Tag 2 - Eine Therapie bei einem Götterboten

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„Er sieht ganz schön jung aus", stellte Deryn fest und trat ein. Der Raum war recht klein, die Wände waren gelb gestrichen und es stand ein kleines Sofa in der Ecke. Dem gegenüber stand ein Stuhl auf den sich der Götterbote nun setzte.

Meine Schwester saß bereits im Schneidersitz auf dem Sofa und lächelte uns zu.

„Ich glaube, er ist mindestens tausende Jahre halt", wir ließen uns auf das Sofa fallen und es quietschte, als hätte Deryn die Feder gebrochen.

„Du hast das Sofa kaputt gemacht."

„Habe ich nicht", protestierte er und rieb sich die Hände, als Zeichen dafür, dass er bereit war loszulegen: „Was meinst du damit?"

„Das war der Engel, der mir gesagt hat, dass ich mir mit dir den Körper teilen muss", sagte ich und merkte, wie er ein wenig erstarrte: „Der ist Schuld daran, dass du jetzt in meinem Kopf sitzt? Na warte."

„Hey", erwidere ich beleidigt: „So schlimm bin ich doch gar nicht."

„Doch, bist du."

Bevor ich mich wehren konnte, setzte sich Obadiah uns gegenüber: „Mein Name ist Mr Clambert, ich bin der Schulpsychologe hier. Ich habe gehört, Ihr beide hättet Euch gestritten."

„Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. Sie kennen das doch: Was sich liebt, das neckt sich", platzte es aus Deryn heraus, obwohl ich ihm gerade noch gesagt hatte, dass ein Götterbote vor ihm stand. Er war so ein Idiot.

Laney verdrehte die Augen, dann verschränkte die Arme: „Deryn hat heute auf der Toilette gekotzt."

„Das liegt daran, dass er unbedingt Jasmin küssen musste", rief ich dazwischen, aber er ging nicht darauf ein: „Ich habe es gestern ein bisschen übertrieben. Kennen Sie ja sicher." Er zwinkerte Obadiah zu und gedanklich verdrehte ich die Augen: „Das ist ein Götterbote. So was wie ein Engel", sagte ich dann nochmal, um ihn daran zu erinnern, wer vor ihm stand.

Der „Psychologe" zog nun eine Pseudo-Brille aus der Tasche und setzte sie sich auf die Nase. Dann nahm er sich ein Klemmbrett und schrieb irgendetwas darauf.

„Das war nicht normal. Ich denke, dass er eine Störung hat", warf meine kleine Schwester ein.

„Deshalb bin ich ja hier", sagte Deryn und zog die Augenbrauen hoch. „Aber das heute war ein einmaliger Aussetzer."

„Ach, war es das?" Obadiah sah uns so an, als wüsste er mehr darüber, als wir vermuteten.

Keine Ahnung, was bei denen im Jenseits so abging, aber er ließ uns mit einer kleinen Puppe, Mister Peppes, reden und wir mussten von unserem Leben erzählen. Widerwillig begann Deryn über einen Tag am See zu reden, dann warf er Mister Peppes zu meiner Schwester, die ihn in einer Hand auffing.

„Okay ... also...", sie strich sich eine weißblonde Strähne aus dem Gesicht, „meine Schwester ist gestern vor einem Jahr ums Leben gekommen. Sie war ... nicht immer die Netteste und manchmal hatte ich das Gefühl sie würde mich gar nicht mögen, aber an diesem Tag hat sie sich vor ein Auto geworfen um das Leben eines kleinen Jungen zu retten und dabei ist sie gestorben." Deryn stöhnte genervt, aber ich beobachtete traurig, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten und sie ein paar Mal zwinkerte, damit sie keine einzige Träne verlor: „Ich dachte mein Leben ist vorbei. Ich wünsche mir jeden Tag, dass ich sie noch einmal sehen kann", doch dann schüttelte sie den Kopf: „Aber ich habe gelernt damit zu leben und mich nicht wie ein völliger Freak zu verhalten." Jetzt sah sie zu Deryn, der sie spöttisch musterte. „Und ich bin glücklich."

„Das freut mich", sagte Obadiah und er sah zu Deryn, als würde er erwarten, dass er irgendeine Reaktion zeigte.

„Wie lange dauert das noch?", fragte er dann und verschränkte die Arme: „Wir gehen uns einfach gegenseitig aus dem Weg und gut ist."

Zwischen Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt