Und plötzlich stehe ich da und erkenne mich nicht wieder... Wer war ich mal und wo wollte ich hin? Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Weiß nicht, was ich will. Ich weiß nichts. Ich weiß nur, dass ich schon immer sehr einsam war... Ich habe mich seit jüngster Zeit viel mit mir selbst beschäftigt und versuchte mir selbst eine Freundin zu sein. Eines Tages jedoch, da wurde aus Freundschaft Feindschaft. Warum? Wer war verantwortlich dafür? Warum hasse ich mich und alles was ich tue jetzt so? Ich verstehe mich nicht - zumindest nicht mehr...
Montagmorgen. Ich befinde mich im Gang unserer Schule und sehe mit meinen Augen, die dank meines Gesichts, das durch meine Abnahme nun schmaler wirkt, den anderen beim Lachen zu. Tage kommen. Tage gehen. Drei Kilos Last sind von meinen Schultern weg. Ich habe wieder vom Leben abgenommen. Ich wiege jetzt 48 kg. Heute morgen habe ich ein paar Haferflocken, einen Magerjoghurt und einen halben Apfel gegessen. 300 Kalorien. Gott sei Dank war der Apfel nicht von Omas Garten gewesen... Danach bin ich in die Schule gejoggt. 100 Kalorien. So weit, so gut. Was für ein Schulfach haben wir jetzt denn? Habe ich meine Tasche gestern überhaupt gepackt? Ich bin mir gerade echt nicht sicher... Ich drehe mich zur Seite hin und öffne sie.
Als ich hineinschauen will, beginnt vor meinen Augen ganz plötzlich alles zu schwirren. Zum Glück nur leicht... Schon gestern ging es mir nicht so gut... Ich hatte Schwindel und so eine Art Piepsen im Ohr gehabt. Jetzt geht es ja noch. Es geht... Oder doch nicht?
Es wird stärker und ein übles Gefühl überkommt mich. Ich schließe meine Tasche schnell wieder zu und blicke zu den anderen herüber und versuche ein unbekümmertes Erscheinungsbild abzugeben, als genau im selben Moment jemand in meinem Blickfeld auftaucht!
Er taucht auf, doch bei mir nur unter...
Er nähert sich und setzt sich zu mir, aber ich erkenne ihn nicht. Er will etwas sagen, aber ich verstehe ihn nicht. Er will mich berühren, aber ich spüre ihn nicht. Mir ist einfach nur schlecht und da ist irgendwie auf einmal so ein großer Druck in meinem Kopf. Langsam kommen die Worte doch noch in meinem Gehirn an. "...total blass...dir gut...Lara...gefrühstückt...?" Einen so wirklichen Sinn kann ich mir daraus nicht erschließen. Ob ich gefrühstückt habe? Klar. Nur leider mal wieder zu viel. Als ob es seine Worte veranlasst hätten, rauscht es jetzt noch stärker und ich will einfach bloß nach Hause! Dort sieht mich wenigstens niemand. Nur ich muss mich immerzu ansehen und mich für mich selbst schämen... Immer.
Mist. Es wurde mir einfach zuviel und zu stark! Alles ist schwarz wie die Nacht geworden... Nun bin ich wieder hier, da ich in Ohnmacht gefallen bin... Im Krankenhaus. Mama sitzt besorgt, entsetzt, enttäuscht und was weiß ich noch alles vor mir... Ihre Stirnfalten müssen sich in letzter Zeit verdoppelt haben... "Lara, bist du wach? Geht's dir gut?" Nein. Mir ging es noch nie gut und ich habe keine Lust mehr auf diesen ganzen Mist! Die Krankenschwester kommt, misst Blutdruck und Puls. Die Werte seien ihrer Meinung nach ganz okay. "Ich würde dich gerne noch wiegen."
Ich folge ihr in einen kleinen Raum. Nach ihrer Anweisung steige ich auf die Waage, meinen Feind und meinen Freund. Sie notiert sich den Wert, misst noch meine Größe und erlaubt mir wieder zu meiner Mutter zurückzukehren. Sie sitzt da. Weint beinahe, aber beherrscht sich. Ich finde, sie dürfte das ruhig machen...
"Sie hat abgenommen? Wie viel?" "Sie ist jetzt bei einem BMI von 16,6. Ich würde ihnen raten eine ambulante Therapie zu versuchen." "Ambulant? Was? Nein! Dieses Mädchen braucht deutlich strengere Maßnahmen! Sie ist mir ja fast wieder vor meinen Augen weggehungert! Ich verstehe echt nicht, wie... Ach, bitte!" "Gut, beruhigen sie sich... Ich werde mal schauen, ob wir für sie einen Platz in der Klinik finden werden." "Ja, aber schleunigst bitte!"
Echt jetzt? Ist das dein Ernst? Ich hasse dich, Mama. Warum tust du mir das an? Lass mich doch einfach in Ruhe!
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Den Tod vor Augen (Magersucht)
SpiritualDa ist nichts. Nichts, was mich umhüllt. Nichts, was mich erfüllt. Nur diese Leere da, die mich wie ein Blatt Papier immer weiter zerreißt... Ich bin ganz leer. Und mein Inneres ist so zart und so empfindlich... Und sie? Sie ist so gefährlich...