Wettlauf gegen die Zeit - Teil2

737 39 9
                                    

Pias Sicht

Ich hatte eigentlich kein Ziel. Ich wusste nichtmal wo ich war bzw. gerade hinrannte geschweige denn wie spät es war. Das einzige was im moment gleichmäßig war, einen eigenen Takt besaß wie eine innere Uhr, das war das gleichmäßige prasseln des Regens. Mein Atem passte sich dem Rhytmus des Regens an, eigentlich war es unbeschreiblich, so als würde ich eins werden mit dem unbarmherzigen Wetter, meine Bewegungen wurden nicht langsamer, nein, eher präziser. Meine Gedanken schienen wie weggespühlt und die Realität war plötzlich weit weg. Da war nur noch ich und der Regen, vorsichtig stoppte ich, blickte mich um und fand mich auf einem Bürgersteig wieder. Außer mir fuhren noch Autos auf der Straße mit sich immer schneller bewegenden Scheibenwischern. Die Menschen darin konnte man kaum erkennen, man konnte bloß vermuten wer sich hinter welchem Auto verstecken könnte. Hinter dem neuen Audio vielleicht ein etwas älterer Mann, mit einer Zigarre im Mund und auf dem Weg nach Hause während hinter dem roten Kleinwagen vielleicht eine junge Studentin die ihre Mutter am Sonntag besucht hat steckte. War sie genervt von dem neuen Mann ihrer Mutter? War sie vielleicht glücklich weil sie ihren Hund wieder gesehen hat, der der sie damals immer begleitet hat, dem sie alle Geheimnisse anvertraut hatte und mit dem sie wenn sie mal sauer war "abgehauen" ist um nach zehn Minuten wieder umzudrehen? Ich wusste es nicht. Nein, ich kannte diese Person nicht, ich wusste nichts von ihrer Geschichte und schon gar nichts über ihnen Gemütszustand. Aber trotzdem...die Person die ich gerade erstellt habe wirkte so real, am liebsten hätte ich das Bild von ihr noch mehr ausgemalt, bunter gemacht, größer, klarer. Dann wäre ich wenigstens nicht in der Realität gewesen. In meiner Realität. Ich wagte nicht daran zu denken wie mein Bild aussehen würde, wenn ich eins von mir "malen" würde. Ein leichter Windzug umspielte meine kurzen Haare und ließ mich kurz erschauern, er ließ dennoch nicht von mir ab. Er kam wieder mit einer größeren Kraft und fing langsam an an mir zu zehren. Standhaft blieb ich stehen, schloss meine Augen und breitete meine Arme aus. Meinen Kopf ließ ich zurück fallen, sodass der Regen ungehindert auf mein Gesicht prasseln konnte. Es fühlte sich gut an, viel zu gut um war zu sein. Mit neuer Kraft öffnete ich meine Augen und lief die Straße entlang.

Plötzlich sah ich etwas in meinen Augenwinkeln. Instinktiv drehte ich mich um und versuchte das was meine Aufmerksamkeit erregt hatte zu identifizieren. Im ersten Moment war ich einfach nur irritiert, im nächsten fing ich an richtig Angst zu bekommen. Es war bloß ein kurzer Augenblick, nur ein Wimpernschlag und er war verflogen. So wäre es sicherlich gewesen wenn nicht plötzlich mein Hirn alles in Zeitlupe geschaltet hätte. Ich konnte sie genau sehen. Ihre auffallend braunen Haare waren durch den Regen klitschnass und ihre Klamotten klebten an ihr, sie sah ausgezehrt aus, ihr Gesicht wirkte eingefallen und es zeichneten sich schwarze Ränder unter ihren Augen. Das schlimmste aber war ihr Blick. Er wirkte leer, ängstlich, gehetzt. Es sah so aus als würde sie mit ihrer Lunge die ganze Luft aufsaugen die ging, doch trotzdem röchelte sie als hätte sie nicht genügend. Es schien so als würde sie irgendwas hinterher rennen, doch da war nichts. Ich brauchte nicht zu überlegen, mein Kopf schaltete um auf Autopilot und ich ließ die Schreckenssekunde los. Mein Körper nahm die verflogung auf. Was auch immer da vorging und was auch immer sie vor hatte, ich musste ihr helfen. Ich konnte sie nicht so sehen, es brach mir mehr als nur mein Herz, es war wie ein weiterer Schlag ins Gesicht. Was war bloß mit ihr los?

Ihre Ausdauer hielt ziemlich an, sie lief stramm im selben hohen Tempo und ich folgte ihr mit einer noch nie vorher dagewesenen Schnelligkeit. Toll Körper, hättest du das nicht vielleicht bei der letzten Sportprüfung zeigen können? Aber das war jetzt egal, ich konnte die Umgebung nur mit meinen Augenwinkeln ausmachen und hatte alles in allem keine Ahnung wo wir waren. Naja, hatte ich schon vor dem ganzen nicht, aber jetzt hatte ich noch weniger. Während ich mich versuchte in meine Gedanken zurück zu ziehen hielt sie plötzlich an. Obwohl sie vor einem Moment noch so gewirkt hatte als könne sie den ganzen Tag so weiter machen, knickten ihre Füße einfach weg und wie aus dem nichts viel sie in Onmacht. Ich stürzte mich neben sie und hatte erst Panik ob sie wirklich in Onmacht war oder irgendwas anderes, aber nach dem checken ihres Puls war ich beruhigt. Bevor ich noch irgendwas anderes machen konnte waren bereits andere Leute zur Hilfe geeilt. Als einer einen Krankenwagen rufen wollte und ich nur murmelte "Oh nein, nicht schon wieder..." musste ich mir auf die Zunge beißen. Das letzte mal war Liz ja auch so schnell wie möglich zu mir ins Krankenhaus gekommen und hätte es bestimmt auch mit einem Stier aufgenommen um mich zu sehen!
"Was ist passiert?" fragte mich eine Frau besorgt und legte eine Hand auf den Kopf von Liz. "Beine hoch!" schrie ein anderer. "Der Krankenwagen kommt." meinte der Mann mit einem Handy am Ohr.
All das schien ich aber nur noch am Rande mitzubekommen. Mein Blick ruhte auf Liz, sie sah total fertig aus und ich hatte kurz das Gefühl in Tränen auszubrechen. Ich griff nach ihrer Hand.
"Oh gott, sie ist eiskalt!" entfuhr es mir. Bevor ich zu ende sprechen konnte hatte die Frau ihr schon einen Schal umgebunden und ein Mann wollte freiwillig seine Jacke opfern.
Alles drehte sich in mir. Das Krankenhaus weckte alte Erinnerungen. Aber die waren doch gar nicht so alt, es fühlte sich so an als könnte ich jeden Moment zurück in die Zeit zu diesen einen Tag. Und ich wünschte es mir so sehr. Doch trotzdem war ich hier, bei Liz und bei gefühlt tausenden offenen Fragen.

Ich wollte nicht dahin, ich wollte nicht zurück in dieses Gebäude. Ich wollte zurück in mein altes behütetes Leben wo meine größten Probleme waren das diese Liz die gerade mit geschlossenen Augem neben mir lag mich nicht zu bemerken schien.

Genauso wie du || GirlxGirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt