Eine (un)gute Art der Schlaflosigkeit

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... Anfang Oktober vor zwei Jahren...

„Emilia, wie schön, dass Sie uns heute auch noch beehren." Ich verdrehte nur die Augen und setzte mich auf meinen Platz neben Ophelia. Seit einem Monat war ich jetzt schon hier und nach wie vor wollte ich nur wieder nachhause. Wobei sich die Situation im Vergleich zum Anfang deutlich verbessert hatte.

Am Morgen nach meinem kleinen Ausflug ins Freie war ich den anderen Dreien wiederbegegnet. Ich hatte mich gewundert, dass sie mir nicht vorher aufgefallen waren, schließlich waren wir im selben Jahrgang.

„Du interessierst dich nun mal für niemand anderen als dich selbst. Jetzt fallen sie dir nur auf, weil du allein bist. Allein mit mir und so willst du es nicht. Du brauchst Leute, die dir zuhören und du denkst sie würden es tun", meldet sich das nervige Etwas in meinem Kopf wieder zu Wort.

Seit Tagen lässt sie mich nicht mehr in Ruhe. Zwar hat sie das nie wirklich, doch jetzt kann ich dank ihr kaum noch schlafen. Ich versuche es zu verhindern, aber mir ist klar, dass sie genau das will. Umso weniger Schlaf ich bekomme, desto weniger kann ich ihr Widerstand leisten. Das kleine Miststück.

Ich versuchte die Augen offen zu halten, während ich ganz bewusst den Unterricht ignorierte. Physik, wer braucht das schon.

Es war überraschend leicht sich mit Ophelia anzufreunden. Jedenfalls dafür, dass sie die Schwester von Ben war. Er ist nach wie vor nicht gerade begeistert von mir. Ich schätze er traut mir nicht, weil sie nicht wissen wieso ich hier bin. Dabei weiß ich es auch von ihnen nicht.

„Vielleicht ist er auch einfach schlauer als die anderen und hat dich durchschaut. Dumm scheint er nicht zu sein, im Gegensatz zu dir. Das bisschen Intelligenz, das du besitzt, bin schließlich ich. Vielleicht ist ihm klar, dass du die einzige Person hier bist, die in ein Irrenhaus gehört."

Sie fing an zu lachen und ich fasste mir an die Ohren in der Hoffnung sie so nicht mehr hören zu müssen, auch wenn es von Anfang an unsinnig war.

„Nein, hör auf. Du lügst", schrie ich aus, aber sie lachte nur noch lauter. Plötzlich spürte ich wie mich jemand an der Schulter berührte. Ich sah zur Seite und entdeckte meinen Lehrer neben mir stehen. Seine Hand lag auf meiner Schulter und er sah mich mit einer Mischung aus Angst und Sorge an.

„Beruhige dich, Emilia. Alles wird wieder gut." „Halten sie die Klappe!" „Emilia, hör mir zu. Ich will..." „Nein, lassen Sie mich gefälligst los!"

Ich stieß ihn von mir und stürmte aus dem Klassenraum. Durch die Gänge und die Treppe hinunter lief ich in den Aufenthaltsraum. Dort angekommen setzte ich mich an den nächstbesten Tisch mit Blick Richtung Tür. Nachdem ich meine Unterarme übereinander auf den Tisch gelegt hatte, platzierte ich mein Kinn auf ihnen.

Mir war bewusst was jetzt passieren würde. In circa einer Minute würden Pfleger hereinkommen und mich zurück auf mein Zimmer bringen. Ich würde mich so stark gegen sie wehren, dass ihnen nichts übrig blieb als mich ruhig zu stellen. Das war die einzige Chance die ich noch hatte, um Schlaf zu bekommen.

Ein Schatten huschte an der Wand entlang. Das mussten sie sein. Ich hob den Kopf an, war bereit für den Kampf. Dann passierte etwas mit dem ich als letztes gerechnet hatte. Vor mir ließ sich ein Mädchen auf den Stuhl gleiten. Schlanke Figur, gelockte Haare. Am Körper trug sie einen Krankenkittel und ihr Gesicht zierten stechende Augen, ein einnehmendes Lächeln.

„Wie lange willst du noch durchhalten Em? Du magst stark sein, aber sie ist stärker. Und deine Organe... was soll ich sagen, sie sind auf dem besten Weg zu versagen. Nicht mehr lange und du wirst ganz bei mir sein." „Aber... wie... Das ist unmöglich. Du bist tot. Ich habe deine Leiche gesehen, war auf deiner Beerdigung. Du kannst nicht hier sein."

Sie streckte ihre Hände aus und ich beobachtete jede ihrer Bewegungen. Ihre zarten Finger umschlossen die meinen. Und ich fühlte es. Ich konnte es nicht nur sehen, ich fühlte wie ihr Daumen über meinen Handrücken strich. Ich konnte mich gut erinnern wie kalt sie immer gewesen waren, als sie noch lebte, aber jetzt waren sie angenehm warm.

„Ja, du warst auf meiner Beerdigung. Und bald werde ich auf deiner sein."

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, war sie mit dem Öffnen der Tür hinter ihr verschwunden.


LügenkindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt