Tag 2 - Wir spielen Weihnachtsmann

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"Ich bin mir ziemlicher sicher, dass das gegen die zehn Gebote verstößt", jammerte Deryn.
"Sei ruhig und klettere weiter", fauchte ich und er seufzte. Wir hingen in der Astgabel eines großen Baumes vor dem neuen Haus meiner Familie. 
Es hatte mich wirklich viel Zeit gekostet auf ihn einzureden, bis er einverstanden war, dass wir uns mal etwas umsahen mit wem Laney sich denn nun verlobt hatte.
Letztlich war er aber nur einverstanden, da ich bereit war nie wieder Scheiße zu bauen und auf ihn zu hören. Wers glaubt. Aber süß, dass er tatsächlich der Meinung war ich würde mich daran halten.
"Man darf nicht töten und man darf keine Frauen von Anderen begehren. Was noch?", er hievte sich mit einer Hand am Stamm hoch und schwang dann lose in der Luft hinterher, bis er den anderen Arm nachzog.
"Ich glaube kaum, dass >Du sollst nicht stalken<als eines der Gebote auftaucht."
"Gut", er schnalzte mit der Zunge, "sonst trifft es uns beide."
"Ich weiß", seufzte ich, während er sich hochschwang und seine Beine um den Ast schlang. Wir hingen jetzt in den Blättern wie ein Faultier.
Er drehte sich ein wenig zur Seite und stemmte sich nach oben, dann stand er vorsichtig auf.
"Versuch nicht runter zu fallen", bat ich ihn und er schnaubte. "Ich bin ja wohl in der Lage mich auf einem Ast zu halten."
"Ich sag's ja nur", murmelte ich und musste miterleben, wie er die selbe Prozedur am nächst höheren Ast vornahm.
"Wie hoch müssen wir eigentlich?", fragte ich.
"Keine Ahnung, aber ich war der Meinung, dass es vielleicht ein guter Anfang ist, wenn wir den Baum hochklettern."
"Das ist jetzt aber nicht dein Ernst", ich verdrehte gedanklich die Augen und er äffte mich nach.

Zehn Minuten später war Deryn so hoch, wie es ihm möglich war, geklettert und machte gerade Anstalten über die Regenrinne auf das Dach zu klettern.
"Willst du jetzt herausfinden mit wem sich deine Schwester verlobt hat oder nicht?", meckerte er, als ich bemerkte, dass das Dach ein ziemlich schlechter Ausgangspunkt war.
"Glaub mir. Ich hab einen Plan."
Jetzt musste der nur noch funktionieren.

Er griff nach der Rille, die bedrohlich knirschte und drückte sich ein wenig vom Ast ab, sodass er waagerecht in der Höhe des zweiten Stockes hing.
Doch bevor er sich rüber schwingen konnte, hörten wir auf einmal laute Stimmen von unten.
"Deryn", flüsterte ich panisch, aber er sah schon nach unten.
Laney und meine Mutter liefen gerade mit einem Hund den Schotterweg um das Haus herum.
"Peanuts", rief ich erfreut. Unser Familiendackel sprang in diesem Moment erfreut an meiner Schwester hoch, die einen Ball aus ihrer Tasche nahm und weg warf. 
Das laute Bellen hörte man bis nach oben.
"Mission abbrechen, Mission abbrechen", schrie ich so laut ich konnte und Deryn verlor das Gleichgewicht.
"Laney muss nur hochgucken und sieht uns sofort", informierte ich ihn, als er immer noch nichts sagte.
"Och manno", brummte er, sah aber ein, dass wir besser nicht beim Stalken erwischt werden sollten.
Vorsichtig ging er in die Hocke und ließ sich ein wenig zurück fallen. Dabei verlagerte er sein Gewicht jedoch nur auf eine Stelle des Astes, der laut knackte und dann abbrach.

Mit einem James-Bond-ähnlichen Hechtsprung sprang Deryn gegen den Baum, sodass wir vom Reststück des abgebrochenen Stammes beinahe erdolcht wurden und klammerte sich an die Rinde.
Dann ein lauter Knall, als das Holz auf dem Boden aufkam. Ein lautes Quietschen. Laneys verzweifelter Ruf: "Peanuts!"

"Was hast du getan?", schrie ich und er beugte sich ein wenig nah hinten, um durch das Blätterdach sehen zu können.
Der Ast hatte anscheinend Peanuts getroffen, da unter dem Holz nur noch vier Hundebeine hervor ragten.
"Du hast Peanuts getötet."
"Hab ich gar nicht", verteidigte sich Deryn.
In mir brodelte es und ich ballte meine imaginären Fäuste. "PEANUTS", schrien meine Schwester und ich gleichzeitig. 
"Du bist doch total bescheuert", fauchte ich. "Wie konntest du nur?"
"Der ist nur ohnmächtig", sagte er zerknirscht und drehte sich langsam um den Stamm herum.
"Der ist nur ohnmächtig, der ist nur ohnmächtig?!", platzte es aus mir raus. "Du hast gerade ein Leben ausgelöscht! Und nicht nur Irgendeins, sondern das von meinem Dackel!"
"Der ist gleich wieder putzmunter", murrte Deryn.
"Ich fasse es nicht", flüsterte ich vor mich hin. "Wie kann dich das so kalt lassen?"
Wie wütend ich war. Am Liebsten würde ich ihm einen "Loser"-Schriftzug auf die Stirn tätowieren. 
"Untersteh dich!" Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich laut vor mich hin gebrabbelt hatte, jetzt schnaubte ich nur: "Wirst schon sehen, was du davon hast, dass du meinen Dackel tötest."
"Er. Ist. Nicht. Tot."
"Du bist ein Mörder Deryn", fauchte ich und er schüttelte den Kopf.
"Bin ich nicht."
"Bist du wohl."
Vom Boden aus hörte ich Schreie, als meine Mutter auf den Unglücksort zu hechtete.
"Wir müssen zum Tierarzt", schluchzte Deanie und sah nach oben zum Baum. Blitzschnell drückte Deryn sich mit dem Oberkörper wieder gegen den Stamm.
"Fuck. Hoffentlich hat sie uns nicht gesehen", sagte er.
"Darüber denkst du nach?", fauchte ich. "Ich verachte dich, Deryn."
Er schnaubt. "Du kannst mir glauben, dass das auf Gegenseitigkeit beruht."

Zwischen Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt