Quid pro quo

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Gabriel

Ich weiß nicht mehr, ob ich wach bin oder halluziniere. Ich stehe auf der Straße, vor meinem Zuhause.

Celia geht mit ihren Freundinnen den Gehweg gegenüber hinunter. Sie redet angeregt mit ihnen, sieht mich aber nicht. Dann sieht eine der Freundinnen mich - sie kommt mir vage bekannt vor - und reißt die Augen auf. Aufgeregt wendet sie sich an Celia und flüstert ihr irgendwas ins Ohr. Daraufhin fährt der ganze Pulk Mädchen wie auf Kommando zu mir herum. Celias Gesicht ist eine Maske des Zorns. Sie rauscht über die Straße und ignoriert die fahrenden Autos, die mit quietschenden Reifen anhalten. Die Autofahrer steigen aus und schreien sie an. Sehen dann, dass sie zu mir will und drehen sich ebenfalls zu mir um. Schreien mich an.

Celia ist vor mir angekommen. Sie holt aus und schlägt mir ins Gesicht. Ich rühre mich nicht, kann mich nicht bewegen. Meine Glieder sind bleischwer. Celia steht vor mir und schreit mich an. Ihre Freundinnen umringen mich und graben ihre Fingernägel in meine Sachen. Die Autofahrer schreien.

Plötzlich wird Celias Gesichtsausdruck sanfter, sie sieht über meine Schulter zu jemandem. Lächelt verträumt. Tätschelt kurz meine Schulter und geht dann an mir vorbei. Ich kann mich nicht umdrehen, um zu sehen, wer dort ist.

Unter meinen Füßen breitet sich Schwärze aus. Kriecht wie Teer an meiner Kleidung hinauf. Verschlingt mich. Ich will schreien, aber kein Ton kommt heraus.

Rory

Ich weiß nicht, was heute mit Jeff los ist. Er hockt jetzt da drin, seit er vor ungefähr einer Stunde angekommen ist. Ich weiß nicht, was er Gabe heute antut, aber ich kann ihn stöhnen hören. Da ich draußen Schmiere stehen muss, kann ich auch nicht sagen, was genau da drinnen abgeht, noch kann ich eingreifen. Da Einzige, was ich tun könnte, ist, jetzt unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand reinzustürmen, aber dann wäre ich mit dran. Das kann ich echt nicht bringen.

Die anderen lachen die ganze Zeit. Das ist irgendwie ein Indikator: je lauter sie lachen, desto schlimmer treibt es Jeff. Und sie sind schon eine ganze Weile lang verdammt laut.

Und ich kann nicht einmal durchs Fenster gucken.

Da! Da drinnen tut sich was! Es rumst laut und etwas wird gegen die Wand geknallt. Vermutlich Gabe. Ich könnte darauf wetten, dass sie ihn immer noch nicht losgebunden haben. Verdammte Mistkerle. Irgendwas muss ich doch unternehmen können! Ich habe auch noch mal darüber nachgedacht, aber es fällt leider aus, die Polizei zu rufen. Die würden mich mit in den Bau stecken. Oder zumindest in den Jugendknast.

Ich kneife die Augen zu, als die Wand in meinem Rücken erzittert. Ein Körper fällt zu Boden. Gabe. Das heißt, dass sie jetzt fertig sind. Das sie gehen werden. Hoffe ich.

Ich stelle mich wieder in Hab-Acht-Position. Jeff wird mich noch den ganzen restlichen Nachmittag hier herumstehen lassen, das weiß ich. Es ist zum Teil ein Fluch, zum anderen ein Segen, denn so kann ich wenigstens versuchen, Gabe zu helfen.

Die Tür geht auf. Einer der anderen Jungs, Dillan, schaut raus. „Hey", sagt er. „Ich bin die Ablösung. Jeff will, dass du reingehst."

Ich nicke und hoffe, dass man mir meine Wut nicht anmerken kann. Meinen Wunsch, Gabe zu helfen.

„Geht klar." Ich tausche mit ihm den Platz und er stellt sich vor die Tür, um mit zusammen gekniffenen Augen in die Ferne zu starren. Als ob sich hier eine Menschenseele blicken lassen würde!

Außer uns.

Jeff sieht nicht einmal auf, als ich das Halbdunkel der Hütte betrete. Die anderen Jungs auch nur vereinzelt. Es ist fast, als hätten sie gar nicht bemerkt, dass ich auch da bin.

„Hey, Rory. Komm mal her und sieh dir das an."

Ich gehorche. Jetzt kann ich auch Gabe sehen. Sie haben sich nicht erst die Mühe gemacht, ihn loszubinden. Er ist schon halb bewusstlos und blutet aus einer Platzwunde an der Stirn, wo Jeff ihn wahrscheinlich geschlagen hat. Das T-Shirt, das er anhat, ist blutverkrustet. Jeffs Hand liegt um seinen Hals und drückt zu.

Als ich neben ihn trete, starrt Gabe durch mich hindurch. Gut. Er hat begriffen, um was es hier geht. Seine Hände tasten nach der Wand hinter ihm und versuchen, Jeffs Griff irgendetwas entgegen zu setzen, doch vergeblich. Sein Mund ist weit geöffnet und er ringt nach Sauerstoff. Wie ein Fisch auf dem Trockenen schnappt er nach Luft. Jeff lässt einfach nicht locker und Gabe's Lippen färben sich blau. Beifall heischend sieht Jeff zu mir herüber und grinst.

„Nicht schlecht, was?"

Mir wird fast übel. Trotzdem bekomme ich eine Grimasse zustande, die einem Grinsen zumindest gleichen soll. Hoffentlich ist es dunkel genug, damit er es für ein echtes Grinsen hält. Er wendet sich wieder ab. Ich hätte mir gar nicht solche Sorgen machen brauchen, denn er beachtet mich kaum. Gabe verliert das Bewusstsein und sackt gegen die Wand. Jetzt - endlich - lässt Jeff ihn los. Er tritt ihn noch kurz wie einen Sack Kartoffeln, dann ist er auch schon fast zur Tür hinaus. Einmal kurz hält er noch inne. Steckt den Kopf durch die Tür. Ich zwinge mich, aufzustehen. Mir meine Übelkeit nicht anmerken zu lassen.

„Ach, Rory?"

„Ja?"

„Bleib doch bitte hier und schieb' noch 'ne Weile Wache. Ich schick dann jemanden, der dich ablöst." Ich nicke wiederum. Tippe leicht mit dem Finger gegen meine Baseball-Kappe.

„Geht klar, Chef."

Jeff nickt zufrieden und geht. Auch Dillan vor der Tür zieht mit ab, ich kann seine Schritte hören. Erst, als ich sicher bin, dass sie alle weg sind, lasse ich mich wieder auf die Knie sinken und traue mich, Gabriel anzufassen und in eine annehmbare Lage zu bringen. Ich lege ihn flach auf den Boden. Überprüfe seinen Puls. Scheiße, verdammt! Er müsste doch längst wieder atmen!

Ich schlage ihm ins Gesicht, auch, wenn es mir Leid tut. Er muss atmen!

„Kannst du mich hören, Gabe?"

Nichts. Ich schlage ihm noch einmal ins Gesicht. „Gabe! Wach auf!"

Gabriel

Ist das Celia da über mir? Sie hat mir doch nicht verziehen?

„Gabriel! Wach auf!"

Sie schlägt mir ins Gesicht. Der Schlag ist viel zu fest für ein Mädchen. Der überwältigende Drang nach Sauerstoff sprengt meine Lungen. Ich reiße die Augen auf sehe - Rory. Er kniet neben mir und versucht krampfhaft, mich zum Atmen zu bewegen. Nein. Das muss alles ein böser Traum sein. Schlaf wieder ein, dann ist es vorbei, flüstert meine innere Stimme. Ich schließe die Augen wieder. Er packt mich an den Schultern und schüttelt. Ich öffne die Augen nur widerwillig wieder. Wie in Trance öffne ich den Mund, um ihm zu sagen, dass er mich loslassen soll. Kein Laut kommt heraus. Nichts. Mein Gehirn scheint vor Sauerstoffmangel zu platzen. Das Rauschen in meinen Ohren macht mich taub für das, was er mir sagen will. Dabei sehe ich, wie sich seine Lippen bewegen. Rory beugt sich weiter herunter und presst seine Lippen auf meine. Mein umnebeltes Gehirn begreift, dass er versucht, mir Sauerstoff zuzuführen. Ich begreife auch, dass ich atmen muss, weil ich sonst ersticke, aber mein Körper ist vollkommen taub. Reagiert einfach auf nichts mehr. Mein Hals ist irgendwie eingedellt, sodass ich immer noch nicht atmen kann. Geprellt. Ich glaube, ich habe mir den Kehlkopf geprellt, als Jeff versucht hat, mich zu erwürgen. Rory schreit mir ins Gesicht.

„Atme, du Idiot!"

Dann bläst er mir wieder Sauerstoff in die Lungen. Meine Augen wollen andauernd zufallen, als hätten sie nicht begriffen, dass ich bei Bewusstsein bleiben muss, weil ich sonst sterbe.

Ich bekomme immer noch keine Luft.

Ich werde sterben...


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