Kapitel 23 - Was war und was bleibt

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Mia tat es gut, den Tag mit Lukas im Bett zu verbringen und einmal an nichts denken zu müssen. Glücklicherweise war die Speisekammer des Ferienhauses gut gefüllt mit allerlei lang haltbaren Lebensmitteln, sodass sie nicht einmal einkaufen mussten. Zwar war der Speiseplan so nicht besonders ausgewogen, aber verhungern mussten sie nicht.

Lukas' Handy klingelte beinahe stündlich, doch nach einem kurzen Blick auf das Display legte er das Gerät jedes Mal wieder beiseite, ohne einen einzigen Anruf anzunehmen. Immer, wenn Mia ihn darauf ansprach, ob er nicht rangehen wolle, winkte er nur ab.

*

Als am frühen Abend das Smartphone erneut ertönte, hielt Lukas nicht einmal inne, da er sich kurz zuvor über Mia gebeugt hatte, um sie zu küssen.

„Da hat jemand Sehnsucht nach dir.", flüsterte sie.

„Egal, ich hab gerade Wichtigeres zu tun.", erwiderte er, zog sie näher zu sich und ließ seine Hände ihren nackten Rücken hinab wandern.

Mias Haut begann dort, wo er sie berührt hatte, angenehm zu prickeln.

„Du bist ganz schön Unersättlich.", sagte sie kichernd.

„Mhm.", erwiderte Lukas nur und schob seine Hand zwischen ihre Beine. Ganz langsam wanderte er auf der Innenseite ihrer Oberschenkel nach oben.

„Eigentlich wollte ich gerade duschen gehen.", sagte Mia schnell, bevor er sein Ziel erreicht hatte. Denn dann wollte sie ganz bestimmt nicht mehr aufstehen...

„Ich auch.", erwiderte Lukas grinsend.

„Wie blöd, dass es hier nur ein Badezimmer gibt. Da wirst du wohl warten müssen, bis ich fertig bin.", neckte Mia ihn.

„Ich warte aber nicht gern.", gab er zurück und begann, mit Mittel- und Zeigefinger ihre empfindlichste Stelle zu streicheln.

Mia stöhnte leise und schloss ihre Augen. Seine Lippen suchten ihre und gierig küsste sie ihn.

„Vielleicht können wir ja zusammen duschen."

„Super Idee.", erwiderte er grinsend, stand auf und zog sie mit sich.

*

„Okay. Willst du mir jetzt erzählen, wer dich den ganzen Tag anruft und warum du nicht an dein Telefon gehst?", fragte Mia ihn nach dem Abendessen, als sie vor dem kleinen Elektrokamin saßen und die wohlige Wärme genossen, die sich im Raum ausbreitete. Mia trug einen viel zu großen Hoodie von Lukas und eine ihrer Leggins, auch er hatte sich etwas Bequemes angezogen.

Aufmerksam blickte sie ihn an. Mia lag leicht erhöht und hatte ihre Beine auf Lukas' Schoß platziert, der im Schneidersitz dasaß und abwesend auf das künstliche rote Glühen der Kohlen starrte.

„Meine Jungs. Ich hab gestern eine Nachricht an alle geschickt, dass ich für ein paar Tage im Urlaub und nicht erreichbar bin. Sie bombardieren mich auch mit Nachrichten. Keine Ahnung, was das soll. Das Konzert am Samstag ist der letzte Auftritt bis Mai gewesen. Eigentlich sollte ich mir mal eine Auszeit verdient haben."

„Vielleicht solltest du einfach mal ans Telefon gehen. Eventuell geht es ja auch um etwas Wichtiges."

Er seufzte. „Es ist immer irgendetwas Wichtiges..." Abwesend strich er mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand über ihr Schienbein.

Mia ließ sich in die Kissen sinken und schaute gedankenverloren an die Zimmerdecke.

„Ich glaube, wir müssen reden.", sagte Lukas nach einer Weile.

„Worüber denn?" Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrer Magengrube aus.

„Über Jan."

„Das habe ich befürchtet.", seufzte Mia und setzte sich nun ebenfalls in den Schneidersitz. Ihren linken Ellenbogen stützte sie auf der Sofalehne ab und bettete den Kopf in ihre Hand. „Dann schieß mal los."

Lukas blickte sie ernst an. „Wie gefährlich ist dieser Typ? Als du mir das erste Mal von ihm erzählt hast, dachte ich, er sei nur ein Arsch. Mittlerweile kommt es mir aber vor, als würde mehr dahinter stecken."

Sie nickte. „Ich weiß es nicht genau, aber ich vermute, er hat eine Persönlichkeitsstörung. In den vergangenen Jahren habe ich immer mal wieder Gespräche zwischen seiner Mutter und ihm mitgehört. Also, rein zufällig. Sie hat ihn in regelmäßigen Abständen gefragt, ob er seine Tabletten nimmt und noch regelmäßig zu seiner Ärztin geht. Anfangs habe ich vermutet, dass er irgendwelche körperlichen Beschwerden hat, über die er nicht mit mir reden will. Nach und nach hat sich aber der Verdacht bestätigt, dass es wohl ein Psychisches Leiden ist... Ich habe mich nie getraut, ihn darauf anzusprechen."

Er nickte. „So etwas habe ich mir schon fast gedacht.", sagte er. Ein bitterer Ausdruck lag auf seinem Gesicht. „Was macht er beruflich?", wollte er gleich darauf wissen.

Mia biss sich auf die Unterlippe. „Er studiert Jura."

Lukas' Augen weiteten sich, bevor er kurz auflachen musste. „Nicht dein Ernst!"

„Eigentlich schon."

„Tja, wenn er bei anderen Leuten einbricht, scheint er ja nicht viel von den Gesetzen zu halten, die er da paukt..." Dann schwieg er für einen Moment und Mia konnte sehen, wie es in seinem Kopf ratterte. „Also hast du auch Jura studiert?", fragte er schließlich, die Augenbrauen fragend gehoben.

Sie nickte nur. „Ja. Also, ich bin noch nicht fertig. Das erste Staatsexamen habe ich hinter mir und müsste jetzt das Referendariat machen."

„Und das willst du nicht?" Lukas schien fassungslos zu sein.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Eigentlich schon. Wenn ich allerdings irgendwo anfange, weiß ich, dass Jan mich finden wird – beziehungsweise hat er das ja schon! Er hat durch seinen Vater und Opa, der selbst Anwalt war, ziemlich gute Beziehungen und ich hätte so wahrscheinlich nie Chancen auf einen Job. Jetzt erst Recht nicht, da er weiß, wo er nach mir suchen muss."

Sein Kiefer spannte sich an. Wie immer, wenn er sauer wurde. „Dieser Typ ist echt nicht mehr normal. Warum macht er das? Was bringt es ihm, dir dein Leben zur Hölle zu machen? Das ergibt doch keinen Sinn!"

„Naja. Wenn er wirklich eine Persönlichkeitsstörung hat, muss er sich in seinem Kopf irgendwie zusammen gesponnen haben, dass ich ihm gehöre. Zumindest hat er das immer gesagt: dass ich sein Eigentum wäre und er mit mir machen kann, was er will. Dass er mich überall finden wird und ich ihm nicht entkommen kann. Dass er mir das Leben zur Hölle macht, wenn ich abhaue."

Er schüttelte den Kopf. „Sorry, aber ich verstehe absolut nicht, wieso du dich von diesem Typen so dermaßen unterbuttern lässt. Wieso gehst du nicht einfach zu einem Anwalt und tust etwas? Du solltest ja wohl am ehesten eine Ahnung haben, was zu tun ist."

Sie spürte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Mühsam blinzelte sie diese weg und gab sich Mühe, mit gefasster Stimme weiterzusprechen. „Du hast Recht. Aber ich hab' Angst, dass ihn das erst so richtig wütend macht. Er hat schon so oft gedroht, mich umzubringen – was, wenn er die Drohung wahr macht?"

Erschrocken schaute Lukas sie an. „Er will dich umbringen? Wie krank ist das denn?"

Mia zuckte nur mit den Schultern.

Lukas rückte zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Lass uns noch ein paar Tage hier bleiben, okay? Ich lass mir was einfallen, wie wir den Kerl loswerden.", versprach er.

Sie nickte. Die Hoffnung keimte in ihr, dass es wirklich ein Leben geben konnte, in dem Jan nicht präsent war. „Okay.", sagte Mia schließlich.

Plötzlich breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus.

„Was ist?", fragte sie irritiert.

„Och...", sagte Lukas nur und drückte sie behutsam nach hinten in die Kissen. Sofort war er über ihr und küsste sie.

„Du bist jetzt in Stimmung? Ist das dein Ernst?", fragte Mia und schaute ihn zweifelnd an.

„Du etwa nicht?", fragte er mit rauer Stimme und fuhr mit der Hand unter den Hoodie, den sie trug.

Beinahe im selben Moment bekam Mia Gänsehaut. „Nicht wirklich..." Nun breitete sich allerdings ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus, als sie ihre Beine um seine Hüfte schlang und Lukas' Körper näher an ihren zog. „Aber was nicht ist, kann ja noch werden...", flüsterte sie, vergrub ihre Hände in seinem Haar und küsste ihn gleich darauf leidenschaftlich.

Narben (Alligatoah Fan Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt