XII

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In Filmen, da wird die Ankunft der Protagonisten oder Helden immer in imposanter Zeitlupe dargestellt.

Ich hab mir immer vorgestellt wie es wäre auch so eine Person zu sein.

Jemand, entstanden aus der Fantasie eines anderen, ausgestattet mit erträumten Eigenschaften.

Ein von vorne bis hinten durchgeplanter Charakter.

Jemand, mit einer Geschichte, mit einem Sinn, einer Handlung welche eine versteckte Botschaft mit sich trägt.

Nie hätte ich gedacht, je diesem Gefühl nahe zu kommen.

Denn, sie alle starren mich an.

All ihre Augen nur auf mir. Für sie scheint alles andere unwichtig zu werden. Ganz, als wäre ich ein in Zeitlupe nach einer gewonnenen Schlacht ankommender Held.

Dabei bin ich nur eine neue, kleine ihrer Geschichten.

Denn, ihr eigenes Leben scheint grau, langweilig. Schon lange haben sie nicht mehr gewagt, tappen auf der Stelle, drehen sich im Kreis.

Sie brauchen Aufregung, brauchen Spaß.

Also reden sie, sehen sie, warten auf das Leben, die Geschichten anderer.

Und zwischen ewigem suchen, irrenden Wegen, da stand nun mal ich.

Kam zur rechten Zeit, war noch nicht dafür bereit aber das ist ihnen egal.

Also scheinen alle Augen auf mir zu liegen, während ich einen Schritt nach dem anderen wage. Sie verfolgen mich, heften ihre Blicke an mir fest. Und egal, was ich tue, sie sehen es. Alles. Sie merken sich alles.

Und genau das, jede Bewegungen, jeder Satz meinerseits wird seine Runde machen, das weiß ich genau.

Also laufe ich. Langsam, den Blick gesenkt. Ich versuche zu atmen, nicht stehen zu bleiben. Versuche taub zu sein, mir vorzustellen, wie es wäre, wenn ich sie nicht sehen könnte.

Beklemmung erdrückt mich, füllt mein Herz aus, bringt es beinahe zum Zerspringen. Angst schnürt mir die Kehle vollkommen zu, ich verstehe nicht, wieso ich noch atmen kann.

Ich verstehe nichts mehr.

Also beginne ich ein Zelt zu bauen, einen Rückzugsort. Ich blicke hindurch, betrachte sie durch die dicke Folie. Verschwommen wirken sie jetzt, verzehrt, wie eine Illusion. Ich erkenne nur ihre Formen. Das Äußere, ihre Konturen. Doch ich sehe sie. Sie alle. Sehe ihre Bewegungen, die Tatsache, dass sie mich erkennen.

Aber durch die Folie können sie nicht schauen.

Auch sie sehen nur mein Äußeres. Erkennen nur das Mädchen, was neben ihrem besten Freund den Flur entlanggeht. Welches nicht aufblickt, eine Nacht voll Alkohol hinter sich hat. Sie sehen eine neue Attraktion, eine kurze Story um sich unterhalten zu können. Sie ergreifen den winzigen Moment von ihrem eigenen Alltag fliehen zu können, davon sich selbst fehl am Platz zu fühlen. Denn sie können lachen, über die Fehler anderer.

Ich weiß nicht wie, weiß nicht durch wen aber ich sitze plötzlich. Sitze hinten auf einem Stuhl, scheine immer noch zu atmen. Kondenswasser bildet sich auf der Zeltplane, verschlechtert die Sicht nach außen.

Jetzt höre ich sie nur noch. Nehme nur noch Stimmen wahr, versuche zu verstehen was sie murmeln.

"Hey", die Stimme ist sanft. Sanft wie Samt, "Liam hat mir die Kurzfassung zukommen lassen. Ich bin da für dich. "

Mehr sagt sie nicht. Sieht mich nur an, das zumindest erkenne ich durch meinen Schleier.

Sie muss nicht mehr sagen. Das weiß sie. Sie fragt nicht nach, sie reimt sich nichts dazu, sie lässt mich in ruh, bietet mir Sicherheit an.

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