Tag 3 - Weihkaffee

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Was?
Deryns Vater begann schallend zu lachen. Spucketröpfchen flogen aus seinem Mund, direkt in mein Gesicht. Angewidert ging ich einen Schritt zurück.
"Mein kleiner, süßer Junge." Er strich uns eine Haarsträhne hinter das Ohr. "Ich habe zu Gott gefunden und geschworen nie wieder zu sündigen. Ich kann den bösen Geist nicht töten."
Aber wir schon, oder was?
Als hätte er meine Gedanken gelesen, verzog sich sein Gesicht zu einer grotesken Grimasse: "Man wird dir deine Sünden vergeben. Du handelst im Namen des Herrn."
Also ich hatte ein anderes Bild von Gott in meinem Kopf.
"Leann, renn", hörte ich Deryn brüllen. "Das ist nicht mein Dad. Der ist total durchgeknallt!"
Zumindest waren wir einmal der gleichen Meinung.
Im selben Moment packte mich sein Vater und drückte mich an seine Brust, sodass ich sein Herz in seiner Brust schlagen hörte.
"Du wirst ihm Weihwasser einflößen", flüsterte er mir ins Ohr. "Das wird ihn schwächen. Dann kannst du ihn in der Nacht mit einem gesegneten Dolch umbringen."
Fassungslos starrte ich über seine Schulter zum Hauseingang. Es war ihm wirklich ernst. Er wollte tatsächlich, dass wir Hollister umlegten.
"Lass uns die Polizei rufen", flüsterte Deryn.
"Die Welt ist gefährlich, Deryn", flüsterte William und küsste mich auf die Stirn.
"Hilf mir, sie etwas besser zu machen."

William befahl mir neuen Kaffee aufzubrühen und drückte mir noch eine Pfandflasche in die Hand. Weihwasser aus dem Knast. Auch nicht schlecht.
"Soll ich das jetzt einfach mit reinkippen?", fragte ich Deryn gedanklich und sah mich in der großen Küche um. 
"Was? Nein. Wer weiß, ob das nicht vielleicht giftig ist."
Ich schüttelte die Flasche ein wenig. Die Flüssigkeit gluckste. Es gab keinen Hinweis darauf, dass das Wasser irgendwie heilig war.
"Ich glaube, dass ist einfach nur Wasser und dein Vater ist verrückt", sagte ich leise.
"Womit habe ich das verdient?", seufzte Deryn.
Eine berechtigte Frage. Aller Vorsicht zum Trotz nahm ich die Flasche und nahm einen kleinen Schluck.
"Wehe, mir wachsen wegen dir gleich Pickel", murrte Deryn, als die Tür plötzlich aufschwang. William stürmte hinein und riss mir die Flasche weg.
"Was tust du da?"
"Ich-ähh-wollte-also ..."
"Das ist heiliges Wasser, du Idiot", brüllte er und schlug zu.

Ich hatte Prügeleien schon gesehen, die Kämpfer angefeuert und sogar ab und zu mit gewettet, aber so richtig geschlagen wurde ich noch nie.
Zuerst hörte ich nur das laute Geräusch als seine Faust auf mein Gesicht traf, dann der reißender Schmerz, der mir den Boden unter den Füßen wegriss. 
"Ich sag dir was, Bürschchen", zischte Deryns Vater. "Ich habe einen Auftrag von Gott erhalten, der höher ist als jeder Mensch dieser Erde und höher als alles, was du dir auch nur vorstellen kannst, ist. Ein Engel namens Obadiah sprach im Traum zu mir, dass ein böser Geist auf mich warten würde. Ich habe so viel gegeben, um dieses Weihwasser zu bekommen und du hirnverbrannter Idiot trinkst es einfach!"
Er fauchte und drehte sich uns den Rücken zu.
Deryn weinte. Ich hörte weder ihn, noch seine Gedanken, wusste aber irgendwie, dass er es tat. Es war, als würde ein Teil meines Herzens mit ihm weinen.
Ich wollte gar nicht wissen, wie es ihm ergangen war, als sein Vater noch bei ihnen gelebt hatte. Ich wusste, dass er gelitten hatte und es seine Mutter seelisch zerstörte. Und jetzt, wegen mir, litt er schon wieder.
Ich versuchte den pochenden Schmerz in meinem Gesicht zu ignorieren und beobachtete William dabei, wie er sein heiliges Wasser in die Maschine schüttete.
Obadiah ... Obadiah hatte ihm erzählt, dass ein böser Geist in seinem Haus wohnte? Wie konnte er nur?
Die Kaffeemaschine begann zu stottern.
Deryns Vater drehte sich zu uns um. Er lächelte. "Krümm dich nicht so, Junge. Ich vergebe dir deine Sünde. Bring den Erwachsenen dann den Kaffee."
Er kam näher, klopfte mir auf die bereits verletzte Wange, dann ging er mit schnellen Schritten zurück zum Wohnzimmer.
"Obadiah hat uns verraten", sagte ich leise. "Warum macht der das?"
Deryn antwortete stockend: "Er bestraft uns."
"Uns?", quietschte ich. "Wir sollen Hollister umbringen."
"Ich habe den Bilderrahmen geklaut", sagte Deryn nüchtern. "Wir haben eines der zehn Gebote gebrochen."
Verzweifelt schlug ich meinen Kopf gegen einen Küchenschrank.
"Eigentlich gehört der Bilderrahmen mir ja so halb", sagte ich leise.
Er schnaubte. "Jetzt ist es zu spät. Wir müssen meinen Vater also davon überzeugen, dass wir Hollister exorziert haben."
"Und wie sollen wir das anstellen?"
"Keine Ahnung", seufzte Deryn.
Es gab einen zischenden Laut, als der Kaffee fertig war.
"Sollen wir den Kaffee servieren?", fragte ich Deryn.
"Lieber nicht. Ich vertraue William nicht."
Es zerriss mir das Herz, als ich merkte, dass er William nicht mehr Dad nannte.
Ich nahm die Kanne Kaffee heraus und nahm eine neue Kanne, die ich unter die Maschine stellte. Dieses Mal füllte ich normales Leitungswasser ein.
Nachdem der Kaffee fertig war, brachte ich die Kanne in das Wohnzimmer, in dem Deryns Vater gerade über das Kantinenessen scherzte. Plötzlich wirkte er so ... normal.
"Der Kaffee", sagte ich leise und stellte ihn in die Mitte. William zog einen Mundwinkel hoch. Wir alle nahmen eine Tasse und tranken einen Schluck. Voller Nervosität beobachtete ich William, der aber nichts zu merken schien.
"Morgen geht es um acht in die Kirche", sagte er und sah uns alle an. Mich sah er besonders lang an. Ach ja richtig, in der Nacht sollte ich Hollister umbringen.
"Dann werden wir von unseren Sünden befreit", sprach William weiter. 
Hollister trank drei große Schlucke, dann stand er auf. "Ich werde euch nun allein lassen. Wenn es Probleme gibt, dann meldet euch einfach bei mir."
Ich atmete auf, als er den Raum verließ.
Plötzlich wirkte die Luft so dünn und mir wurde schlecht. "Ich geh mal vor die Tür", japste ich. "Luft schnappen."
William beobachtete mich stumm.

Erst draußen holte ich wieder Luft.
"Wir brauchen jetzt einen Plan, wie wir Hollister retten können."
Deryn lachte leise auf. "Heute Morgen wollte ich ihn noch umbringen."
Als ich ihm antworten sollte, joggte auf einmal eine bekannte Gestalt an uns vorbei, die stehen blieb, als sie uns sah.
Zac winkte uns zu und kam näher.
"Hey, alles klar bei dir?"
Oh Hölle, nein. Zacs Muskelshirt klebte an seiner verschwitzten und durchtrainierten Haut, die in der Sonne glänzte. Seine Haaren lagen wild verteilt auf seinem Kopf und seine weißen Zähne blitzten mir wir helle Diamanten entgegen.
"Hör bitte damit auf, Leah", knurrte Deryn. "Das ist echt pervers."
Da hatte ich mir angewöhnt endlich meine Gedanken vor Deryn zu verbergen und jetzt das. Ich räusperte mich.
"William ... also Dad ist wieder zurück", sagte ich nach einer kurzen Atempause und wendete den Blick ab, damit sein Anblick mich nicht noch mehr verwirren konnte.
Zac interpretierte das anscheinend falsch, denn nun setzte er sich neben mich und zog mich in eine unmännliche Umarmung. Mein Herz schien zu explodieren.
Gierig sog ich seinen Duft nach Aftershave und Schweiß ein. Deryn knurrte.
"Wie geht es dir?", fragte Zac.
"Ich weiß nicht", sagte ich. Irgendwie vergaß ich, dass ich in einem verdammten Männerkörper steckte, Zac eigentlich mein bester Freund war und Deryn in meinem Kopf war und schmiegte mich an ihn.
Er versteifte sich etwas. "Deryn? Du weißt, dass wir über alles reden können."
"Ich suche nur etwas Trost", murmelte ich an seiner durchtrainierten Schulter.
"Luise ...", warnte mich Deryn.
"So schlimm?"
Ich schlang meine Arme um Zac und nickte. 
"Das tut mir total leid. Kann ich was für dich tun?"
Oh ho, so einiges.
"LACY", brüllte Deryn.
Was sollte ich bloß machen? Er wirkte auf mich so verdammt anziehend. Als wäre er mein Schokoladenriegel und ich ein Glas Milch. Ich Süd, er Nord. 
"Bleib bei mir", flüsterte ich.
"Ähh ... Okay. Was hältst du davon, wenn ich Jasmine anrufe und sie dich ein wenig ablenkt?", schlug Zac vor.
"Aber ich will dich", protestierte ich.
"Hast du nicht gesagt", stöhnte Deryn in meinem Kopf.
Zac versuchte ein wenig von mir wegzurutschen. Ich zog ihn näher an mich ran. "Ich brauche dich jetzt", sagte ich und sah ihm in die Augen. Er schluckte.
"Deryn, du machst mir gerade echt Angst."
Mir wurde meine körperliche Lage um Deryn schlagartig wieder bewusst. 
"Es ist mir gerade alles ein bisschen zu viel", versuchte ich mich rauszureden. Kumpelhaft schlug Zac mir auf die Schulter: "Hey, Deryn, es wird alles gut. Okay?"
Ich würde es ja gerne glauben.

Den restlichen Tag verbrachte ich in einer Art tranceähnlichen Zustand. Ich hing herum, blätterte Deryns wenige Bücher durch und feilte seine Nägel, was er erbost kommentierte, aber es half mir mich zu beruhigen.
Es dämmerte schon, als  plötzlich ein Energiestoß durch unseren Körper ging. Wie gelähmt sank ich auf die Knie. Ich spürte jede Faser meines Körpers, jeden Tropfen Blut, jeden Knochen. So schnell wie der eigenartige Zustand meines Körpers gekommen war, so schnell klang es wieder ab. 
Ich lag seltsamerweise nun auf der anderen Seite des Raumes. Stöhnend richtete ich mich auf. 
Ich fühlte mich nackt und einsam. Etwas stimmte nicht. Etwas fehlte.
Da sah ich Deryn auf der anderen Seite des Zimmers kauern und mein eigenes Gesicht, das mich im Spiegel anblickte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 11, 2016 ⏰

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