IV

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Der Morgen danach ist immer das schlimmste.

Ohne jegliche Vorwarnung unterbricht brüllendes Piepen meinen Ohnmachtsschlaf, wie eine hängengebliebene Schallplatte wiederholt es sich, wird von Zeit zu Zeit immer aggressiver. Viel zu lang brauche ich um festzustellen, dass es sich nur um das kleine nervende Ding mit Ziffernblatt und Zeiger neben meinem Bett handelt und ich tatsächlich auch in meinem Bett liege.

Man hätte meinen können, nach elf Jahren den genauen Ziel- und Treffwinkel zu kennen, um in Sekundenschnelle das Geräusch ausschalten und weiterträumen zu können.

Es ist jedoch erst genau zwölf Versuche später still. Als hätte der Wecker alle Töne geschluckt, sie mit sich genommen um am nächsten Morgen erst wieder heraus zu lassen. Einzig und allein mein Atem lässt abgestandene Luft erzittern, erschöpft sinkt mein Körper zurück auf raschelnde Kissen, in ihnen bleibt mein Atem hängen. In meinem Kopf, tosender Sturm, aufbrausendes Unwetter. Lautes Donnergrollen, zuckende Blitze lassen mich tränende Augen zusammenkneifen. Wüstentrockener Mund, nach zweimaligem Schlucken und verzweifeltem Lecken über bröckelnde Lippen schmecke ich den gestrigen Abend: Alkohol, eine Mischung aus Wodkamix und Bier. Tabak, Marshmallows und Holzkohle.

In schwarz-weißen Flashbacks blitzen Erinnerungen auf. Knisterndes Feuer, tanzende Flammen. Der Geruch von verbranntem Marshmallowfluff in warmer Sommerluft, leises rauschen der Wellen. Kratzender Sand zwischen nackten Zehen, kühle Flüssigkeit den Rachen hinunterlaufend. Bittersüßer Geschmack, irres Lachen. Sanfte Klänge von angeschlagenen Saiten, sinnlicher Gesang, glitzernde Sterne. Wirre Gedanken, irrsinnige Ideen, schwankendes Bild.

Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen, wieder eine neue Geschichte meines Lebens. Vielleicht würde ich heute Nachmittag mein kleines Büchlein herauskramen um mit geschwungenen Linien die vergangene Erinnerung auf Papier zu bringen. Vielleicht allerdings, würde ich auch einfach liegen bleiben um meinen Rausch auszuschlafen.

Ohrenbetäubendes Knallen verursacht eine schmerzvolle Lawine in meinem Kopf, mit ganzer Kraft presse ich meine Hände gegen plötzlich überempfindliche Ohren. „Steh auf du Schnapsleiche." Gequältes Brummeln meinerseits erreicht mein abgedunkeltes Zimmer, bei meiner Schwester scheint es jedoch nicht anzukommen. „Heul nicht rum, Mum hat dir immerhin Kaffee gemacht. Sie könnte dich auch weitkant aus dem Haus schmeißen." „Hochkant." „Häh?"

Genervt verhaken sich meine Finger in meiner Decke, ziehen sie bis über meinen zerzausten Haarschopf. Unter dem sicheren Schutz verdrehe ich über die Dummheit meines Störenfrieds die Augen, versuche erst gar nicht eine Erklärung abzuliefern. „Steh doch auf. Ich will mein Brötchen in Ruhe essen können." „Dann lass mich schlafen und geh essen."

Mit einem Ruck verschwindet die wohlige Wärme, nackt liege ich auf dem zerknitterten Laken. „Schlafsachen hättest du wenigstens anziehen können", naserümpfend fliegen grüne Augen meinen ungeschützten Körper entlang, bleiben etwas länger an meinem schwarzen Bikinioberteil hängen. Um ehrlich zu sein hab ich nur noch schemenhaft vor Augen, wie ich im dunklen Zimmer versandete Klamotten von mir reiße, sie fallen lasse um in komatösen Schlaf zu fallen.

Peach dreht sich um, hebt grazil die Beine um über Klamottenberge steigen zu können und verlässt mein Zimmer mit bewusst lautem Türknallen. Meine Decke hat sie dabei achtlos in die weitenfernteste Ecke geschmissen. In meinem Kopf prasseln Hagelkörner vom Himmel hinab, die Kälte des Eises lässt mich zitternd meinen eigenen Körper umarmen. Wieso nochmal wollte ich gestern betrunken sein?

„Nie wieder Alkohol!" Raues Lachen ertönt aus meiner Kehle, ironisch nicke ich: „Glaub mir, das sag ich auch jedes Mal wieder." Liam zuckt mit den Schultern, fährt sich müde durch ungemachte Haare um danach einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche zu nehmen. Trotz der Tatsache, sich im hintersten Eck der Pausenhalle zu befinden ist es laut. Um uns herum lachende Schüler, trampelnde Schuhsohlen, zuschlagende Spindtüren. Wie in einem Ameisenhaufen oder als gebe es Freibier.

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