Mia wich Lukas nicht von der Seite und hatte sich an seinem Arm festgeklammert. Der Mitarbeiter an der Rezeption beäugte sie mit einem verwirrten Blick, was wohl an ihren geröteten und verheulten Augen lag. Nur am Rande bekam sie mit, dass Lukas ein Zimmer reservierte. Er schien sich hier auszukennen, denn den Weg zu dem ihnen zugewiesenen Raum fand er mühelos.
Er steckte den Schlüssel in das Schloss, öffnete die Tür und bugsierte Mia sanft hinein. Diese nahm gleich darauf auf dem großen Bett Platz und wischte erneut mit dem Ärmelsaum über ihre Nase.
Sie hörte, wie Lukas die Tür hinter sich abschloss und kurz darauf in einem anderen Raum verschwand. Als er zu ihr kam, reichte er ihr ein Gästehandtuch, das wohl aus dem Bad stammte. „Für deine Nase.", erklärte er.
„Danke.", nuschelte Mia.
Lukas entledigte sich seines Mantels und der Schuhe, bevor er sich neben sie im Schneidersitz auf das Bett setzte. „Du musst jetzt mit mir reden.", sagte er ruhig.
Mia nickte, putzte sich die Nase und stand dann auf. „Einen Moment, okay?", sagte sie, bevor sie im Badezimmer verschwand. Sie machte sich nicht die Mühe, die Tür zu schließen, sondern wusch nur ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Mit einem sauberen Handtuch trocknete sie sich ab und vermied es, in den Spiegel zu sehen, bevor sie den Raum verlies. Mia hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie elend sie gerade aussah und wollte es nicht noch vor Augen geführt bekommen.
Von Mantel und Schuhen entledigte sie sich achtlos im Eingangsbereich, bevor sie wieder hinüber zu Lukas ging. Mia setzte sich ihm gegenüber und atmete tief durch, bevor sie sich traute, ihm in die Augen zu schauen.
Er sah unendlich besorgt aus.
„Sorry.", nuschelte Mia. Ihr war all das schrecklich unangenehm.
„Du musst dich nicht entschuldigen."
„Ich glaube schon. Mir ist das alles total peinlich."
Lukas schüttelte den Kopf. „Muss es nicht... Willst du mir noch einmal erzählen, was passiert ist?"
Mia überlegte einen Moment. „Naja, wir standen an der Ampel und ich habe Jan auf der anderen Straßenseite gesehen. Er hat mich angestarrt. Und dann bin ich wohl in Panik geraten."
„Ich muss dich das fragen, okay? Bist du dir sicher, dass er es war?"
Ihr Gesicht wurde ausdruckslos. „Ich bin mir sicher. Überall würde ich ihn wiedererkennen."
Lukas sagte nichts und schüttelte nur den Kopf. Er schien nachzudenken.
„Was ist?", fragte Mia misstrauisch.
„Es gibt Vieles, was ich mich frage. Beispielsweise, wie er dich gefunden hat oder was er eigentlich von dir will..."
„Naja, er hat ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung. Damit lässt sich so Einiges anstellen. Was er von mir will..." Ein eisiger Schauer jagte ihren Rücken hinab und sie schluckte schwer, um die erneut aufkeimenden Tränen zu unterdrücken. „Er hat oft gesagt, dass er mir wehtun wird, wenn ich ihn verlasse.", brachte sie schließlich hervor.
Lukas Züge verhärteten sich, seine Kiefer spannte sich an. „Die Gelegenheit wird er nicht bekommen.", sagte er schließlich.
Mia stand auf und ging hinüber zum Fenster. Ihren Blick ließ sie über den künstlich angelegten Park gleiten. „Ich wollte dich da nicht mit reinziehen.", sagte sie nach einer Weile des Schweigens.
Sie konnte hören, wie Lukas aufstand und zu ihr herüber kam. Dann legte er von hinten seine Arme um Mia und hielt sie fest. „Ich mache dir keinen Vorwurf deswegen. Eigentlich kann ich ganz gut auf mich alleine aufpassen. Um dich mache ich mir allerdings Sorgen."
„Das musst du nicht."
Er lachte spöttisch. „Mia, jetzt mal ernsthaft. Der Kerl klingt nach deiner Beschreibung ziemlich gefährlich." Einen Moment schwieg Lukas, bevor er weitersprach. „Ich möchte nicht, dass dich jemand verletzt."
Mia schwieg. Was sollte sie auch groß sagen? Dass ihr niemand wehtun würde? Das wäre eine glatte Lüge. „Wie geht es denn jetzt weiter?", fragte sie stattdessen.
„Mh." Für einen Moment dachte Lukas nach. „Ich schlage vor, wir lassen uns etwas zum Mittag aufs Zimmer bringen. Gegen Abend würde ich dann gerne wieder in die Wohnung fahren."
Sie spürte, wie sich ihr Körper unwillkürlich anspannte. Eine Spur zu hektisch löste sie sich aus Lukas' Armen und drehte sich zu ihm um. „Ich... weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.", stammelte sie unsicher und starrte zu Boden.
„Mia, ich lass mich doch von niemandem aus meiner eigenen Wohnung vertreiben. Außerdem hast du ihn auf der Straße gesehen. Das bedeutet doch noch lange nicht, dass er weiß, wo du wohnst. Außerdem hat er doch wahrscheinlich auch keine Ahnung, wer ich bin. Bleib einfach bei mir, dann passiert dir nichts, okay?"
Sie dachte für einen Moment nach und nickte dann. „Du hast Recht."
Er zwinkerte ihr zu. „Das hab ich immer. Bin halt ein cleveres Kerlchen."
Sie spürte, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. „Und so bescheiden."
„Eine meiner besten Eigenschaften."
Lukas küsste Mia, bevor er sie erneut in eine feste Umarmung zog. Den Kopf vergrub er in ihrem Haar. „Dir passiert nichts.", versprach er.
Mia nickte nur und schlang die Arme um seine Mitte.
Sie konnte sich wirklich glücklich schätzen, Lukas zu haben. Wieder einmal konnte sie nicht fassen, welches Glück sie hatte.
Vielleicht wollte das Schicksal ja all das Schlechte, was ihr in den letzten Jahren wiederfahren war, wieder gut machen und nur deshalb hatte sie ihn getroffen?
*
Den Sonntag hatten sie mit Fernsehen im Hotelzimmer verbracht. Als es allmählich dämmerte, stiegen sie schließlich in Lukas' Mini und fuhren zurück zur Wohnung.
Je näher sie ihrem Ziel kamen, umso unangenehmer wurde das Gefühl in Mias Magengegend.
Mit zitternden Fingern steckte sie den Schlüssel in das Schloss ihrer Wohnungstür. Lukas ging zuerst hinein und betätigte den Lichtschalter neben der Tür. Mia wollte nur einige Dinge holen. Zielstrebig ging sie an Lukas vorbei ins Schlafzimmer und wunderte sich einen Moment darüber, wieso das Licht brannte. Dann fiel der Blick auf ihr Bett und sie erstarrte, als sie einen Zettel darauf liegen sah.
Sie unterdrückte einen Schrei und schlug sich die Hand vor den Mund. Mit zitternden Beinen näherte sie sich, um zu sehen, was darauf stand.
Ich finde dich überall.
Sonst nichts. Sofort erkannte sie Jans saubere Handschrift.
„Lukas?", brachte sie hervor, Panik schwang in ihrer Stimme mit.
„Was ist?", fragte er, als er das Zimmer kam und neben sie trat.
Mia deutete nur mit dem Zeigefinger auf das Papier.
Es dauerte einen Moment, bis er etwas sagte. „Wir rufen die Polizei." Der Unterton verriet, dass er keinen Widerspruch duldete.
Also nickte sie nur.
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Narben (Alligatoah Fan Fiction)
FanfictionMia hat sich erst kürzlich von ihrem Freund getrennt und ist Hals über Kopf nach Berlin gezogen. Sie kennt niemanden in der Stadt und möchte einen Neuanfang wagen. Ohne Job und Perspektive gestaltet sich all das aber ganz besonders schwierig - sie i...