Prolog: 22. Mai 2014 Donnerstag

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Lächelnd öffnet Jez die Haustür. Kimmy, die davor steht, erwidert sein Lächeln und senkt dann den Blick, bevor sie das Haus betritt und ihrem Freund - ihrem Freund, seit weniger als eineinhalb Stunden - in die Augen sieht. Er macht einen Schritt auf sie zu, streicht ihr mit den Fingern einige Haarsträhnen, die der Wind ihr ins Gesicht geweht hat, aus dem Gesicht und lächelt zärtlich, bevor er sich zu ihr lehnt und einen sanften Kuss auf ihre Wange drückt. Eigentlich nur eine klitzekleine Berührung, doch sie lässt wieder das angenehme Kribbeln durch Kimmys Körper schießen, dass sie sich wünscht, Jez würde ihr noch einen Kuss geben. Stattdessen macht er aber wieder einen Schritt zurück und hält ihren Blick mit seinen intensiv grünen Augen fest. Kimmy ist die, die den Blick abwendet und die rechte Hand hebt, in der sie Jez blaue Trainingsjacke hält, die er ihr vor wenigen Tagen um die Schultern gelegt hat, obwohl er nicht wusste, ob sie noch immer sauer auf ihn ist oder nicht.

„Die war noch bei mir." Sie hält sie Jez hin, der nur einen flüchtigen Blick darauf wirft, bevor er ihre Hand sanft mit seiner linken Hand runter drückt.

„Kannst du behalten." Kimmy legt den Kopf schief und sieht Jez einen Moment an.

„Sie riecht aber nicht mehr nach dir." Leise lacht Jez auf, bevor er seiner Freundin die Jacke aus der Hand nimmt und sie anzieht.

„Das kann man ändern." Kimmys lächelt noch immer und spürt wieder das angenehme Kribbeln in ihrem Körper, als Jez sanft mit zwei Fingern ihre Hand berührt. „Gehen wir ein bisschen raus?" Kimmy nickt, bevor Jez in seine blauen Turnschuhe schlüpft und nach seinem Schlüssel greift, der auf der kleinen Kommode liegt. Er verschränkt seine Finger in Kimmys, bevor sie zusammen das Haus verlassen und langsam den Gehweg, ohne geplantes Ziel, in Richtung See entlanggehen.

Schweigen genießt Jez einfach nur Kimmys Nähe. Das Wissen, dass die für ihn so unendlich lang scheinende Zeit, in der er Ärger mit Kimmy hatte, endlich vorbei ist, lassen ihn ihre Nähe noch mehr genießen. Als hätte Kimmy seine Gedanken gelesen, wendet sie den Kopf zu ihm.

„Jez?" Auf ihren Lippen liegt nicht mehr das Lächeln und auch ihr Gesichtsausdruck sieht nicht mehr so entspannt aus. Fragend hebt Jez die Augenbrauen.

„Hm?" Entweder er bildet es sich nur ein, oder Kimmys Hand schließt sich fester um seine.

„Es tut mir leid." Sie senkt den Blick auf die Pflastersteine vor sich. „Dass ich dir so viel dummes Zeug unterstellt habe." Jez lässt seinen Blick langsam über die weiten Felder zu seiner Linken wandern. Auch wenn es klischeehaft klingt, vor wenigen Wochen, als er noch in Köln, einer Großstadt, gewohnt hat, hat er gerade die Weiten der Natur nicht wirklich zu schätzen gewusst. Zwar hat er sich früher zum Nachdenken auch gerne am Rheinufer aufgehalten, aber es ist dennoch was anderes, ob man an einem natürlich entstandenen 'Strand' eines Sees sitzt, oder an einem künstlichen Ufer eines Flusses.

„Wenn ich jetzt sage, dass es nicht so schlimm ist, dann wiedersprichst du mir, wetten?" Er wendet sich Kimmy zu und grinst, als sie seine Frage mit einem zustimmenden Grinsen beantwortet.

„Es stimmt doch", murmelt sie leise, als das Grinsen aus ihrem Gesicht verschwindet und sieht Jez dann von der Seite in die Augen.

„Um sein Ziel zu erreichen, muss man kämpfen, egal gegen wen oder was." Kimmy senkt den Blick wieder auf den mittlerweile asphaltieren Feldweg vor sich, bevor sie mit den Augen nach dem kleine, hölzerne Kreuz sucht, das am Rand der großen Bundesstraße steht und den Ort, an dem ihr Bruder Lennard sterben musste, markiert.

„Aber eigentlich nicht gegen Dinge, die das Ziel verursacht." Kimmys Blick hängt noch immer an dem kleinen Kreuz. Der Gedanke an ihren Bruder entlockt ihr ein leises Seufzen. Jez folgt ihrem Blick, entzieht seine Hand dann aus ihrer und legt sanft einen Arm von der Seite um ihren Rücken. Wie sehr Kimmy ihren Bruder auch nach fünf Jahren noch vermisst, ist ihm erst am Vortag wirklich bewusst geworden. „Ich glaube, er wäre glücklich, wenn er wüsste, dass wir zusammen sind." Kimmy hebt den Blick um Jez anzusehen. Sie ist sich sicher, dass Lennard sich freuen würde, wenn er wüsste, dass der Jungen, mit dem er früher in den Ferien immer gespielt hat, der Freund seiner Zwillingsschwester ist.

„Glaubst du?" Jez grüne Augen funkeln förmlich, während er, den Arm immer noch um Kimmy gelegt, zusammen mit ihr langsam die Ausfahrt in den Feldweg passiert und die wenigen hundert Meter bis zum See zurücklegt. Kimmy nickt. Ein Grinsen huscht über ihre Lippen.

„Vielleicht glaubst du mir das ja nicht, aber früher hat er manchmal zu mir gesagt: 'Wenn du irgendwann mal mit dem oder dem zusammen bist, dann hast nicht nur du ein Problem mit mir!'" Mit einer Hand streicht sich Jez die Haarsträhne, die schon seit dem Morgen nicht ganz das macht, was sie machen soll, zurück.

„Dann hoffe ich mal, dass ich bei 'dem und dem' nicht dabei wahr." Kimmy legt ihren Kopf schief und knufft Jez ganz sachte in die Seite.

„Und wenn, dann hätte aber auch nichts daran ändern können." Kimmy kuschelt sich, als sie das sagt, in Jez Arm. Nein, Lennard hätte ihr Jez nicht ausreden können. Niemand kann einem die Liebe zu einer Person ausreden. Jez gibt keine Antwort und Kimmy stattdessen einen ganz sanften Kuss aufs Haar. So sanft, dass sie ihn nur erahnen kann, was ihren Körper aber nicht daran hindert, wieder warm und wohlig zu kribbeln.

Nachdem die beiden den Weg bis zum See komplett passiert haben, setzten sie sich in derselben Bucht wie am Vortag auf den staubigen Kiesboden. Kimmy genießt die Wärme, die Jez ausstrahlt und kuschelt sich dicht an ihn. Sie sieht ihn einen Moment von der Seite an, solange, bis er seinen Kopf vom Wasser des Sees, das sich wegen des Winds ein wenig kräuselt, abwendet und ihr in die Augen sieht. Einen Moment hält er an ihren Augen fest, dann wendet er den Blick wieder in Richtung See und seufzt leise.

„Wäre ich, als ich dich das erste Mal küssen wollte, nicht an mein Handy gegangen und hätte dich einfach geküsst, hätten wir schon vor drei Wochen hier sitzen können..." Kimmy tut es Jez gleich und sieht über das sich immer wieder aufs Neue kräuselnde Wasser. „Dann wäre der ganze Mist nicht passiert." Kimmy sieht auf ihre Schuhspitzen.

„Vielleicht war es aber auch das, was ich gebraucht habe." Jez sieht sie fragend an. Solange, bis Kimmy die Schultern zuckt. „Ich glaube, ich habe erst nach der ganzen Sache mit..." sie zögert einen Augenblick. Eigentlich will sie nicht mehr an die vergangenen Wochen denken. Nicht mehr an den ganzen Stress mit Jez, Romy und Betty. Nicht mehr an Finn. An gar nichts mehr. „...Finn gemerkt, wie sehr ich dich eigentlich brauche." Kimmy senkt den Blick. „Ich hatte richtig Angst um dich, als er plötzlich auf dich losgegangen ist." Mit einem Mal kommen all die Gefühle, die sie an diesem Tag verspürt hat, wieder hoch. Kimmy schließt die Augen und pustet die eingeatmete Luft langsam aus. Erst, als sie spürt, wie Jez nun auch seinen linken Arm um sie schließt, hebt Kimmy den Kopf, um sich eng an Jez Schulter zu drücken.

„Hey." Mit den Fingern der linken Hand piekt Jez ihr sanft in die Seite. Fragend hebt Kimmy den Kopf und beginnt zu lächeln, als Jez ihr mit der Hand die Haare aus dem Gesicht streicht und sich dann über sie lehnt, bis sich ihre Lippen berühren. Kimmy hat nicht einmal Zeit, ihre Augen zu schließen, so schnell löst sich Jez schon wieder von ihr. Aber dennoch liegt ein zartes Lächeln auf seinen Lippen und seine Augen funkeln freudig.


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