Mir hat mal jemand gesagt, am Ende des Tages, da wären wir alle nichts. Da wären wir alle klein, wären allein auf dieser großen weiten Welt.
Mir hat mal jemand gesagt, in der Nacht, da verschwinden all die Taten. Da sind wir alle gleich, einfach nur wir selbst. Ein offenes Buch, ein geöffnetes Herz.
Mir hat mal jemand erzählt, in der Dunkelheit gäbe es nur noch uns. Da herrschen keine Regeln, existiert kein Druck auf den du achten musst. Da verschwindet das Misstrauen gegen all die Menschen, fliegt die Angst davon. Da ist alles schon geschrieben, alles aufgehalten, aufgemalt und festgenommen.
Mir hat einst jemand zugewispert, in der Nacht, da bliebe nichts. Nur vergangenes, passiertes, erlebtes, längst geschehenes.
Mir hat mal jemand gesagt, die Gespräche bei Nacht wären die ehrlichsten. Es verschwinden unsre Mauern, fallen die Masken.
Mir wollte jemand weismachen, die Nacht sei klar, der Himmel voll Sterne, der Blick in die Ferne. Weit hinaus ins Märchenland, dorthin wo Träume ihr Zuhause finden, schlechte Erlebnisse verschwinden. Dort, wo alles so offensichtlich wird. Wo Fragen wie Antworten, und Tränen wie Wind sind.
Mir hat mal jemand gesagt, am Ende vom Tag, da wären wir alle schwach. Geschwächt von gewonnenen Kämpfen, errungenen Siegen.
Mir hat mal jemand gesagt, am Ende des Tages, da wären wir alle nichts.
Aber es ist jetzt Tag. Jetzt bin ich nicht nichts. Jetzt bin ich, ich.
Und ich fühl mich als wäre ich in eine Raum gefallen. Geschubst worden, hätte das Gleichgewicht des Lebens verloren, sei nun hinabgerutscht. In einen runden Raum in der Mitte ich, klein, allein. In verschwommenen Farben gespielte Szenen, verwischte Filme, undeutliche Ausschnitte eines aufgenommenen Geschehens. Es herrscht eisige Stille. Bilder sprechen für sich, rasende Aktionen füllen den Raum. Vor mir, hinter mir, rechts und links. Bildabfolgen, winzige in die Länge gezogene Ausschnitte. Reflektiert an die Wand, abgeprallt, in der Mitte zusammengetroffen. Licht bündelt sich, blendet mich. Tanzende Figuren, springende Schatten. Die Farben zu hell, viel zu grell. Immer wieder Wiederholungen, keine Pause, nur nach vorne, nach hinten, schnell, langsam.
Jemand spielt das Video ab. Projiziert es an die Wand. Ein nicht zu enden scheinender Prozess.
Stets das gleiche, immer dasselbe. Ein tanzendes Mädchen, ein grinsender Mund, sich bewegende Lippen, ich.
Wispernd, schüchtern spreche ich eine Erkenntnis aus. Unbedeutend verlässt sie meinen Mund, schlägt ein wie eine Bombe: „Liam. Da bin ich. Ich bin da."
Der Bildschirm zeigt Sekunde drei an, Sekunde vier folgt. Was in Sekunde fünf geschieht weiß ich, vor meinem inneren Auge läuft das Schauspiel ab, als hätte ich es einstudiert, auswendiggelernt. Als wäre es nur das: ein inszeniertes Theater.
Nach Sekunde zwölf verschwinden nach Knopfdruck unruhige Farben. Schwarz umhüllt den Film, Dunkelheit kehrt zurück. Heftig hebt und senkt sich mein Brustkorb, passt sich an an das Galoppieren meines Herzens. Sie beide scheinen sich an die Hand zu nehmen, gemeinsam fliehen zu wollen. Weg von der Wahrheit, der Wirklichkeit ausweichen. Der Verstand thront über ihnen, steht da, dick und groß, schaut hinab auf sie. Dröhnend verkündet er Ruhe zu bewahren, verteilt Anweisungen. Beruhigen sollen sich Angst und Erschrecken.
„Schatz, wir müssen in die Schule." Sorge schwingt in den Worten meines besten Freundes. Der benutzte Kosename beweist es, unterstreicht die Besorgnis. Ich schüttle den Kopf. Langsam schwingt er hin und her, verneint seine Aufforderung, das Gesagte. Verneint das reale, die Fakten. Verneint den Tag, die Vergangenheit, die nicht überwindbare Zukunft. Ich verneine die Zeit, weil sie mir entrinnt.

DU LIEST GERADE
unlike
Ficção Geral"Du kannst nicht." "Du sollst nicht." "Du musst nicht." "Du darfst nicht!" und trotzdem liebe ich ihn. #25 aktuelle literatur