Erdbeeren, Versprechen und ein geklauter Kuli

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Am nächsten Morgen wachte ich auf und zog mich mit meinen Anziehsachen ins Bad zurück, um die anderen nicht zu wecken. Ich machte mich fertig und dankte Cece nochmal im Stillen, dass sie mir vor der Party gezeigt hatte, wo sie Ersatzzahnbürsten aufbewahrte. Ich sah in den Spiegel und lächelte mich an. Etwas verschlafen sah ich aus, aber das war in Ordnung. Von neben an kam nach wie vor kein einziger Laut und so ging ich durch die andere Tür, die zum Flur führte, und die Treppe runter. Ich hatte keine Lust den vieren beim Schlafen zu zusehen, bis sie endlich aufwachten. Unten angekommen lief ich geradeaus ins Wohnzimmer und dann links in die Küche.


„Guten Morgen", sagte ich und grinste als ich sah wie Herr Waldheim erschrocken zusammenzuckte. 

Man sah nur sehr selten einen erwachsenen Mann, der so zuckte und erstarrte. Zumindest für mich war es selten. Irgendwie süß. Und definitiv amüsant.


„Verdammt, du hast mich vielleicht erschreckt." 


Ich lachte und ging zu ihm. Vor ihm stand eine Schüssel mit Erdbeeren, die er gerade schnitt und mit sonstigen Früchten zu einem Obstsalat vermischte. 


„So angsteinflößend bin ich nun auch wieder nicht", meinte ich, nahm mir eine Erdbeere und steckte sie mir in den Mund. Er sah mich kurz an, lächelte und wendete sich dann wieder seiner Arbeit zu. 


„Nein, ich hatte nur um diese Uhrzeit noch nicht mit jemandem gerechnet. Wenn man sie nicht wecken würde, würde Cece manchmal den ganzen Tag verschlafen." 


Ich schluckte den Rest der Erdbeere runter. 


„Ich bin aber nicht Cece." 


Ich wollte mir noch eine zweite Erdbeere klauen, doch er hielt mein Handgelenk fest bevor ich sie mir nehmen konnte. 


„Das sind meine." 


„Ach komm, es ist doch nur eine Erdbeere." 

Er schüttelte den Kopf und ich zog einen Schmollmund. 


„Das hilft dir auch nicht", lachte er und ließ mein Handgelenk wieder los. 

Ich verdrehte die Augen und ging zum Waschbecken. Ich wusch meine Hände und als ich mir sicher war, dass er wieder in sein Frühstück vertieft war, spritzte ich ihn mit dem Wasser nass. Er zuckte wie erwartet zusammen und das nutzte ich aus, um mir die Erdbeeren zu schnappen und in Sicherheit zu bringen, in dem ich auf die andere Seite der Kücheninsel lief.


Er drehte sich zu mir um als ich mir gerade lächelnd die nächste Erdbeere in den Mund schob. Es machte Spaß ihn zu ärgern. Und wenn es stimmte was er sagte, würde Cece davon auch nichts mitbekommen.


„Das wirst du bereuen." 


„Ach ja?"


Ich zog die Augenbrauen hoch und sah ihn herausfordernd an. Er rannte um die Kücheninsel und verfolgte mich ins Wohnzimmer, ein Mal durchs ganze Erdgeschoss als er mich schließlich erwischte und seinen Arm um meine Taille schlang, so dass ich nicht mehr weglaufen konnte.

 
„Und jetzt hätte ich gern meine Erdbeeren wieder", sagte er leicht außer Atem. 


Wir waren uns wieder so nah wie gestern Abend, sogar noch näher. Ich fühlte an meinem Rücken wie sich seine Brust hob und senkte. Jetzt und auch als er gesprochen hatte streifte sein Atem meinen Hals.


"Na gut", seufzte ich und gab ihm die Schüssel wieder. Er löste sich von mir und wir gingen zurück in die Küche, wo mittlerweile auch Anna, Cece, Becca und Stella eingetroffen waren.


„Wo kommt ihr denn her? Sind das meine Erdbeeren?" 


Ich sah erst Cece an und dann Herr Waldheim. 


„Ihre Erdbeeren?", fragte ich ihn mit einem neckischen Unterton. 


Er murmelte irgendwas vor sich hin, gab Cece ihre Erdbeeren und verzog sich mit seinem Obstsalat nach oben. Dann bemerkte ich Ceces Blick und mir fiel wieder ein, dass sie mich etwas gefragt hatte. 


„Er wollte mir keine abgeben, dann hab ich sie mir geklaut und er hat mich verfolgt", erklärte ich schulterzuckend. 


Sie ließ es so stehen woran ich erkannte, dass es ihr im Grunde egal war. Ich setzte mich zu ihnen an die Anrichte und sah, dass sie schon alles für ein Frühstück rausgeholt hatten. Ich blieb beim Obst und nahm mir einen Apfel.


„Dir ist klar, dass Charles vielleicht nicht mit mir blutsverwandt, aber trotzdem mein Bruder ist?", meldete sich Cece nach ein paar Minuten zu Wort als wir fast fertig waren. 


„Ja, aber warum sprichst du das jetzt an?" 


„Weil eine unserer Regeln ist nichts mit jemandem anzufangen, der mit einem aus der Gruppe verwandt ist", warf Becca ein und kratzte den letzten Rest Joghurt aus ihrem Becher. 


Dabei fiel ihr eine ihrer schwarzen Strähnen ins Gesicht, wie so oft. Manchmal strich sie sich sogar Haare aus dem Gesicht, die gar nicht da waren. Fast als hätte sie einen Tic.


„Also das hatte ich sicher nicht im Sinn. Ich... Ich bin quasi gerade erst aus einer Beziehung raus. Das wäre viel zu früh. Versprochen." 


Ich sah zu Cece. 


„Und wie du gesagt hast: Er ist dein Bruder. Sowas würde ich niemals tun. Vorallem weil er auch unser Lehrer ist. Das wäre nicht nur leichtsinnig, sondern auch dumm." 


„Gut", lächelte Cece, „Du willst mich schließlich nicht verärgern, oder?" 


„Nein, natürlich nicht. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Das mit ihm und mir wird nie passieren."


Wir räumten die Reste unseres Frühstücks weg als ich hörte wie jemand die Treppe runterkam und kurz darauf die Haustür zu fiel. Herr Waldheim musste gegangen sein. Nachdem alles wieder sauber war gingen wir zu den Treppen. Anna, Becca, Cece und Stella gingen nach links, doch ich wandte mich nach rechts. 


„Emilia, wo willst du hin?" 


„Ich hab gestern dein Kleid und die Schuhe im Bad von deinem Bruder stehen lassen. Ich hole sie dir nur schnell." 


Die Mädchen quittierten das mit einem Schulterzucken und ich lief zu Herr Waldheims Zimmer, während sie zurück in Ceces Zimmer gingen. 


Im Zimmer angekommen holte ich aus dem Bad das Kleid und die Schuhe. Doch ich war nicht nur deshalb gekommen. Mein Blick flog zum Schreibtisch. Da lagen die Zettel, mit denen er beschäftigt war als ich reinkam. Ich stellte mich an den Schreibtisch und nahm den Stift in die Hand, der auf den Papieren lag. Den hatte er in der Hand gehabt als ich ihm vom Internat erzählt habe. Ich überlegte kurz, ob ich das wirklich tun sollte. Nicht, dass es ihm auffiel. Dabei gab es da nicht viel zu überlegen. Ich hatte gelogen was das Internat anging. Daran musste ich mich erinnern.


In der rechten Ecke des Tisches stand ein großes Einmachglas, dessen Deckel geöffnet war und in dem Stifte stecken. Ich entdeckte mehrere Stifte, die aussahen wie der Kuli, den ich bereits in der Hand hatte. Einen dieser Stifte legte ich nun dort hin wo der eigentliche Kuli gelegen hatte und steckte diesen ein. 


Ich verließ das Zimmer, brachte Cece ihre Sachen und nach einer schnellen Verabschiedung schnappte ich mir meinen Rucksack und fuhr mit meinem Fahrrad nachhause.

--> überarbeitet


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