnte schneller geboren werden als es gut war. Man hatte bereits eine erste Abordnung mit Gepäck und Bediensteten voraus geschickt, um die Ankunft der Herrschaft entsprechend vorzubereiten. Mona und Sira hatten bereits in den Wochen davor mit vielen fleissigen Helferinnen für eine reichhaltige Ausstattung des jungen Haushalts gesorgt.

So bewegte sich der Troß an einem schönen sonnigen Nachmittag durch den Wald der Burg entgegen. Erik ritt neben dem Wagen seiner Frau. Er hatte sie nur mit Mühe davon abhalten können, mit ihrer fortgeschrittenen Leibesfülle noch auf ein Pferd zusteigen. So sass sie voller Erwartungen in ihrem Wagen und mit jedem Meter, der sie näher an ihr Ziel brachte, stieg ihre Vorfreude. Als schließlich der Wald den Blick auf die Burg mit ihrem Turm freigab, war Kyla überwältigt. Fahnen mit dem Wappen derer von Johannisberg wehten auf dem Turm und gunte Banner hingen von den Zinnen. Schon während der Anfahrt zur Burg säumten zahlreiche Menschen den Weg, um sie willkommen zu heissen. Das Volk bereite ihnen einen jubelnden Empfang. Kyla war so ergriffen, dass sie kein Wort herausbrachte und ihr lediglich Tränen der Freude über die Wangen liefen. So war Kyla dankbar, dass nach ihrer Ankunft auf der Burg ihr Mann das Wort ergriff, um sich bei all den fleissigen Helfern und Anwesenden zu bedanken. Arm in Arm betraten sie unter Jubel die festlich geschmückte große Halle. Kyla vergingen die nächsten Stunden wie im Rausch, das Ganze kam ihr so unwirklich vor, wie ein großer Traum voller Emotionen und Sehnsucht.

Abends wurde dann ein großes Fest gefeiert, doch zuvor zog es Kyla an einen bestimmten Ort abseits des ganzen Trubels. So stand sie in Begleitung von Ruth am Grabe ihrer Eltern. Erik hatte darauf bestanden, dass sie in ihrem Zustand nicht allein dort hinginge. Eine Weile verharrte sie stumm vor den Gräbern. "Mama, Papa, ich bin wieder zu Hause.", flüsterte sie leise, Tränen rannen über ihre Wangen. Doch dann lächelte sie, strich über ihre deutliche Leibesfülle und fügte hinzu: "....und bald hält die nächste Generation auch noch ihren Einzug." Im nächsten Augenblick erschrag sie. "Was ist los, Herrin?", Ruth war sofort bei ihr. "Mein Bauch ist hart und ich verspüre eine heftig Druck nach unten. Was hat das zu bedeuten?" Sie sah Ruth hilfesuchend an. "Wir müssen sofort zur Burg zurück. Könnte ihr noch laufen?" Ruth sah besorgt aus und dennoch versuchte sie Ruhe auszustrahlen. Kyla nickte tapfer. Der Rückweg gestaltete sich unter den gegebenen Umständen viel schwieriger. Kyla musste immer wieder keuchend stehen bleiben. Ruth stützte sie und redete ihr gut zu. Schließlich erreichten sie den Burghof. Völlig erschöpft blieb sie an eine Mauer gelehnt stehen. "Ruth, ich kann nicht mehr. Gehe bitte meinen Mann holen, ich bleib hier stehen." Ruth nickte und eilte davon. Ruth brauchte eine kleine Weile, bis sie Erik in der Menschenmenge gefunden hatte. Sie berichte kurz und Erik eilte davon, so dass Ruth Mühe hatte ihm zu folgen.  Er hatte Kyla noch nicht erreicht, da hörte er einen schrillen Aufschrei. Als er schließlich Kyla erreicht hatte, stand sie da und sah ihn mit einem entsetzen Blick an. Sie hatte ihre Hände schützend auf ihren Unterleib gelegt. Jetzt erst wurde ihm gewahr, dass ihr Rock nass war und sich langsam unter ihr eine Pfütze ausbreitete. Inzwischen war auch Ruth hinzugekommen. "Du lieber Herr im Himmel, soll das Baby etwa im Schloßhof geboren werden?" Eilig hob Erik seine Frau auf und trug sie so schnell er konnte in die Burg. Dort übergab er sie dann der Obhut von Ruth und einer Hebamme.

Wie eingehetztes Tier lief er auf der Balustrade hin und her. Schon lange hatte er sich nicht mehr so hilflos gefühlt. Tausende Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Plötzlich hallte ein spitzer, schriller Schrei durch die Burg. Jetzt hielt ihn nichts mehr. Er eilte sorgenvoll zu den Gemächern seiner Frau. Als er schließlich energisch die Tür aufriss, begrüßte ihn der lautstarke Protest eines kleinen, neuen Bewohners. Ruth hatte das kleine Bündel in ein Leinentuch gewickelt und überreichte es der frisch gebackenen Mutter. Kyla sass völlig erschöpft aber glücklich an ein dickes Kissen gelehnt in ihrem Bett. "Willst du deinen Sohn nicht begrüßen?" Völlig überwältigt fiel er neben ihr auf die Knie, sprechen konnte er nicht. Er küsste liebevoll ihre Hand und sah dann voller Ehrfurcht auf das kleine Bündel. Kyla lächelte und legte ihrem Mann das Bündel achtsam in die Arme.  "Mein Sohn?", fragte er völlig ergriffen. "Unser Sohn.", korrigierte sie lächelnd.

Die Nachricht von der Ankunft des neuen Erdenbürgers sprach sich beim Volk herum wie ein Lauffeuer. Drei Tage und Nächte währten die Feierlichkeiten. So ausgelassen und unbeschwert hatte man schon lange nicht mehr auf Burg Johannisberg gefeiert, nur die alten Leute konnten sich noch an solch unbeschwerte Zeiten erinnern. Nach und nach zog aber auch wieder der Alltag ein auf der Burg und jeder musste sich mit seiner neuen Rolle zurechtfinden. Doch Erik und Kyla gingen jeweils in ihren neuen Aufgaben vollkommen auf. Einige Monate waren bereits vergangen als Kyla zusammen mit Ruth von einem Besuch im Dorf zurückkamen. "Ach Ruth, wäre ich doch nur annährend so wie meine Eltern", bemerkte Kyla nachdenklich. "Der Herrgott hat euch von ihnen die besten Tugenden mitgegeben. Meiner bescheidenen Meinung nach seid ihr die bessere Mischung aus beiden. Glaubt mir, euer Vater und eure Mutter wären so stolz auf euch." Kyla lächelte gerührt. "Danke.", flüsterte sie leise und insich gekehrt.

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