„Ich hasse euch auf ewig, sollte das hier schiefgehen!" Übertrieben gründlich schweift Liams Blick durch das Restaurant. Erleichtert strömt Luft aus seinen Lungen nachdem er keine verdächtig aussehenden Menschen gefunden hat. „Wir sind hier sicher. Und selbst wenn, hatten wir halt Hunger nach deinem Arzt", Flo klingt zu enthusiastisch, das Strahlen ist aus ihrem Gesicht nicht mehr wegzudenken.
Mitleidig tätschle ich die Schulter meines besten Freundes, lass mich nach hinten in den Ledersitz sinken. Wir hatten viel zu schnell das Schulgebäude verlassen, das Gefühl etwas Verbotenes zu tun hatte uns wie ein drohender Schatten verfolgt. Flo war zwar eine Meisterin im gut zureden gewesen, hatte es jedoch nicht geschafft nicht nur mir, sondern auch Liam die Angst erwischt zu werden zu nehmen. Also waren wir wie eine Gruppe von Bankräubern durch die leeren Straßen geschlichen, das Mr. Ladys erst nach einer hitzigen Debatte betreten. Mein bester Freund hatte nämlich das winzige bisschen von seinem übrig gebliebenen Mut auf dem Weg komplett verloren. Nur der Gedanke Mr. Perfect alias Zayn wieder sprechen zu können, hatte ihn dazu gebracht einen Fuß über die Schwelle des Restaurants zu setzen.
Genüsslich schließe ich die Augen, versinke in der schutzspendenden Ledercouch, konzentriere mich auf die Tatsache während der Schulzeit frei zu sein. Gemurmel des Nebentisches erreicht mein Ohr, klapperndes Geschirr mischt sich mit schabenden Stuhlbeinen. Geld klimpert, ein Geldstück fällt klappernd zu Boden. Kindliches Lachen ertönt, ein Hund beginnt zu bellen. Das Knattern der Kaffeemaschine erfüllt den Raum, intensiver Geruch von frischem Kaffee und aufgebackenen Brötchen lassen mich nach einem zweiten Frühstück lechzen. Das Öffnen der Türe wird mit einem klingelnden Windspiel verkündet, ein Luftzug verursacht eine winzige Gänsehaut auf meinem Körper.
„Ich wurde gestern gesucht?", eine tiefe, raue Stimme mit starkem Akzent lässt mich meine Augen öffnen, direkt in braune sehen. Hektisches Husten, ein geschockter nach Hilfe suchender Blick durchbohrt den meinen. Liam scheint erschrocken, sofort blitzen Szenen der gestrigen Nacht vor meinem inneren Auge auf. „Öhm, kann sein?", versuche ich mich rauszureden, die peinliche Situation vielleicht zu retten. Der schwarzhaarige vor uns legt den Kopf schief, fährt sich durch die Haare: „wurde mir zumindest erzählt." Ein spitzbübisches Grinsen legt sich über seine Lippen, gespielt gleichgültig zuckt er mit den Schultern. Oh oh.
„Naja, also vielleicht. Hmpf, kann sein, ja." Knallrot läuft mein Freund an, versucht seine zitternden Hände unter dem Tisch zu verstecken. „Ich hab auch mal Feierabend!", fast sieht Zayn beleidigt aus. Dass dies Liams Unsicherheit nicht gerade lindert sehe ich ihm direkt an. Er murmelt eine undeutliche Entschuldigung, senkt den hochroten Kopf. „Jetzt bist du ja da. Alles gut bei dir?" Der Kellner nickt auf meine Frage, sieht trotzdem noch nicht glücklich aus. Als würde ihm eine dringende Frage auf seiner Zunge brennen, als sei er kurz davor uns damit zu bombardieren. Schwer schluckt er, verschluckt damit wohl auch seine Worte.
Als wäre er gerade erst an unseren Tisch getreten und wir Gäste, welche er zum aller ersten Mal zu Gesicht bekommen hätte, werden wir professionell nach unserem Essenswunsch gefragt. Flo bestellt für uns alle, sie ist die einzige welche nichts von all den Zayndingen weiß. Somit habe ich Zeit ihn erneut zu betrachten. Erst jetzt bemerke ich seine Aura, sie springt mir fast entgegen, wirft mich fast um, als würde sie mir deutlich machen wollen schon immer dagewesen zu sein. Versteckt und trotzdem offensichtlich umgibt ihm etwas Starkes. Ein Blick in sein Gesicht, auf seine Hände genügt um plötzlich ruhiger zu werden. Als läge die gesamte Stille dieses Planeten in ihm, erst beim zweiten Betrachten würde man auch ein Teil davon abbekommen. Er verlässt unseren Tisch, hinterlässt in mir ein Gefühl der Sicherheit. Als hätte er durch eigene Erlebnisse den Verstand zuzuhören und jederzeit einen Rat geben zu können.
„Was genau war das denn jetzt?" Empörte Blicke schießen von Flo zu uns, Liam lässt schluchzende Geräusche erklingen: „scheiße! Peinlicher geht's auch echt nicht. Damn! Wer ist so dumm und erzählt ihm einfach, dass wir gestern da waren." „Ihr habt nicht wirklich gestern total besoffen nach ihm verlangt?!" Verzweifelt nickt Liam, schlägt sich mit der flachen Hand mehrere Male auf den Kopf. „Also so unsicher hab ich dich noch nie gesehen! Er muss dir ja echt den Kopf verdreht haben!" Meine beste Freundin hat recht. Und ich kann Liam verstehen. Zayn hat eine wahnsinnige Ausstrahlung. „Peinlich, peinlich, peinlich, peinlich. Erschießt mich bitte jemand?"
„Also eigentlich hab ich mich sogar geschmeichelt gefühlt." Erschrocken quietscht Liam auf, ich kann nicht anders als laut loszulachen. Schon wieder steht er vor uns, balanciert auf der tätowierten Hand ein mit Getränken vollgepacktes Tablett. „Jesus! Es tut mir leid!" Grinsende Gesichtszüge werden weich, fast schon liebevoll betrachtet er meinen besten Freund, versichert ihm sich nicht entschuldigen zu müssen. „Was macht ihr eigentlich hier? Irgendwie dachte ich ihr wärt Schüler."
„Alle sagen immer ich würde älter aussehen, als ich bin", beschwert sich Flo, fährt sich mit einer provozierenden Geste durch ihr braunes, perfektes Haar. „So war das nicht gemeint. Ihr seid sicher so alt wie ich", von Liam wird er unterbrochen, die Frage ob das ganze hier noch kurioser und peinlicher werden kann überrennt meine Gedanken. „Sind wir. Ich wurde zum schwänzen mehr oder weniger gezwungen." „Ok?!" „Sagen wirs mal so, du warst nicht in der Verfassung am Sportunterricht teilzunehmen." Er verdreht die Augen und versucht sich rauszureden. Seine Stirn legt sich dabei vor Anstrengung in Falten, die immer noch bebenden Hände hat er mittlerweile unter seinen Oberschenkeln begraben. Nervös bewegt sich sein Bein von rechts nach links, steckt mich mit seiner Nervosität augenblicklich an.
Glücklicherweise wird sein sinnloses Herumgestotter unterbrochen, Zayn habe noch andere Kunden um die er sich bedauerlicherweise kümmern müsse. Ein erleichtertes Ausatmen unsererseits lässt die Luft um uns herum erzittern, hektisch versenkt der braunhaarige seinen Kopf in der großen Kaffeetasse. „Also echt. Liam du bist der schlechteste Männerheld der gesamten Gesellschaft." Florence schüttelt entsetzt den Kopf, sieht aus als würde sie am liebsten ihre gesamten Flirttipps auspacken um dem hilflosen Jungen an unseren Tisch zu helfen. Zu unserem Glück lässt sie es, Stille legt sich über uns. Jeder scheint in seinen eigenen Gedanken zu versinken, sich die Minuten von eben noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.
Ob Zayn Liam innerlich auslacht? Meine Augen verfolgen den Kellner, saugen jede noch so kleine Bewegung seinerseits in sich auf. Selbstsicher läuft er von Tisch zu Tisch, lässt nur die nötigsten Worte über seine Lippen, bringt jedoch jeden Gast zum Lächeln. Mit Bedacht balanciert er Getränke und Speisen durch den Raum, notiert sich geschäftig alle Essenswünsche auf einem kleinen Block. Einmal erwische ich ihn dabei an seinem bunten Bleistift zu kauen, ein anderen Mal fällt mir auf, wie sich sein Brustkorb hebt und senkt, als würde er seufzen. „Ich denke, ihr würdet euch perfekt ergänzen."
Liam seufzt, scheint meiner Aussage nicht zu glauben. „Nicht aufgeben! Ich glaub nicht, dass er dich nicht mögen könnte." „Na nach dem heutigen Tag besteht auf jeden Fall keine Gefahr mehr, dass er mich als ein gestörtes Kleinkind ansieht." Von der Moralpredigt meiner Freundin werde ich abgelenkt, harsche Worte dringen in meine Gedanken, mein Kopf dreht sich in deren Ausgangsrichtung.
Eine spiegelglatte Glatze, in welcher sich Licht einer Lampe spiegelt, fällt mir sofort ins Auge. Kritisch hochgezogene Augenbrauen ergänzen sich perfekt zum übrigen Bild. Graues verschwitztes T-Shirt, nur halbrosa Speckröllchen verdeckend, wild gestikulierende Hände, mit protzigen Ringen verzierte Finger. Seine aggressiven Worte hallen drohend in meinem Kopf wieder:„Diese ganzen Heteros sollte man vergasen. Selbst Gott hasst sie."
DU LIEST GERADE
unlike
General Fiction"Du kannst nicht." "Du sollst nicht." "Du musst nicht." "Du darfst nicht!" und trotzdem liebe ich ihn. #25 aktuelle literatur