Neuanfang?

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Ich wachte auf und stellte den Wecker ab. Dann öffnete ich die Augen und sah auf meine Zimmerdecke. Dunkles Holz, draußen zwitscherten die Vögel schon. Ich seufzte leise und setzte mich nach einem Moment auf. Um den Schlaf zu vertreiben rieb ich mir die Augen und schob mir die zerzausten Haare aus dem Gesicht.


Heute war es wohl so weit. Neue Schule, neues Glück. Vielleicht würde ich mich ändern können, wenn ich nicht mehr ständig mit den selben Leuten umgeben war. Von ihnen gab es zwei Sorten: Erstens die Leute, die ich die letzten Jahre belogen hatte, ohne dass sie etwas merkten. Und zweitens die Leute, die selbst genauso viel logen wie ich.


Ich stand auf und ging zum Rollladen, um ihn nach oben zu ziehen. Dabei fiel mein Blick in den Vorgarten. Der Boden war nass, es hatte wohl über Nacht geregnet. Oben am Himmel entdeckte ich die Wolken. Genau genommen sah es eher aus wie eine Wolke. Dunkel und riesig.


'Perfekt', dachte ich mir, 'es gibt kein besseres Wetter, um ein neues Schuljahr zu beginnen.'


Ich drehte mich weg vom Fenster, ging zum anderen Ende des Zimmers und öffnete meinen Kleiderschrank. Eines stand fest: auf der neuen Schule wollte ich einen guten Eindruck machen. Ich nahm eine schwarze Jeggings und ein rotes Oberteil aus dem Schrank. Ich zog mich an und betrachtete mich kurz im Spiegel. 

'Ja, das passt so.'


Nachdem ich mir im Bad die Zähne geputzt hatte, fuhr ich mir noch schnell mit der Bürste über die braunen Locken und schminkte mich. Nicht zu übertrieben, weil ich das nicht mochte. Aber ein bisschen konnte nie schaden. 


Dann sah ich mir in die Augen. Das war der schwerste Teil des ganzen Tages. Wenn ich mir selbst in die Augen sehen konnte, konnte ich das auch bei anderen. Dabei fielen mir die Einzelheiten in ihnen auf. Dass sie nicht ganz braun waren, sondern vereinzelt auch grüne und graue Flecken hatten. 


Doch nach drei Sekunden wurde es mir immer zu viel. Würde ich mich noch länger ansehen, keine Ahnung was dann geschah. Ich würde vielleicht zurück in mein Bett kriechen und mich dort verstecken. 


Nur müsste ich das erstmal meinen Eltern erklären. Und das wollte ich nicht. Vor allem, weil sie es wahrscheinlich nicht verstehen würden. Für sie hatte ich mich in den letzten Jahren schließlich nicht wirklich verändert. Außer natürlich die typischen Veränderungen mit dem älter werden. 


Bevor ich mich vom Spiegel abwandte, lächelte ich mir nochmal kurz zu. Ich musste sichergehen, dass es echt wirkte. Mein Lächeln war die größte Lüge von allen und damit meine wichtigste Waffe. Dann holte ich mein Handy und ging nach unten in die Küche.

"Guten Morgen", begrüßte ich meine Mutter und lächelte sie an.

"Guten Morgen, mein Schatz. Iss lieber schnell, bevor du an deinem ersten Tag noch zu spät kommst."


Ich ging zum Kühlschrank und nahm mir einen Joghurt. Mit einem Löffel setzte ich mich an den Tisch im Wohnzimmer und fing an zu essen. 


Als ich fertig war und alles wegräumte, kam auch Amelie nach oben. Sie hatte sich das große Kellerzimmer gesichert mit der Balkontür in den Garten. Wir grüßten uns kurz, bevor ich meine Tasche nahm und das Haus verließ. Wir hatten schon seit einer Weile kein wirklich gutes Verhältnis mehr. 


Ich holte mein Fahrrad aus dem Schuppen und fuhr in die Schule. Letzte Woche war ich die Strecke schon einmal probeweise gefahren, damit ich mich nicht verfuhr. Auf dem Weg fragte ich mich immer wieder, ob anderen Menschen auch die vielen kleinen schönen Stellen auffielen oder sie sie einfach übersahen.

--> überarbeitet 

LügenkindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt