Draußen dämmerte es bereits, als Mia die Augen öffnete. Es dauerte einen Moment, bis sie sich vollständig orientiert hatte. Sie war in ihrer Wohnung und vermutlich, wie die letzten Wochen so oft, in ihrer Sitzecke eingeschlafen. Mia lag auf der Seite und versuchte sich an den vorherigen Abend zu erinnern. Plötzlich fiel es ihr wieder ein: Luke. Mit einem Mal war sie hellwach. Hatte sie all das nur geträumt?
Vorsichtig drehte sie sich auf die andere Seite, darauf bedacht, kein Geräusch zu machen.
Und da lag er: friedlich schlafend auf dem Rücken, die linke Hand ruhte auf seinem Bauch, die andere auf dem Boden. Das Gesicht hatte er ihr zugewandt, seine langen Wimpern warfen zarte Schatten auf seine Wangen. Sein am Abend zuvor noch so ordentlich frisiertes Haar war hoffnungslos zerzaust.
Mia lag lange so da und schaute ihm beim Schlafen zu. Ihr Kopf war angenehm leer; es tat gut, ausnahmsweise einmal an gar nichts denken zu müssen... Die Ruhe, die er ausstrahlte, ließ sie ebenso ruhig werden.
Plötzlich rührte er sich und Mia schloss schnell ihre Augen. Kurz verkrampfte sich jede Faser ihres Körpers als sie spürte, wie seine Finger nach ihren tasteten und er ihre Hand schließlich fest umschloss. Ihr Herz hämmerte gegen die Brust und Mia traute sich erst nach einigen Minuten wieder, die Augen zu öffnen. Er schlief nicht, wie sie es zunächst gehofft hatte, sondern schaute sie mit müdem Blick an. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.
Sie war unfähig etwas zu sagen. Jedes Wort hätte diesen Augenblick, diese Spannung zwischen ihnen zerstört.
Schließlich drehte sich Luke auf die Seite und rückte gleichzeitig etwas näher zu ihr. Mias Hand ließ er dabei nicht los. Sie konnte seine regelmäßigen Atemzüge und die Wärme, die er ausstrahlte, spüren.
Nach einer Weile hob er seine freie Hand und umfasste damit ihre Wange. Ganz langsam näherte er sich, die Lippen ganz leicht geöffnet.
„Verzögerungsgenuss.", wisperte Mia plötzlich.
Luke hielt inne. „Was?", fragte er verwirrt. Seine Lippen waren nur noch wenige Zentimeter entfernt, seine Nasenspitze berührte ihre.
„Man sollte etwas Schönes so lange wie möglich hinaus zögern. Die Spannung aufrechterhalten.", erklärte sie atemlos und flüsternd. Mia wollte ihn küssen – mit jeder Faser ihres Körpers. Aber sie wollte all dem auch nicht den Zauber nehmen.
Sie konnte spüren, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. „Okay.", hauchte er schließlich. Ganz vorsichtig rückte er wieder ein kleines Stück weg von ihr, hob die Hand, mit der er ihre hielt und gab ihr einen Kuss auf den Handrücken. Dabei schaute er ihr tief in die Augen.
Mias Herz pochte so laut, dass sie Angst hatte, Luke würde es hören.
Kurz darauf stand er umständlich auf und verschwand ohne ein weiteres Wort im Badezimmer. Mia setzte sich auf und schlang die Arme um ihre Knie. Sie zwang sich, langsam zu atmen und ihren Puls unter Kontrolle zu bekommen. Nach einiger Zeit gelang ihr das zu ihrer großen Überraschung sogar.
Luke kam gerade aus dem Badezimmer, als sie selbst aufstand.
Unschlüssig ging sie ein paar Schritte auf ihn zu, er war in Nähe der Wohnungstür stehen geblieben. Die Hände versenkte er in den Hosentaschen. „Lust, frühstücken zu gehen?", fragte er schließlich und schenkte ihr ein Lächeln.
Mia lächelte ebenfalls. „Gerne."
„Prima. Lass mich nur schnell duschen und mich umziehen gehen. Ich hole dich in einer Stunde ab, okay?"
„Klingt super."
Kopfschüttelnd, aber mit einem Grinsen auf den Lippen verließ er die Wohnung und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Mia lauschte und traute ihren Ohren nicht so recht. Luke schien direkt nebenan zu wohnen – zumindest war da gerade jemand dabei, die Tür aufzuschließen.
Kopfschüttelnd verschwand sie im Badezimmer.
Sie entledigte sich ihrer Kleidung vom Vortag und schlüpfte unter die Dusche. Während das heiße Wasser auf sie einprasselte, versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen. Was war in den letzten Stunden passiert?
Sie hatte einen unglaublich tollen Typen kennengelernt, der ihr vermutlich nicht einmal seinen richtigen Name gesagt hatte.
Sie hatten in ihrer Wohnung zusammen Pizza gegessen und Wein getrunken.
Sie waren nebeneinander eingeschlafen.
Am Morgen hatte er ihre Hand gehalten – nicht etwa aus Versehen, sondern weil er es so gewollt hatte.
Sie hätten sich beinahe geküsst.
Und nun würden sie zusammen frühstücken gehen.
Ungläubig schüttelte Mia den Kopf, während sie sich Shampoo in das hüftlange Haar einmassierte. Das war alles viel zu perfekt, um wahr zu sein. Warum sollte gerade sie so ein Glück haben? Es musste einen Haken an der Sache geben...
DU LIEST GERADE
Narben (Alligatoah Fan Fiction)
FanficMia hat sich erst kürzlich von ihrem Freund getrennt und ist Hals über Kopf nach Berlin gezogen. Sie kennt niemanden in der Stadt und möchte einen Neuanfang wagen. Ohne Job und Perspektive gestaltet sich all das aber ganz besonders schwierig - sie i...