5. Ivana

6.3K 319 37
                                    

Nachdem wir eine weitere halbe Stunde geredet hatten, wollte ich umbedingt tanzen.

"Wollen wir tanzen?", fragte ich deshalb und beide nickten sofort.

"Na dann los." Ich packte beide am Handgelenk und zerrte sie durch die Menge auf die Tanzfläche. Im Grunde war zwar alles eine Tanzfläche, aber nicht alle Menschen tanzten hier.

Sofort fingen Dean und ich an irgendwelche Tanzbewegungen zur Jazz Musik zu machen. Doch es war wirklich schwerer als gedacht, den richtigen Rhytmus und Tanzstil zu dieser Art von Musik herauszufinden. Vorallem, wenn man noch nie zuvor dazu tanzen musste.

"Das kann man ja nicht mit ansehen.", lachte Ikarus irgendwann. "Ich brings euch bei."

Und damit begangen die lustigsten Minuten meines Lebens. Er zeigte uns irgendwelche Bewegungen, die wir versuchten nachzumachen. Nach einer Stunde konnte ich zum einen nicht mehr stehen und zum anderen trotzdem noch nicht tanzen.

"Ich brauch was zu trinken.", hechelte ich und zog meinen Bruder und unseren neugewonnenen Freund zurück zur Bar.

"Ich auch.", stimmte mir Dean zu und auch Ikarus nickte.

"Aber nur noch ein Wasser. Das reicht mir für heute Nacht."

"Sicher? Einen Bourbon würde ich dir sogar noch ausgeben.", versuchte mich der 18-Jährige zu überreden.

Tatsächlich dachte ich noch über sein Angebot nach. Der Bourbon war lecker gewesen, trotz des anschließenden Brennens im Hals. Irgendwie fand ich sogar, dass er am Anfang etwas süßlich geschmeckt hatte.

Also nickte ich. "Okay gut."

"Super", freute er sich und bestellte sofort 3 mal. "Du, mein Freund, bekommst natürlich auch einen", meinte er lächelnd und schlug Dean auf die Schulter.

"Irgendwann werde ich mich revanchieren", sagte er bloß und lächelte.

"Auf jeden Fall!", stimmte ich zu.

"Prost! Auf euren ersten und niemals letzten Tag hier in New Orleans", sagte Ikarus und wir stießen unsere Gläser in der Höhe zusammen.

"Sag mal, wieso bist du eigentlich alleine hier?", rutschte mir irgendwann die Frage heraus und ich wusste nicht, ob sie beleidigend klang oder in Ordnung war.

Er zuckte mit den Schultern. "Meine Freunde hatten keinen Bock." Er schaute kurz auf den Tresen. "Und ich wollte ein bisschen Spaß haben", sagte er, doch ich wusste, dass noch mehr dahinter stecken musste. Wenn ich eines von meinen Eltern gelernt hatte, dann war es zu erkennen, wenn jemand nicht die ganze Wahrheit sagte.

Und trotzdem sagte ich nichts dazu. Ich brachte nur ein kleines Aha heraus.

"Ja also, wie wärs wenn wir noch ein bisschen in der Straße herum laufen? Natürlich nur, wenn ihr Lust habt und wenn ihr nicht umbegingt hier bleiben wollt", schlug Ikarus vor und man konnte deutlich hören, dass das letzte Glas Bourbon zu viel war.

Ich nickte und stimmte seinem Angebot zu, da mir etwas frische Luft auch ziemlich gut tun würde. "Ich wollte sowieso mal an die frische Luft gehen." Fragend schaute ich danach zu Dean. Immerhin hatte er noch nicht viel dazu gesagt.

"Alles was meine kleine Schwester haben will", lachte er und machte sich bereit loszugehen.

"Na dann, Ladys first", meinte Ikarus und ließ mich voranschreiten.

Als wir endlich vor der Bar standen, atmete ich ersteinmal die frische Luft ein. Nur um danach heftig zu husten, da es keine frische Luft war, sondern Zigarettenqualm.

"Alles gut?", fragte Dean und war sofort an meiner Seite.

Langsam nickte ich, jedoch mit Tränen in den Augen, die durch den Qualm verursacht wurden.

"Hier rauchen sehr viele Leute. Vorallem Abends in dieser Straße. Wenn du öfter hier her willst, musst du dich leider etwas daran gewöhnen. Apropos rauchen." Ikarus kratzte sich im Nacken und schaute kurz auf den Boden. "Ich bin auch ein Raucher. Mehr Gelegenheitsrauche Ich hoffe es macht euch nichts aus."

Es schockte mich leicht, dass Ikarus ein Raucher war. Natürlich hatte ich nichts gegen solche Menschen. Ich verstand es nur nicht, wieso man so etwas anfing, wenn man sein Geld doch auch für andere Dinge ausgeben könnte. Zumal Zigaretten nicht einmal schmeckten. Außerdem sah er einfach nicht danach aus. Aussehen können also doch täuschen.

"Mir macht es nichts aus. Solange du mich mit dem Rauch nicht anpustest.", antwortete ich also und schaute ihm in die Augen. So etwas fand ich nämlich einfach nur widerlich.

"Werde ich nicht tun.", versicherte er mir eindringlich.

"Mir macht es auch nichts, zumal ich an Partys auch oft rauche.", gestand Dean und lächelte uns beide schief an.

Ja, ich wusste von seinen Bekanntschaften mit Zigaretten und hatte es ihm auch schon oft genug versucht auszureden. Zum Glück war Dean nicht so beliebt gewesen, dass er oft auf Partys war und rauchte. Er hatte in unserer alten Heimat zwar den ein oder anderen Freund gehabt, mit dem er auf Housepartys gehen konnte, aber oft war er auch einfach bei mir geblieben. Er ähnelte mir einfach erschreckend stark. Vermutlich hatten wir auch deshalb eine so starke geschwisterliche Verbindung. Ich würde mich immer für ihn entscheiden, wenn ich zwischen ihm und jemand anderem wählen müsste. Da war ich mir sicher. Und das trotz seiner kleinen Macken, denn die hatte doch jeder. Ich war ihm einfach unendlich dankbar, dass es ihn gab und dass wir vom Alter her nicht weit auseinander lagen. Wir wurden sogar noch im selben Jahr geboren, nur dass Dean im Januar Geburtstag hatte und ich im Dezember. Irische Zwillinge nennt man uns deswegen. Und irgendwie finde ich es sogar ganz cool.

"Dann bin ich erleichtert.", meinte Ikarus und legte seine rechte Hand auf seine Brust.

Ich musste leicht lächeln. Doch dann verzog er leicht sein Gesicht und seine Hand wanderte langsam von seiner Brust zu seinem Bauch.

"Ich will euch jetzt nicht beunruhigen, aber mir ist kotzübel.", gestand Ikarus plötzlich und hielt sich schnell die andere Hand vor den Mund. Irgendwie wusste ich sogar schon, dass so etwas in der Richtung passieren würde. Nur hatte ich nicht damit gerechnet, dass es hier inmitten so vieler anderer Menschen passieren würde.

Hektisch schaute ich mich also um, damit er sich nicht direkt vor unsere Füße übergeben musste. Rechts von mir sah ich dann einen kleines Toilettenschild und zerrte ihn, an seinem Handgelenk, dorthin. Bei der Jungentoilette hielt ich kurz an, ging dann aber trotzdem mit Ikarus hinein. Es war mir gerade egal, dass ich ein Mädchen war und somit verbotenes Land betrat.

Einige Männer schauten mich trotzdem zweifelnd und leicht verwirrt an. Aber keiner sagte etwas, als sie den mittlerweile bleich gewordenen Ikarus neben mir stehen sahen. Einige verschwanden dann sogar, ließen aber die Türe der Toiletten offen, da sie klemmte, wie ich kurz zuvor bemerkt hatte.

Schnell schob ich Ikarus in eine der Toiletten. Dean war dicht hinter mir.

"Los mach schon.", drängte Dean ihn und ich schaute ihn böse an.

"Zwing ihn nicht dazu. Er wird kotzen, wenn er kann."

Ikarus saß auf seinen Knien und stützte sich mit den Händen auf der Toilette ab. Er würgte, doch nichts passierte.

■17.08.16■

Die Tochter des Bodyguards Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt