"Mom! Ich habe nur bei einer Freundin übernachtet. Mach dir bitte keine Sorgen!", sagte ich in das Handy an meinem rechten Ohr.
Ich hörte ein Auto nach dem anderen an uns vorbei rauschen. Stella fuhr bereits hundert Kilometer pro Stunde, doch die anderen überholten uns trotzdem.
"Warum hast du nicht bescheid gesagt?", fragte mich meine Mutter vorwurfsvoll.
"Ich bin kein Kleinkind mehr!", erwiderte ich.
"Kim, du bist dreizehn Jahre alt! Komm sofort nach Hause!"
Deprimiert und zu gleich genervt, da meine Mom mich immer noch wie ihre kleine Prinzessin behandelte, antwortete ich seufzend: "Wir sind auf dem Weg."
Stella, die große Schwester meiner besten Freundin saß am Steuer. Ich bewunderte sie seit der vierten Klasse. Sie studierte, hatte einen Führerschein, wohnte in ihrer eigenen Wohnung und war glücklich vergeben. All das, was ich mir wünschte zu erreichen.
"Eilmeldung! Auf der Great Mountain Road ist ein Geisterfahrer unterwegs. Bitte ...", ertönte es aus dem alten Autoradio.
"Stella, warum machst du das leiser?", fragte ich entsetzt.
Vorsichtig spielte sie an dem Lautstärkeregler herum, aber die Nachrichten wurden weder leiser, noch lauter. Während Stellas Blick fest an dem defekten Radio klebte, richtete ich meinen Kopf auf und schrie: "Stella! Guck auf die Straße!"
Ein Auto kam uns entgegen. Ohne zu zögern riss Stella das Lenkrad nach rechts. Eine panische Angst breitete sich in mir aus. Tränen und Schreie entkamen mir. Ich sah in ihr Gesicht und bemerkte ihren überforderten und zugleich erschrockenen Blick. Der PKW löste sich von der Fahrbahn. Alles um mich herum drehte sich so stark, dass ich die Orientierung verlor. Stellas Hände befanden sich schon längst nicht mehr an dem Lenkrad, obwohl sie es krampfhaft versuchte. Ein mulmiges Gefühl überkam mich, bevor ich einen großen Aufprall wahrnahm.
"Sie wacht auf!", "Achtung, ihr Puls steigt!", hörte ich verschiedene Stimmen rufen.
Meine Umgebung war verschwommen und beim Klang der läutenden Sirenen wollte ich am liebsten wieder einschlafen.
Erst jetzt bemerkte ich unerträgliche Schmerzen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, biss mir auf meine blutende Unterlippe und versuchte dieses grauenhafte Gefühl zu unterdrücken.
"Wir müssen sofort operieren!", befahl eine raue Männerstimme.
Wo war ich? Was war passiert? Egal wie oft und wie energisch ich versuchte an das letzte Ereignis zurückzudenken, es gelang mir nicht.
Ich vernahm ein Ruckeln und sterile Gerüche. Ich konnte nicht beurteilen, ob mich die verschiedenen Düfte, oder andere Dinge ermüden ließen, jedoch verdunkelte sich mein Umfeld. Meine Schmerzen, sie waren wie weggeblasen.
"Piep, piep, piep ..." Dieses in regelmäßigen Abständen erfolgende Geräusch kam mir bekannt vor. Ich hörte ein Tropfen neben mir und beschloss meine letzte Kraft zum Öffnen meiner Augen zu benutzen.
"Liebling?", fragte eine frauliche Stimme nach mir.
"Wie geht es dir?"
Meine Wimpern flatterten bei dem misslungenen Versuch zu reden. Ich bekam lediglich ein "Mom" zustande.
"Ja, ich bin es. Dein Vater ist auch da.", antwortete diese ruhige und vertraute Stimme.
"M-Mom?", stotterte ich.
"Ja, mein Engel?"
"Was ist passiert?", versuchte ich herauszufinden.
"Das spielt momentan keine Rolle. Brauchst, oder möchtest du etwas haben?", antwortete sie.
"Nein."
"Ich lasse dich nur ungern alleine, aber ich werde ein paar Worte mit dem Arzt wechseln.", versicherte sie mir.
Ich nickte einverstanden und sie verließ, zusammen mit meinem Vater den Raum.
Jeder Blick, jedes Wort, jede Bewegung kostete mir wichtige Kraft, dennoch schaute ich mich um. Lauter Nadeln und Schläuche hingen an mir. Allein der Gedanke machte mir Angst. Vorsichtig hob ich meine linke Hand, an der sich ein Pulsmesser befand und berührte eine schmerzende Stelle an meiner Stirn. Ich wusste nicht, warum ich solch starke Verletzungen hatte. Ich wusste nicht einmal, was vor einer Stunde passiert war.
Meine Eltern sprachen eine elendig lange Zeit mit dem behandelnden Arzt, dass sicherlich nichts Gutes hieß, doch ich fühlte mich zu schwach um weiterhin darüber nachzudenken und versuchte zu schlafen.