1: Mein Leben und ich

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"Leon, komm essen!", rufe ich durch den Flur. Schon höre ich kleine Füsse auf den Boden trampeln und kleine Arme packen mich von hinten. Ich lache und hebe den kleinen Jungen mit den Engelslocken auf und gebe ihm einen Kuss auf die Wange, ich setze ihn schnell auf seinen Stuhl und mach mich wieder an das Essen. „Wann kommt Mama nachhause?", quengelt der kleine Junge. „Tja", sage ich pampig, „Anscheinend hat sie besseres zu tun.", ich verziehe mein Gesicht. Meine Mutter, eins von sooo vielen Problemen in meinem Leben. Das frustrierendste. Leon war der einzige den ich noch habe und der mich auch ehrlich lieb hat. Auch wenn er erst 8 ist. Ich seufze und setze ein lächeln auf. Ich strubbele durch seine blonden Locken und stelle einen dampfenden Teller Nudeln vor ihn hin. „SPAGETTI!", ruft er und stürzt sich auf sein Lieblingsessen, es ist so einfach ihn glücklich zu machen.

Ich schaue schnell auf die Küchenuhr. Es ist kurz nach Sieben. Leon muss bald ins Bett. Ich esse schnell meine kleine Portion Nudeln und warte geduldig bis Leon fertig ist. „Deine Haare müssen mal geschnitten werden", sage ich und hebe meinen Bruder auf meinen Arm. Seine Haare reichen ihm schon bis zu den Schultern. Ich trage ihn ins Bad und er klammert sich an meinem Hals fest. Mit dem Alter wird er immer schwerer, irgendwann werd ich ihn nicht mehr Tragen können. Ich streife ihm sein T-Shirt ab und mach das Waschbecken an. Geduldig wartet der kleine neben mir und linst ab und zu mit grossen braunen Augen zu mir hoch. Ich setze ihn auf den Waschbeckenrand und wasche seine Haare. Leon erzählt mir aufgeregt von seinem Freund Eric und wie sie heute Fussball mit Erics Vater gespielt haben. Ich lächle schmerzhaft, mein Vater... Er fehlt mir so.

Ich nehme mir die Schere die wir nur fürs Haare schneiden benutzen fest in die rechte Hand. Schnell schneide ich ihm die Haare wieder auf ihre normale länge, für einen Friseur fehlt uns das Geld, da meine Mutter nichts besseres zutun hat als einen Kiosk zuleiten an dem sie Männer anbagert. Ich habe nichts gegen Kioskverkäufer aber meine Mutter hat sogar ein Abbi und sie versaut das alles mit ihrem Flirtkiosk. Ich verabscheue sie! Wegen ihr ist Dad... Ein Tür knallen reisst mich aus meinen Gedanken. „Bin Zuhause!", ruft eine laute Stimme und ich verdrehe genervt die Augen. Im selben Moment springt Leon auf und ruft laut. „Mia!" Er springt an ihr hoch und klammert sich an ihrem Pulli fest. Sie gibt ihm einen Kuss auf den Kopf und läuft an mir vorbei zu ihrem Zimmer. „Ach danke für deine Begrüssung!", schreie ich ihr hinterher. Überheblich schaut sie mich an und schlägt mir ihre Zimmertür vor der Nase zu.

Ja, das war gerade meine Schwester Mia. Sie ist 13, ich betone 13 und führt sich auf wie so eine Oberbitch. Sie kleidet sich mit kurzen schwarzen Röcken und weit ausgeschnittenen Shirts. Ich wiederhole , sie ist 13, und ja, sie dulden das auf dem Gymnasium, Gott weiss warum. Tja und sie hat einen „Freund". Der 16 ist. Schon irgendwie merkwürdig was ein 16 jähriger mit einer 13 jährigen will?, Hmmmmmmm.... ich hab kein Plan.

Leon der derweil in sein Zimmer gelaufen ist kommt mit einem frischen Pyjama wieder raus. Ich gehe mit ihm wieder ins Bad um ihm beim zähne putzen zu helfen,. „Nein Jula, ich kann das selber" Ich kichere als ich seine störrische Miene sehe und strubel ihm noch einmal durch die Haare bevor ich ins Wohnzimmer gehe. Leon nennt mich immer Jula anstatt Julia, Kinder eben. Dafür nennt mich Mia Jules. Sie findet das total cool mit dem englischen und tut gern mal auf Amerikanisch. Dazu hinzuzufügen gibt es eigentlich nur noch das sie eine Niete in englisch ist.

Ich werfe mich auf das Sofa, das auch als mein Bett dient, während Leon sich ein Zimmer mit meiner Mutter teilt, eben, wir haben nicht viel Geld. Ich fahre meinen uralten Laptop hoch (Was eine weile dauert) und ziehe mir ein paar süsse Youtuber rein, während ich auf meinem Handy, das ich von meinen Freunden bekommen habe (sie wissen das mit dem Geld und es natürlich ein gebrauchtes Handy), schreibe ich noch mit ein paar Leuten aus meiner Klasse, es geht natürlich um Hausaufgaben. Nach einer Viertelstunde gehe ich in Leons Zimmer und sehe das er schon schläft. Ich ziehe ihm die Decke zu seinen Schultern hoch und gebe ihm noch einen Kuss auf die Wange. Ich schaue noch schnell in Mias Zimmer rein. Sie telefoniert. Wütend gestikuliert sie zur Tür. Aha, die will dich los werden. Da hat meine innere Stimme wohl recht. Ich gehe wieder ins Wohnzimmer und versuche mehr oder weniger meine Hausaufgaben zu erledigen. Noch während ich mich für einen Geschichtstest vorbereite schlafe ich ein.

Ich wache erst wieder auf als ich Gelächter aus dem Flur höre. Ich schaue aus dem Fenster und sehe das es schon dunkel draussen ist. Ich schleiche mich leise aus dem Wohnzimmer um Leon nicht zu wecken. Ich höre nochmal ein kichern, doch vermutlich ist es Nina die wieder telefoniert. Ich schlüpfe ins Bad und ziehe eine bequeme Legins an, dazu einen kuschligen Pullover. In den Sachen kann ich ruhig wieder einschlafen. Mein Blick schweift schnell zur Uhr und ich stelle erleichtert fest das es erst kurz vor 10 ist. Ich mache das Licht wieder aus und schleiche zurück zu meiner Tür.

Gerade als ich dieTürklinke runterdrücken will höre ich ein lautes stöhnen aus meinem Zimmer. Verwirrt halte ich inne. Noch mal ein stöhnen und ein quietschendes Sofa. Ich habe schon eine schlimme Vorahnung, es wäre nicht das erste mal aber sie hat es noch nie in meinem Zimmer getan. Ich mache die Tür vorsichtig auf und was ich sehe lässt mich vor Wut die Luft anhalten. In MEINEM Bett/Sofa liegt meine Mutter, nackt und auf ihr ein fremder Mann. Ja, ich habe das erwartet aber nicht in MEINEM Bett/Sofa! Sie halten in der Bewegung inne als sie mich sehen. Meine Mutter lächelt schelmisch. „Schatz, kannst du heute Nacht bei Leon schlafen und stör uns am besten nicht." Bitte was?!!! Hat sie mich gerade aus meinem eigenem Zimmer rausgeschmissen??!!!!

„Wie kannst du nur mit dir Leben?!", fahre ich sie an. Ich würde am liebsten schreien aber das geht nicht, um meiner Geschwisters willen muss ich leise bleiben. Meine Mutter will irgendetwas antworten doch der namenlose Mann verpasst ihr einen Zungenkuss. Also, das ist wohl die Höhe!!! Wutschnaubend gehe ich an meiner Mutter und dem Mann vorbei, dem seine Blösse egal zu sein scheint, ich schnappe meine Schultasche. Nehme mir einpaar Klamotten aus dem Schrank, Handy, Portemonnaie und weg bin ich.

Ich gehe zur Wohnungstür und drehe mich noch einmal zu meiner Mutter um. Sie starrt mich an doch sie kann sich nicht bewegen weil der Mann sie festhält. Ich schließe die Tür auf und verlasse die mickrige Wohnung. Hinter mir höre ich immer noch leises Stöhnen aber auch ein paar Wortfetzen. „Meine Tochter...", da wird meine Mutter wieder unterbrochen.

Ich renne die Treppen runter aus dem Gebäude raus und zum Bahnhof. Ich warte dort auf den nächsten Zug der mich weg bringt. Weg von meiner Mutter, weg von diesem Ort der sich zu Hause nennt. Mit einem lauten zischen hält der Zug, ich steige ein und fahre ab, ohne zu wissen wo ich überhaupt hin will.

Allein Gegen den Rest der WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt