Kapitel 38 - Entweder passen wir uns den Veränderungen an oder bleiben zurück

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„Und?", fragte Lukas, noch bevor Mia überhaupt gänzlich im Wagen saß. Er hatte darauf bestanden, sie zu ihrem Vorstellungsgespräch zu fahren und war – wie immer – nicht davon abzubringen gewesen.

„Es lief gut.", sagte sie und schnallte sich an.

„Gibt es Details?", bohrte er weiter.

Mia musste lachen. „Lukas, du bist wie ein Eichhörnchen auf Speed. Beruhig dich mal. Ich erzähl dir schon alles."

Er grinste entschuldigend. „Sorry."

„Also, es lief – wie gesagt – gut. Er war begeistert, dass ich Jura studiert habe. So jemand würde ihm im Team noch fehlen, hat er gemeint. Er hat mir zwei Kapitel eines Buches mitgegeben, die ich bis Freitag lektorieren soll. Wenn das okay ist, habe ich eine gute Chance, den Job zu bekommen. Gearbeitet wird im Home Office, einmal die Woche gibt es ein Team-Meeting. Ich bekomme einen Arbeits-Laptop und ein Diensthandy. Die Bezahlung ist okay, es ist allerdings auch keine volle Stelle, sondern zunächst nur etwa fünfundzwanzig Stunden. Ja, ich hoffe, ich habe nichts vergessen." Mia schenkte Lukas ein glückliches Lächeln, der ebenso zufrieden aussah.

„Das klingt doch ziemlich vielversprechend!"

„Ja, eigentlich schon. Ich weiß zwar nicht so richtig was mich erwartet, aber die Einarbeitung macht er wohl selbst, also kann ich ihn ja dann mit all meinen Fragen bombardieren. Falls es zu einer Einstellung kommen sollte."

Lukas startete den Wagen und fuhr los.

„Ich wusste doch, dass das klappt.", sagte er zufrieden, während er den Mini durch den Berliner Verkehr steuerte.

„Woher kennst du Herr Frey?", fragte Mia schließlich.

„Er ist ein alter Freund meines Vaters. Ich kenne ihn quasi schon mein ganzes Leben."

„Na, das nenn' ich dann mal Vitamin B...", murmelte Mia und verstaute ihre Tasche im Fußraum.

Er musste lachen. „Ist es wohl auch, aber deswegen trotzdem keine Schande, wenn man Beziehungen hat und nutzt."

„Wohin fahren wir?", fragte sie, um das Thema zu wechseln.

„Videodreh. Ich kann dich auch vorher zu Hause absetzen, wenn du möchtest. Eigentlich hätte ich dich aber lieber dabei."

„Ähm, also wenn du mich dabei haben willst, komme ich natürlich gerne mit. Ich möchte aber nicht stören, oder so. Und im Prinzip habe ich ja auch Arbeit, die auf mich wartet.", sagte Mia und wedelte mit dem braunen A4-Umschlag.

„Du störst mich nicht. Vorher sollte ich dir aber noch etwas sagen." Ein unsicherer Ausdruck lag auf seinem Gesicht.

„Na, dann schieß mal los."

*

Es war bereits später Abend, als sie wieder in den Wagen stiegen.

Mia sagte nichts, während Lukas den Mini durch den dichten Feierabendverkehr steuerte.

„Du bist sauer.", stellte er nach einer Weile fest.

„Nein." Sie schüttelte den Kopf. „Es war nur ein wenig... komisch, dich so intim mit einer fremden Frau zu sehen."

„Es ist ja nicht so, dass ich wirklich Sex mit ihr hatte.", erklärte er nüchtern und bremste ein wenig zu stark an einer roten Ampel.

„Ich weiß. Ich war ja dabei."

Sie war wirklich nicht sauer oder dergleichen. Mia war im Normalfall auch kein eifersüchtiger Mensch. Aber Lukas mit der Blondine im Bett zu sehen, halbnackt – war einfach seltsam. Ein anderes Wort fand sie dafür einfach nicht. Natürlich gehörte dieser Videodreh zu seinem Job und das war auch der einzige Grund, warum Mia nicht völlig durchdrehte. Sie war ganz froh, sich während des Tages mit den zu lektorierenden Kapiteln hatte ablenken können.

„Warum wolltest du mich unbedingt dabeihaben?", wollte sie schließlich wissen. Eine Frage, die ihr schon den ganzen Tag auf der Seele brannte.

Lukas trommelte mit dem rechten Zeigefinger auf dem Lenkrad und beobachtete aufmerksam den Verkehr, als er weitersprach: „Weil du sicher nicht begeistert gewesen wärst, wenn du diese Intimität erst bei dem fertigen Video gesehen hättest, oder? Außerdem habe ich dich gerne bei mir – auch, wenn ich arbeite. Ansonsten frage ich mich die ganze Zeit, ob alles okay bei dir ist, wenn du zu Hause bist..."

Mia schnaubte. „Also bitte, ich bin doch kein kleines Kind mehr. Ich komme definitiv auch alleine klar. Einen Aufpasser brauche ich nicht."

Er tastete nach ihrer Hand und drückte sie zärtlich. „So war das nicht gemeint.", versicherte er ihr schnell. „Worüber ich mir eher Sorgen mache ist, dass dieser Verrückte nochmal auftaucht. Ich traue dem Frieden irgendwie noch nicht so ganz..."

Nachdenklich biss sich Mia auf die Unterlippe. Das klang einleuchtend. Natürlich hatte sich Jans Vater „darum gekümmert", wie er sich in der Mail ausgedrückt hatte – was das aber genau zu bedeuten hatte, wusste sie natürlich nicht.

„Wohin fahren wir?", wollte Mia schließlich wissen, um das Thema zu wechseln.

„Zu einem Kumpel, mit dem ich ein paar Details für die Akkordarbeit-Tour im Herbst besprechen muss. Er heißt Onkel. Du wirst ihn mögen. Er ist... ein bisschen anders als die Jungs."

Mia musste lächeln. Das klang wie etwas, das sie jetzt brauchte: ein wenig Ablenkung von diesem ereignisreichen Tag...

*

Lukas behielt Recht: sie mochte Onkel. Er hatte ein unglaublich herzerfrischendes, sonniges Gemüt und war wirklich nett zu ihr. Von Lukas' anderen Kumpels konnte sie das nur bedingt behaupten. Insgeheim hoffte sie, dass sich das mit der Zeit noch bessern würde – richtig Hoffnung hatte sie jedoch nicht.

Nach einer kurzen Plauderei hatten Lukas und Onkel in dem kleinen Studio, das er sich in der Wohnung eingerichtet hatte, schon ein paar Songs für die Akkordarbeit-Tour probiert. Mia, die stumm in der Ecke des Raumes auf einem unbequemen Stuhl saß, war beeindruckt. Beeindruckt von Lukas' klarer Stimme und Onkels Künsten am Marimba- und Vibraphon. Regelmäßig bekam sie Gänsehaut und fand es unglaublich, wie begabt manche Menschen im musikalischen Bereich doch waren...

Wie müde sie war merkte sie erst, als sie weit nach Mitternacht zurück in die Wohnung kamen. Mia entging nicht, dass Lukas – nachdem er die Tür abgeschlossen hatte – erst einmal eine Art Rundgang durch die Wohnung machte und in jedem Zimmer nachschaute.

„Suchst du jemanden?", scherzte Mia.

„Nicht direkt.", erwiderte Lukas und hängte seine Jacke an den Garderobenhaken. Mia folgte ihm anschließend in das Wohnzimmer, wo er sich auf das Sofa fallen ließ.

„Und was hat dieser Kontrollgang dann zu bedeuten?", fragte sie und setzten sich neben ihn.

Lukas fuhr sich mit beiden Händen erst über das Gesicht und dann durch die Haare, sodass er sie hoffnungslos zerzauste. „Ich bin wohl etwas paranoid geworden.", stellte er schließlich fest. „Ich kann einfach nicht glauben, dass es so einfach gewesen sein soll. Ein Anruf und der Typ lässt nie wieder etwas von sich hören? Irgendwie wirkte er auf mich in den paar Minuten, in denen ich ihn erlebt habe nicht so, als ob er von seinen kranken Wahnideen ablassen würde..."

Mia lehnte ihren Kopf an Lukas' Schulter. „Ich will nicht mehr an ihn denken müssen.", flüsterte sie.

Er legte seinen Arm um ihre Taille und zog sie näher an sich. „Ich weiß. Lass uns schlafen gehen."

Narben (Alligatoah Fan Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt