"Wir sind da!", rief mein Vater.
"Wo?", fragte ich gereizt.
"Zuhause."
"Dad, unser Haus sieht anders aus."
Das Auto stand vor einem weißen Gebäude. Es sah alt und abgenutzt aus. Den Fenstern nach zu urteilen besaß es drei Etagen - die dritte war vermutlich der Dachboden. Obwohl ich nichts wie weg wollte, packte mich die Neugier. Ich stieg aus dem Wagen und betrat die Stufen, die zu der Veranda führten. Sie waren aus grauem Holz und nicht besonders stabil.
Ruckartig drehte ich mich um und sah meine Eltern an, die mittlerweile das Auto verlassen hatten.
"Was soll das? Ich möchte nach Hause!"
"Schatz, du bist Zuhause."
"Nein, Mom! Unser Haus steht in West Falls und nicht hier - wo auch immer wir sein mögen. Warum tut ihr mir das an?"
Wut und Verzweiflung breitete sich in mir aus.
"Kim, es ist nur zu deinem Besten. Momentan mag das alles verwirrend und neu für dich sein, aber mit der Zeit wirst du unsere Entscheidung verstehen.", versuchte mir mein Dad zu erklären.
"Seitdem ich im Krankenhaus war verstehe ich nichts mehr. Alle verheimlichen etwas vor mir und das Schlimmste daran ist, dass ich nicht einmal weiß warum. Meint ihr nicht, dass man einen Umzug mit der Familie hätte besprechen müssen? Ich hatte Freunde in West Falls und ein Leben."
Ihr Gesichtsausdruck wurde schlagartig ernster.
"Welche Freunde, Kim?", wollte meine Mom wissen.
Ich dachte nach, krampfhaft, doch sie fielen mir nicht ein - nicht einmal eine einzige Person.
"Mom? W-wieso kann ich mich nicht erinnern?"
"Prinzessin, du bist fertig und übermüdet. Komm mit ins Haus und leg dich schlafen.", schlug mein Vater vor.
"Moment! Das Haus ist eingerichtet? Wie lange wohnt ihr schon hier?"
"Zwei Wochen."
Ich schluckte.
"Ich nehme an, dass ihr mir auf die Frage, wieso ihr mir nichts erzählt habt, nicht antworten werdet."
"Kim, wir ...", stotterte meine Mom.
"Vergesst es. Könnt ihr mir mein Zimmer zeigen? Ich wäre gerne alleine."
Meine Stimme klang kalt und abweisend. Wie hätte ich nach solch einer Aktion auch sonst klingen sollen? Ich war frustriert und wütend. Wenn sie mir doch wenigstens verraten hätten, warum sie all diese Veränderungen für richtig hielten. Vielleicht hätte sich meine Wut in Verständnis, oder zumindest in Akzeptanz umgewandelt.
"Folge mir."
Ich tat, was mein Dad mir sagte. Wir liefen durch einen großen Flur, eine schmale Holztreppe hinauf, bis wir vor einer weiteren Treppe stehen blieben.
"Die dritte Etage gehört dir. Es ist der Dachboden."
Vorsichtig tappte ich die winzigen Stufen hinauf. Für einen Augenblick war ich komplett fassungslos. Das Zimmer war riesig und sah wunderschön aus. Sowohl über meinem Schlafplatz, an dem seitlich helle, durchsichtige Schleier herunter fielen, als auch über der kleinen Couchecke, die sich gegenüber von einem großen Flachbildschirm befand, hingen Lichterketten. Neben einer kleinen Kommode, auf der sich vier Teelichter befanden, schmückten unzählige kleine Fotos aus meiner Kindheit die Wand. Alles wirkte gemütlich und vertraut. Selbst der helle Teppichboden und das dunkle, alte Holz an den Wänden gefiel mir.
Ich wusste nicht recht wonach mir war. War ich wütend? War ich verärgert? War ich zufrieden, oder sogar erleichtert? In einer Sache war ich mir zumindest sicher. Ich brauchte Ruhe und vor allem Zeit, um die vielen Geschehnisse verarbeiten zu können.