Kapitel 4 - Briefe & Geheimnisse

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Tage waren verstrichen, doch die Räucherstäbchenstummel und der Papierbogen, der vom Wetter gepeitsch wurde, hielten ihre Stellung an dem Jasminbaum, dessen Zweige weit aus der kleinen Öffnung des Innenhofes zum Himmel hinauswuchsen. Das Essen ging langsam zu Neige, dass wir von meinem Preisgeld gekauft hatten. Heute tat sich die nächste Chance auf einen Gewinn hervor. Li Jack hat im ganzen Viertel ankündigen lassen, dass die nächste Runde der Straßen-Agni-Kai heute ausgetragen werden würden. Ich würde heute alleine für die Ernährung und Versorgung von meiner und Rous Familie kämpfen müssen, denn obwohl wir den Hunger gewohnt waren, wollten wir die satte Idylle nicht aufgeben, in der die Gegenwart und die Zukunft rosiger erschien. Rou war bei der letzten Runde ausgeschieden und stark verletzt worden.

 Baatu kam immer noch jeden Tag vorbei und strich eine neue Paste auf Rous Brandblasen. Auch er hatte sich vor dem Portrait seines besten Freundes niedergesetzt und meditiert. Im Gedenken an Zulon. Obwohl ich nicht spionierte, konnte ich ihn dabei auch das Lied vom jungen Offizier summen hören. 

Konzentriert stand ich Rou gegenüber. Voll auf unsere Schläge fokussiert, gingen wir meine Taktik gegen den Vulkan durch. Sogar im Vergleich zum furiosen Huang oder zum hinterhältigen Feuerball war er eine große Herausforderung. Taktisch durchaus als genial zu bezeichnen. Wenn ich dieses Match nicht gewinnen würde, würde ich für die Saison ausschieden und damit eine hungrige Zeit für unsere Familien besiegeln. Wir trainieren  den ganzen Tag lang, die Sonne wanderte gemächlich am Himmel entlang und malte immer neue Schatten auf den sandigen Boden unter uns. 

Als wir nach Hause gingen, verabschiedeten wir uns an den Türen, ich ging hinein, füllte die Flasche an meinem Gürtel und leerte sie gleich wieder mit durstigen Zügen. Danach versuchte ich mit leichten Übung meine Muskeln gedehnt und aufgewärmt zu lassen. 

Kurz bevor ich zum Straßen-Agni-Kai aufbrechen wollte, klopfte es hektisch und durchdringlich an unserer Tür. Durch die dünnen Lehmwände unserer Häuschen, konnte ich hören, dass auch an Rous Tür jemand ähnliches Verhalten aufzeigte. Kurz darauf konnte ich es auch sehen. Die zehnjährigen Wang-Zwillinge standen jeweils an einem Eingang. Mit hochroten Wangen. Ob vor Aufregung oder Anstrengung vermochte ich nicht zu sagen. 

Nun neigten sie ihr Haupt und begannen in ihren Taschen zu kramen. Der rechte Zwilling, der sich vor Rous Haus postiert hatte, holte zuerst eine Schriftrolle, die mit rotem Siegel fixiert war, hervor und hielt sie meiner Freundin entgegen.  "Woher habt ihr die Schriftrollen" fragte sie entgeistert. Es war Rou deutlich anzumerken, dass sie misstrauisch war. Endlich hatte auch der Linke der Wangs die Schriftrolle aus seiner Tasche befreien können.

 Jetzt verstand ich Rou Aufregung. Das rubinrote Siegel mit dem Flammen-Wappen der Feuernation, dass in Bambus eingefasst war, kannte jeder. Es gehörte Meister Kaguya. Einem Lehrmeister für das Feuerbändigen. Früher hatte er die Feuerfalken, ein Spezial-Bataillon des Militärs unterrichtet bis er durch eine Übung sein linkes Bein verlor. Er war verstümmelt wie mein Vater, nur dass er sich deswegen nicht als Sklave durchkämpfen musste. Er lehrte nun Heranwachsende und war ein hochangesehener Mann. Und das nicht nur wegen seiner Kampffertigkeiten.  Er ein enger und geachteter Berater des Feuerlords.

"Woher habt ihr die Schriftrollen?" fragte ich langsam. Und etwas beunruhigt. Der Rechte Wang begann zu sprechen "Ein Bote auf einem Straußenpferd stand am Rand vom Orchideendrachenviertel. Wir haben gefragt was er will. Er hat gesagt, dass er uns bezahlen wird, wenn wir euch die Briefe bringen" Zum Beweis ließ er ein paar Geldstücke in seiner Hosentasche klimpern. "Ich glaube, er hatte Angst nicht mehr lebend hier raus zu kommen" fügte der Linke hinzu. Sie lächelten uns abschließend an und machten sich aus dem Staub. 

"Lass sie uns lesen" sagte ich schließlich. Wir hatten eine ganze Weile unschlüssig auf die Papierbögen in unseren Händen gestarrt.  "Gut. Gehen wir in den Innenhof" beschloss Rou. 

Jing's Reise - Buch Eins: LuftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt