Geh endlich an dein scheiß Telefon, Meghan Rose

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Seit drei Stunden schaue ich ungelogen alle 10 Minuten auf die Uhr. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so aufgeregt war - also angenehm aufgeregt. Als wir gestern Abend nach Hause gegangen sind, hab ich mich sofort in mein Zimmer geschlossen und hab mich ins Bett geschmissen. Ich habe weder etwas gegessen, noch meine Klamotten ausgezogen, obwohl sie von der ganzen Arbeit ganz schwitzig waren, ich war nicht duschen und habe mir noch nicht einmal die Mühe gemacht, mir die Zähne zu putzen. Diese ganzen Entscheidungen habe ich heute früh zwar bereut, aber gestern Abend hat es sich alles so richtig angefühlt. Ich bin so schnell eingeschlafen, wie schon lange nicht mehr. Harry und ich haben uns dazu entschlossen, den Jungs nichts von den Geschehnissen gestern zu erzählen und es ist auch das einzig richtige. Wir dürfen nicht riskieren, dass es wieder Stress gibt, vor allem, wenn ich mir nicht einmal sicher bin, was das alles überhaupt bedeutet hat. Ich habe Harry Styles geküsst. Nicht anders herum. Und er hat geweint, er hat sich mir geöffnet und seine Seele gezeigt, von der ich so lange Zeit dachte, er würde sie nicht mal besitzen.
"Mademoiselle??", reißt es mich aus den Gedanken und ich verschütte fast den heißen Kaffee über den Kunden, vor dem ich seit einigen Sekunden reglos verharre. "Excuse-moi!", murmle ich schnell meine Entschuldigung und stelle die Tasse vor dem älteren Mann ab. "Vous etes tout excuse!", lächelt er mich an, aber ich drehe mich schon um und gehe zurück zur Küche. Meine Französisch-Kenntnisse sind eher nicht so auf dem höchsten Niveau. 
Mit dem Handrücken wische ich mir die unzähligen Schweißperlen von der Stirn. Der Herbst zeigt noch einmal ordentlich was er kann, bevor ihn der Winter vertreibt. "Meghan?", ertönt hinter mir die Stimme unserer Theken-Dame. Dann deutet sie auf einen jungen Mann, der mit dem Rücken zu mir auf einem der Barhocker sitzt. Diese braunen Locken würde ich überall wiedererkennen. Mein Blick schnellt zur Uhr über der Spülmaschine und tatsächlich, meine Arbeitszeit ist um. Freudig trenne ich mich von meiner Schürze, hänge sie an meinen Haken und melde mich ab.
Mit schnellen Schritten laufe ich auf Harry zu und bleibe dann doch unentschlossen neben ihm stehen. Wie begrüße ich ihn? Wir haben uns seit gestern nicht mehr gesehen. Er war heute morgen schon aus dem Haus, als ich aufgestanden bin.
Harry dreht sich zu mir um und beginnt förmlich zu strahlen. Die Sonne scheint durch die großen Glastüren und -fenster des Diners direkt in sein Gesicht und sorgt dafür, dass Harrys Augen einen beinahe unnatürlichen Grünton annehmen. Elegant erhebt er sich, kommt auf mich zu und gibt mir dann entschlossen einen Kuss.
Auf die Wange.
Wieso enttäuscht mich das so? Ich hätte mir vorher nicht ausmalen sollen, wie er mich an der Taille packt, durch die Luft schleudert und mich dann leidenschaftlich küsst. Dieses Szenario passt vielleicht in eine alberne Romanze aus Amerika, aber sicherlich nicht in unser verkorkstes Leben. Und es stimmt. Unser Leben ist verkorkst. Ich sollte mir weniger Gedanken darum machen, ob und wo und wie mich Harry küsst, als darüber, was mit Black Bill ist. Denn eines ist klar: Das kann so nicht weitergehen. Wir können nicht unser ganzes restliches Leben flüchten oder in Portugal leben.
"Alles okay?", fragt Harry besorgt und sieht mich mit großen Augen an und ich nicke bloß. Er nimmt wortlos meine Hand und verlässt mit mir das Diner. Wir gehen nicht auf direktem Weg nach Hause, sondern laufen hoch zum Strand, nur um wie kleine Kinder barfuß durch das Wasser zu rennen. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so viel Spaß hatte. Harrys neue Seite gefällt mir und ich bin mir sicher, dass ich mich schon längst in ihn hätte verlieben können, wenn wir uns normal kennengelernt hätten. Unser Kennenlernen. Bei diesem Gedanken bleibe ich automatisch stehen und greife mir an den Hals, wo damals noch der Knutschfleck gewesen war. Er hatte versucht, mich zu vergewaltigen. Wie konnte sich mein Leben so scharf verändern, dass ich jetzt im Begriff war, ihm näher zu kommen?
Was ist aus der kleinen, süßen, unschuldigen Meghan Rose Hennings geworden? Die, die große Pläne für ihre Zukunft hatte. Sie wollte die Schule beenden und auf dem College Gerichtsmedizin studieren. Sie wollte ein kleines Haus in einer ruhigen Umgebung; vielleicht in Hayle in Cornwall, England. Wahrscheinlich hätte sie auch ein Haustier gehabt - nichts besonderes, bestimmt nur eine Katze oder eine Schildkröte. Aber das wichtigste: Sie wollte niemals auf Typen reinfallen, die so wären wie ihr Vater. Typen, die ihre Frauen schlagen, aber Harry hatte dieses Kapitel sofort übersprungen und trotzdem traue ich ihm?
"Heh alles okay? Ich war schon fast 100Meter weiter, als ich bemerkt habe, dass du gar nicht mehr hinter mir bist. Du hast mich alleine wie einen Irren über den Strand rennen lassen! Die Leute müssen denken, ich sei gestört!", lacht Harry.
"Ja tut mir leid, ich bin total anders mit meinen Gedanken.. Lass uns nach Hause gehen, ja?", lenke ich ein und auch wenn er sichtlich niedergeschlagen ist, stimmt er zu und nimmt wieder meine Hand.
Wir laufen fast zwanzig Minuten, bis wir an unserer Wohnung ankommen und wir uns voneinander trennen müssen. Den kompletten Weg über haben wir geschwiegen und ich habe immer und immer wieder über die Fast-Vergewaltigung und meine geplatzten Träume nachgedacht, doch jetzt will ich trotzdem nicht, dass er meine Hand los lässt. Das alles ist Monate her und so vieles hat sich geändert. Ja, vor allem habe ich mich verändert, aber das ist eben in meinem Alter so, wenn man erwachsen wird.
"Ich will noch nicht hoch", jammere ich leise und Harry nimmt mich in den Arm. "Ich weiß, ich will das auch nicht, aber wir haben ja keine Wahl", flüstert er an meiner Stirn und ich schlinge die Arme um seinen Oberkörper. Plötzlich fühlt sich alles so warm und vertraut an. "Wir könnten einfach abhauen und nie wieder zurück kommen. Wir fliehen vor Billy und den Jungs und fangen ein ganz neues Leben an. Nur du und ich!", schieße ich hervor, wohl wissend, dass das nicht so funktionieren wird und Harry weiß es auch. Er lacht nur kurz und drückt mich dann sanft von sich weg. Sekundenlang starren wir uns gegenseitig in die Augen, bis er sich endlich vorbeugt und mich küsst, bevor ich den Kuss erwidern kann, beendet er diesen Moment. So ein Idiot, ich hätte es gerne noch länger ausgekostet. Diesen Moment der Zweisamkeit, ohne Probleme, nur er und ich. "Das muss fürs erste genügen", sagt er, als könne er meine Gedanken lesen. Dann löst er sich endgültig von mir, schließt die Tür auf und wir verschwinden hinter den Wänden des Plattenbaus.

"Da seid ihr ja endlich!" - "Spinnt ihr? Wir haben versucht, euch zu erreichen!!" - "Wo zur Hölle wart ihr?"
Und es stimmt. Überrascht krame ich mein Handy aus der Handtasche und muss feststellen, dass ich 7 Anrufe in Abwesenheit hatte, gefolgt von 3 "GEH ENDLICH AN DEIN SCHEISS TELEFON, MEGHAN ROSE!" von Niall.
"Was ist passiert?", fragt Harry kühl und mein Blick brennt sich förmlich in seine Seite. Von dem unbeschwerten, fröhlichen, liebevollen Jungen ist jetzt nichts mehr übrig.
"DAS ist passiert!", faucht Liam und schmeißt uns einen knittrigen Brief vor die Füße, dann wendet er sich von uns ab und rennt nervös durch den Flur. Zayn tut es ihm gleich, Louis zündet sich zitternd eine Zigarette an und Niall fährt sich angespannt durch die blonden Haare.
Mein Herzschlag verdoppelt sich automatisch und Harry wird leichenblass im Gesicht. Blitzschnell bücke ich mich und greife nach dem Brief.

Macht euch keine Mühe. Ich finde euch überall.
BB


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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 26, 2016 ⏰

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