Drei Jahre später

4 1 1
                                    

Gabriel

Mo, 21 May, 2008, Dover/ Delaware

Mit fliegenden Fingern rase ich über die Tastatur. Inzwischen sind sowohl Lesen als auch Schreiben zu unverzichtbaren Tätigkeiten geworden. Es ging ja auch gar nicht anders.

Nachdem die Ärzte uns mitgeteilt hatten, dass ich nach dem Überfall nie wieder sprechen würde, war das ein großer Schock gewesen. Grandpa macht Rick für meine verlorene Sprache verantwortlich. Dabei war das Ganze, wie sich später herausstellte das Werk eines hirnverbrannten Psychopathen.

Nach dem Vorfall sind wir weggezogen. Rick hatte endlich das lang ersehnte Sorgerecht bekommen und war von aller Schuld an dem Banküberfall freigesprochen worden.

Zusammen mit Vaters Tod war der Überfall eine Verkettung unglücklicher Ereignisse gewesen, wie die Behörden sich ausdrückten. Celia und ich hatten uns nach dem Überfall nicht mehr wiedergesehen, denn während die Gerichtsverhandlung lief, lag ich noch im Krankenhaus. Der Kopf der Bande ist bis heute leider nicht gefasst worden.

Das Leben hier ist in Ordnung und ich bin so gesehen auch froh, dass ich die Schule wechseln musste. Alle haben akzeptiert, dass ich nicht sprechen kann und stellen auch keine unangenehmen Fragen. Die Campus Community High School ist ein großes Gebäude und hat ziemlich viele Schüler. In meiner „Tätigkeit" als Superhirn durfte ich sogar eine Klassenstufe überspringen, sodass nächstes Jahr schon Abschlussball ist. Ich fürchte, dass ich kein Mädchen finden würde, das mit mir hingeht. Wenn ich ein Mädchen wäre, würde ich auch nicht mit mir gehen. Denn wer will schon mit einem Jungen auf den Ball gehen, der nicht mal mit einem redet? Zudem bin ich auch noch jünger als alle.

Mein Trainer hat mir heute zum weiß-nicht-wie-vielten-Mal gesagt, dass ich für Karate zu weich bin. Seiner Meinung nach sollte ich wohl aus dem Verein aussteigen, aber da er damit Geld verdient, hat er mir das noch nicht gesagt.

Es ist zwar gut, wenn ein Kämpfer eine gewisse Disziplin hat, aber zu viel davon ist schädlich.

Naja. Vielleicht gibt sich das ja mit der Zeit. Außerdem will Rick, dass ich Karate trainiere, also kann ich nicht einfach damit aufhören.

Soviel also dazu. Um in die Jetztzeit zurückzukehren - ich sitze gerade am Computer und schreibe von meinem Profil aus an meine Freunde. Das sind nicht besonders viele, und die meisten gehören genau wie ich zu den Hochbegabten. Eigentlich kommt auch immer dasselbe raus:

Wie war dein Tag heute so, Jesus?

(Jesus ist der Name meines besten Freundes. Pure Ironie, unsere Eltern mochten diese ganzen religiösen Namen anscheinend.)

Wie immer. Schule = total langweilig. Zuhause auf Carrie aufpassen,...Und wie lief es bei dir?

(Carrie ist Jesus' kleine Schwester, aber er bezeichnet sie oft auch als Schmarotzer!)

Dasselbe. In der Schule starren mich fast alle doof an, weil ich eben hochbegabt bin und auch sonst...Sag mal, eigentlich könnten wir uns mal wieder treffen. Und zum Beispiel ins Kino gehen. Oder eben auch was anderes. Hast du demnächst Zeit?

(Jesus ist nämlich einer der Wenigen, die nicht in meiner Klasse sind. Und einer meiner wenigen Freunde. Es ist komisch, wenn man sozusagen anders ist. Dann kann man auch nicht so besonders gut mit anderen Leuten Kontakt aufnehmen, aufgrund von Schnüfflern. etc. Er ist auch nicht hochbegabt, aber wie man so schön sagt: Gegensätze ziehen sich an.)

Mittwoch wäre bei mir ganz günstig. Wann hast du gleich noch mal Karate?

Jeden Montag. Mittwoch ist okay. Wenn du willst kann ich dir auch noch mal in den schulischen Dingen helfen.

time.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt