Chapter 5 - Geheimnisse

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Ich lief zu dem weißen, großen Kleiderschrank am Ende des Raumes und nahm die restlichen Sachen, die sich noch dort befanden heraus. Die zu groß geratene, breite Handtasche aus schwarzem Kunstleder war fast komplett gefüllt. Sie war ein Fehlkauf meiner Mutter und diente seitdem als Reisetasche - genug Platz war immerhin vorhanden. Bei dem Gedanken, dass ich einen elendig langen Krankenhausaufenthalt hinter mir hatte und heute endlich in mein vertrautes Heim zurückkehren durfte, ließ mein Unterbewusstsein Purzelbäume schlagen.

Dieser Geruch von Desinfektionsmitteln, diese Sauberkeit und ständige Perfektion, es nervte mich. Ich wollte zurück in mein weiches, großes Doppelbett dessen Farbe Treibholz ähnelte. Ich erinnerte mich an eine Lichterkette und an mein wohl bekanntes Chaos. Ich vermisste es.

Punkt zwölf Uhr Mittags - pünktlich wie die Bauarbeiter - holte mich mein Vater ab. Seine hellblauen Augen funkelten vor Freude. Er nahm die schwarze Handtasche, sah mich an und fragte: "Bereit?"

"Ja."

"Schaffst du es bis zum Auto oder soll ich eine Krankenschwester um Hilfe bitten, Prinzessin?"

"Ich schaffe das, Dad. Meine Schmerzen sind fast vollkommen verschwunden.", und das war nicht einmal gelogen, denn wenn ich ein paar Wochen zurück dachte, wurde mir bewusst, welche Vorschritte ich gemacht hatte.

"Okay. Deine Mutter und ich haben eine Überraschung für dich, aber mehr verrate ich nicht."

Eine Überraschung? Ich war mir nicht sicher, ob sie mir gefallen würde, denn wie vermutlich jedes Kind weiß, heißen Überraschungen nicht immer etwas Gutes.

"Auf geht's!", rief mein Vater.

Ich folgte ihm, raus aus dem Krankenhaus, vorbei an unzählig vielen Zimmern, bis wir den Parkplatz erreichten. Meine Mom saß bereits im Auto und winkte mir zu. Ich lächelte und begrüßte sie.

"Hallo, Mom!"

"Hey, mein Schatz! Aufgeregt?"

Weshalb? Der Überraschung?

"Nein, eher froh endlich nach Hause zu dürfen.", gestand ich ohne lange Überlegungen.

Ich setzte mich auf die Rückbank und hörte den Motor der alten Karre rattern - wäre es anders, hätte ich mir Sorgen gemacht. Mein Vater legte den Rückwärtsgang ein, parkte aus und trat auf das Gaspedal.

Während der Fahrt hatte ich genügend Zeit und vor allem genügend Stoff zum Nachdenken. Die üblichen Fragen stellten sich mir. Was war passiert? Warum sprach niemand mit mir darüber? Wem gehörte die Niere? Ich fragte mich sogar, warum der Spender nicht einmal versucht hatte an meinem Zimmer vorbei zu schauen. Wollte er nicht? Durfte er nicht? Wusste er nicht, wem er seine Niere gegeben hatte oder war er vielleicht tot? Diese Ungewissheit quälte mich, verfolgte mich in meinen Träumen und ließ mir kaum eine ruhige Nacht. Ich schüttelte den Kopf, in der Hoffnung, dass die Gedanken verflogen und schaute auf die Straße. Mir fiel auf, dass wir diesen Weg nur nahmen, wenn wir vor hatten zu verreisen.

"Dad?"

"Ja, Prinzessin?", antwortete er, "Was ist?"

"Wohin fahren wir?"

"Das ist eine Überraschung, Schatz.", warf meine Mutter ein.

Ich hob eine Augenbraue und sah sie skeptisch an.

"Ich dachte, wir fahren nach Hause."

"Das tun wir doch auch.", meinte mein Vater.

"Das ist aber nicht der übliche Weg nach West Falls."

Man konnte deutlich die Anspannung in meiner Stimme hören.

"Wir entfernen uns immer mehr. Mom? Dad? Was geht hier vor sich?"

"Entspann dich, Schatz und genieße die Fahrt!"

"Mom!"

Warum taten sie mir das an? Ich hatte bereits genug Probleme, mit denen ich mich rumschlagen musste. Hatte ich ihnen den Eindruck vermittelt, dass ich nach mehr bettelte?

Die restliche Fahrt brachte ich kein Wort, nicht einmal einen Laut über die Lippen. Ich dachte mir nur, was sie konnten, konnte ich auch.

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