Sa, 23 June 2008
Helena
Es war vermutlich zu erwarten, dass jemand mit so geschniegelten Manieren wie Gabriel mich von zu Hause abholen würde. Er hat pünktlich an meiner Tür geklingelt. Andre hat ihn wiedererkannt und sich natürlich sofort nach seinem Arm erkundigt, bevor ihm eingefallen ist, dass Gabriel auch aus einem anderen Grund zu uns kommen könnte. Typisch mein Bruder. Sie waren beide verlegen, vor allem, weil mein Date erst einen Zettel herauskramen musste, um Andre antworten zu können. Als er ihm dann den anderen Zettel in die Hand gedrückt hat, den, auf dem stand, dass er mich abholen will, ist er richtig rot geworden. Ich bin nämlich gerade die Treppe hinunter gekommen und habe die beiden so von ihrem Elend erlöst. Sie waren so froh, sich nicht zwanghaft miteinander beschäftigen zu müssen, dass ich fast laut losgelacht hätte. Als ich Gabriel - Gabe, ist kürzer - dann ein wenig überrascht willkommen geheißen habe, hat sich mein Bruder sofort in die Küche verdrückt. Mit dem Vorwand, Hunger zu haben. Gott, wird der mich löchern, wenn ich wieder zu Hause bin!
Aber jetzt genieße ich erst mal mein Date. Gabriel war einverstanden damit, dass ich seinen Namen verkürze. Er meint, das tue sonst nur sein Bruder. Es ist eigentlich gar nicht so schwierig, sich mit ihm zu unterhalten. Er hat vorhin sein Handy rausgeholt, in das er die Antworten schneller eintippen als mit Hand aufschreiben kann. Es mag ein wenig seltsam klingen, aber wir unterhalten uns recht flüssig. Am Eiscafé angekommen, sind wir beide froh, uns bei der Hitze setzen zu können. Es ist wirklich verdammt warm heute. Ich schwitze wie verrückt in meiner schwarzen Kluft und ich kann sehen, wie Gabe in dem roten, bedruckten T-Shirt und den Jeans der Schweiß über die Stirn läuft. Wir bestellen beide Eis - er schreibend, ich natürlich mündlich. Dem Kellner macht die Hitze besonders zu schaffen, mehr als uns Passanten, da er ja arbeiten muss. Er ist nicht besonders erfreut, jetzt lesen zu müssen, aber mehr als das passiert auch nicht. Wir unterhalten uns über das Wetter, über die Schule. Hobbies. Ich erfahre, dass Gabriel auch in der Begabtenklasse ein Außenseiter ist, aber seine Stummheit ist anscheinend nicht grund genug, ihn auf eine besondere Schule zu schicken. Sam mag er genau so wenig wie ich, zumal der ihn ständig schikaniert, aber handgreiflich geworden ist er bis jetzt noch nicht. Gabriel hat nicht besonders viele Freunde. Sein bester Freund trägt einen genauso lustigen Namen wie Dorothy. Er heißt Jesus. Er - Gabe - macht gern Sport, auch in seiner Freizeit. Sein Karate-Trainer hält ihn des Kampfsports für untauglich, und er würde auch viel lieber Aikido betreiben. Aber sein Bruder Rick wünscht sich so sehr, dass er sich notfalls verteidigen kann, dass er es einfach nicht übers Herz bringt, ihn zu enttäuschen. Ich meinerseits erzähle ebenso viel. Von Andre. Davon, dass ich meine Freizeit gern mit dem Schwert fechtend verbringe und sogar ein eigenes zu Hause habe. Von Dorothy und wie sehr sie es hasst, ihren Namen abkürzen lassen zu müssen. Der Chef des Pubs, in dem sie in ihrer Freizeit arbeitet, will so nämlich mehr Vertrautheit zwischen Gästen und Angestellten schaffen. Deswegen trägt sie während der Arbeitszeit ein Namensschild, auf dem „Doro" steht. Was sie total sauer macht. Gabriel ist ein sehr aufmerksamer Zuhörer. Ich habe das Gefühl, dass er alles sofort speichert, was ich sage. Aber das ist nicht unangenehm. Er ist nicht aufdringlich und gibt auch Kommentare ab. Das ist ganz lustig: er hört zu, gibt dann etwas in sein Handy ein und dreht es anschließend herum, damit ich lesen kann, was er geschrieben hat. Er meinte vorhin, mit dem Computer könne er noch besser schreiben, obwohl er schon mit der Hand recht schnell ist. Was ich süß fand, war, dass er sich gleich am Anfang für sein Fehlen bei meiner Geburtstagsfeier entschuldigt hat, und das, obwohl ihn vermutlich keine Schuld getroffen hat. Er hat mir nichts Genaueres über den Abend erzählt, nur, dass er da war, nicht eingelassen wurde und dann kurz vor meinem Haus überfallen, verprügelt und bewusstlos liegen gelassen wurden ist. Was schon eine ganze Menge ist, wie ich finde, aber ich merke auch, dass er mir etwas verschweigt.
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time.
Teen FictionDas Leben ist nichts für Außenseiter. Gabriels Leben verändert sich von Grund auf, als er und seine Freundin auf der Straße überfallen werden. Von einem Moment auf den anderen ist er stumm und muss sich neu zurechtfinden in einer Welt, die ihm fei...