Kapitel 9 - Ich hab 'nen Zettel hinterlassen, doch ich hatte keinen Stift

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Am Morgen wurde Mia von einem Geräusch geweckt, was sie zunächst nicht zuordnen konnte. Verwirrt setzte sie sich auf und blickte sich in ihrem Schlafzimmer um. Es dauerte einige Sekunden, bis sie vollends wach war.

Das Licht im Raum war gedämpft, draußen konnte sie den grauen Berliner Himmel erkennen, der darauf schließen ließ, dass es noch immer regnerisch war. Sie blickte neben sich. Lukas war nicht mehr da.

Ein seltsames Gefühl breitete sich in Mias Magengegend aus. War er gegangen, ohne sich zu verabschieden? Hatte sie ihn etwa mit ihrer Vorgeschichte vergrault?

Nur widerwillig schälte sie sich aus dem Bett und stand auf. Langsam ging sie durch die weit geöffnete Tür in die Wohnküche, blieb in der Mitte des Raums stehen und lauschte. Nichts. Totenstille, als hätte jemand jedes Geräusch aus ihrer Wohnung getilgt. Die Badezimmertür stand ebenfalls weit auf, dort war Lukas also bestimmt auch nicht zu finden. Niedergeschlagen senkten sich ihre Schultern. Er war also wirklich gegangen und hatte sie alleine zurück gelassen.

Mia fischte nach kurzem Überlegen ihr Smartphone aus ihrer Handtasche. Wie üblich hatte sie keine Nachrichten darauf, was aber nicht wirklich verwunderlich war, denn bislang hatte ja auch niemand außer Miriam ihre neue Nummer. Mit ihr hatte sie allerdings nur sporadisch Kontakt. Sie startete also nur die App, mit der sich die WLAN-Streaming-Box bedienen ließ und startete eine ruhige Spotify-Playlist mit dem Titel „Evening Acoustic". Der Tag hatte zwar gerade erst begonnen, aber zu so einem trüben Sonntag passte die Musik einfach bestens.

Sie verschwand im Bad und beschloss, eine heiße Dusche zu nehmen, um den Kopf ein wenig frei zu bekommen. Es widerstrebte ihr, das zuzugeben, aber Lukas' plötzliche Abwesenheit machte ihr schrecklich zu Schaffen. Seit Freitagabend hatte sie beinahe jede Sekunde mit ihm verbracht und ihr gefiel dieses Gefühl, welches er in ihr auslöste. Sicherheit. Behaglichkeit. Er verströmte so eine Wärme mit seiner bloßen Anwesenheit, dass es schon fast unheimlich war.

Während das heiße Wasser auf sie niederprasselte, starrte sie ein wenig abwesend auf die Fliesen an der Wand. Mia versuchte krampfhaft, ihre momentanen Gefühle in Worte zu fassen, doch es gelang ihr nicht. Sie fühlte sich wieder genauso leer wie vor dem Treffen mit Lukas. Der Kontakt mit anderen Menschen tat ihr einfach gut, sie brauchte das. Gleich Morgen würde sie versuchen, einen kleinen Nebenjob zu finden, bis sie sich entschieden hatte, wie es mit ihrer beruflichen Zukunft hier in Berlin weitergehen sollte.

Nach etwa einer Viertelstunde stieg sie aus der Dusche, trocknete ihre nasse Haut und schlüpfte in die Kleider von gestern Abend. Ihr Haar umwickelte sie mit einem zweiten Handtuch und warf sich schließlich wieder in ihr Bett. Sie hatte keine Lust, sich Frühstück zu machen, obwohl sie unglaublichen Hunger hatte. Ein Blick auf ihr Smartphone verriet, dass es gerade erst neun Uhr morgens war.

Gedankenverloren starrte sie durch ihr Fenster hinaus in den grauen Himmel und war gerade dabei, wieder einzudösen, als sie einen Schlüssel hörte, der in das Schloss ihrer Wohnungstür gesteckt wurde. Erschrocken fuhr sie hoch und ihr Herz klopfte bis zum Hals. „Lukas?", fragte sie mit zitternder Stimme.

„Ja?", rief dieser fröhlich zurück. Mia atmete innerlich auf und ein zentnerschwerer Stein fiel ihr vom Herzen. Ihre Angst, Jan könne sie irgendwann hier aufstöbern, war einfach immer präsent...

„Na, gut geschlafen?", fragte Lukas, als er den Raum betrat. In der einen Hand trug er zwei Coffee to go Becher in einer entsprechenden Halterung, in der anderen eine ziemlich große Papiertüte.

„Ja.", erwiderte Mia und lächelte zu ihm auf. Sie freute sich wirklich, ihn zu sehen und war erleichtert, dass er doch nicht wie befürchtet die Flucht vor ihr ergriffen hatte. „Was hast du da?", wollte sie schließlich wissen und deutete auf die Tüte.

„Frühstück.", erwiderte Lukas und schien ziemlich zufrieden mit sich selbst zu sein.

„Ich dachte, du wärst einfach gegangen.", sagte Mia plötzlich. Wie so oft sagte sie einfach, was sie dachte – ohne es vorher zu überdenken.

Er wirkte im ersten Moment verwirrt, stellte dann aber seine Mitbringsel auf den Boden und warf achtlos die Jacke in die Ecke, bevor er sich ihr gegenüber aufs Bett setzte. Lukas umfasste Mias Gesicht mit beiden Händen und gab ihr einen kurzen, vorsichtigen Kuss, der sie beide zum Grinsen brachte. „Das ist eigentlich nicht meine Art. Ich dachte, du schläfst einfach weiter und ich könnte dich überraschen. Sorry, ich hab 'nen Zettel hinterlassen, doch ich hatte keinen Stift."

Sie musste lachen. „Das ergibt keinen Sinn.", bemerkte Mia trocken.

Lukas zwinkerte ihr zu. „Ach, wer weiß, vielleicht ja schon... Aber jetzt lass uns erst einmal frühstücken. Ich sterbe vor Hunger."

Narben (Alligatoah Fan Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt