Kapitel 6

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Die ganze Woche verging so. Nur gab es andere Aufgaben. Und am Freitag meinte Andy, ich soll nächste Woche lieber auch kommen. Wir wissen ja nicht, was bei dem Banküberfall passieren kann, hatte er gesagt. Da musste ich ihm sogar recht geben. Und das alles fing sogar an, mir zu gefallen! Die Leute hielten hier zusammen. Auch wenn es manchmal Probleme gab. Manchmal... Darum entschied ich mich, bei Andy zu bleiben. Aber ich sagte es keinem. Es sollte eine Überraschung werden.
Der 20. war ein Samstag. Wie konnte es sein, dass Jo und ich uns am Samstag treffen würden? Gut, jetzt würde es so sein, aber davor... Wir hatten nicht mal wirklich Kontakt miteinander. Warum sollten wir uns dann treffen? Hm, warum? Mal sehen... Ich musste eh nur noch einen Tag abwarten.

Es war endlich Samstag. Ich hatte immer noch keinen Treff vor. Cris kam in mein Zimmer. „Anna, ich gehe heute einkaufen. Kommst du mit?“
„Ja.“, stimmte ich dem Angebot zu. Mein Bruder nahm mich kaum irgendwo mit, also hatte ich einen Grund zum Freuen.
„Dann sei um vier bereit.“, sagte er.
Ich könnte wetten, so würde ich auf Jo zustoßen.
Ich war gerade dabei, mich umzuziehen, da überflutete mich eine Welle heftiger Kopfschmerzen. Schlecht. Sehr schlecht. Heute würden viele Menschen sterben. Elys Prophezeiung, natürlich. Ich holte mein Handy heraus. „Andy, das Gefühl.“
„Was ist?“, fragte er.
„Heute werden Menschen sterben.“
„Viele?“
„Viele.“
„Ich weiß.“ Er seufzte. “Wir sind bereit.“ Er legte auf.
Was Andy vorhatte, wusste ich nicht. Und ich weiß bis jetzt nicht, was er sich so ausdenkt, wenn Menschen in Gefahr sind. Meistens müssen wir uns selbst was überlegen.
Ich und Cris waren gerade auf dem Weg zum Supermarkt und quatschten über die vergangenen Wochen. Da raste die Polizei an uns vorbei. Es waren mehrere Autos mit Sirenen. Warum genau jetzt?!
„Lass uns gucken, wo die hin wollen.“, schlug Cris vor.
Ich durfte nicht nein sagen. Was geschehen musste, musste geschehen. Bei dem Banküberfall musste ich dabei sein. Leider. Deshalb nickte ich und wir eilten der Sirene nach. Falsch ausgedrückt. Wir eilten nicht, wir rannten so schnell wir konnten. Zum Glück befand sich das Bankgebäude nicht so weit weg. Es standen drei Polizeiautos, alle mit offenen Türen. Viele Menschen drängten davor in einem Halbkreis herum. Vor dem Eingang, vor den Menschen, hielten Polizisten mit gerichteten Pistolen Wache. Viele Stimmen, Schreie. Echt toll! Womit hab ich mir das nur verdient? Was habe ich in meinem Leben so falsch gemacht, dass ich dafür bestraft werde? Ich ging mehrere Schritte näher an an die Leute ran, Cris griff nach meiner Hand und ich musste stehen bleiben.
„Näher gehen wir nicht. Wir wissen gar nicht, was da vor sich geht.“
Ich aber. Doch meine Antwort war trotzdem anders. „Ich bin ganz deiner Meinung.“
Die Polizisten warteten auf irgendwas. Vielleicht war einer von ihnen schon drin. Doch aus dem Gebäude konnte ich nichts hören. Ich blickte mich um. Aus der Richtung, aus der Cris und ich gekommen waren, rannte Jo zu uns zu.
„Cris... Warte mal hier...“, zögerte ich. Ich lief Jo entgegen.
„Anna... Du bist ja schon hier.“, wunderte er sich.
„Bist du allein gekommen?“
„Ja. Andy hat gesagt, wir müssen das hier allein probieren.“ Er verdrehte die Augen.
„Weil Ely nur uns zwei gesehen hatte?“ Er nickte. „Was müssen wir denn allein probieren?“
„Na die Menschen zu retten.“
„Wie denn?“ Andy musste doch eine genaue Anweisung gegeben haben.
Jo zuckte jedoch die Schultern. Ich bemerkte Cris' fragenden Blick, beachtete ihn aber nicht.
„Experimentieren.“, antwortete Jo dann leicht unzufrieden.
Experimentieren? Eine schlechte Idee, eine wirklich schlechte Idee. Tausend Dinge könnten schief gehen. Eins wusste aber genau. Wir beiden würden nicht sterben. Cris auch nicht. Wir waren übrigens schon bei ihm angekommen.
„Cris, das ist Jo - mein Freund, Jo, das ist Cris - mein Bruder.“ Beide nickten zur Begrüßung. „Jo, was wollen wir also tun?“
„Wir müssen rein.“
Verständnislos hörte uns Cris zu und sah von einem zum anderen.
“Was?! Es werden Menschen sterben und wir kommen noch mit dazu.“
„Nein. Wenn wir reingehen, werden keine Menschen sterben.“
Jo sah mich herausfordernd an und ich seufzte schwer. Er hatte gewonnen. Er verstand das und wir wollten schon losrennen, doch Cris stellte sich vor uns.
„Halt, halt, halt. Wo wollt ihr hin? Was habt ihr vor?“
„Ehm... Menschen retten.“, meinte Jo und sah Cris mit gehobenen Augenbrauen an.
„Ich lass euch nirgendwohin.“ Mein Bruder verschränkte die Arme.
„Doch.“, lächelte Jo. „Anna, nimm meine Hand.“ 
Seine Hand? Ich wusste zuerst nicht, was er vorhat. Ich hatte vergessen, dass er auch Fähigkeiten besitzt.
Jo streckte seinen Arm aus und ich legte meine Hand auf seine. Ich will jetzt nicht lügen. Das Gefühl, welches ich dabei empfand, war angenehm. Was bedeutete das? Rein gar nichts. Plötzlich standen wir in einer Art Wolke. Aber nur für eine Sekunde. Danach befanden wir uns schon im Bankgebäude. Cool. Leider keine Zeit für Gespräche. Und auch kein Plan. Wie blöd zu einem Räuber ohne Plan zu gehen. Ich sah mich um. Wir waren nicht in dem Raum, wo der Überfall stattfand.
„Warum sind wir hier?“, fragte ich.
„Weil wir noch immer keinen Plan haben.“
Schön, dass endlich auch er das bemerkt hatte. Also hatte er's sich anders überlegt. Kein Experimentieren mehr. Besser so.
„Du kannst ihn doch wegteleportieren.“
„Nein. Zu viele Menschen, die nicht sehen dürften, dass es uns gibt.“
Es erklang ein Schuss und wir zuckten zusammen.
„Wir müssen uns schneller was überlegen! Er hat jemanden umgebracht. Jo, da sind Kinder!“
Er wollte bestimmt fragen, woher ich das wusste, doch er tat das nicht.
„Entweder ich kriege das Geld oder ich erschieße sie!“, hörte ich eine Männerstimme aus dem Nebenraum rufen.
„Wir... Wir... Wir...“, dachte Jo angestrengt nach.
„Mach schneller!“, hitzte ich ihn an.
„Überleg auch!“, rief er aus.
Panik. Wir beide hatten Panik, wussten nicht, was wir unternehmen, wie wir helfen konnten. Sehr schlau von Andy, dass nur wir beide hier waren und dass wir davor keine Zeit zum Überlegen hatten. Nein... Die Menschen würden sterben.
Jo schien eine Idee zu haben. „Anna, du musst den Mann ablenken. Dann kann ich der Polizei helfen reinzukommen.“
„Ich? Ablenken? Aber... Ich weiß gar nicht -“, stotterte ich verzweifelt, doch er unterbrach mich.
„Du musst das tun. Denk daran, wie viele Menschen du retten wirst. Ich glaube an dich.“
Ich an mich aber nicht. Der Räuber wird mich einfach erschießen! Aber ich hatte keine Wahl, Jo war verschwunden. Zögernd ging ich aus dem Raum und versuchte, meinen Mut zu sammeln. Ich merkte, dass ich zitterte. Natürlich, vielleicht gehe ich meinem Tod entgegen. Und da war er, der große Raum.
„Es war doch nicht so eine kluge Idee, in die Bank einzudringen, wie?“, sagte ich so sicher, wie es bei mir in diesem Augenblick nur ging.
Alle sahen mich an. Manche erstaunt, manche um Hilfe bittend, manche entsetzt, manche zu verschwinden ratend. Das Letzte wollte ich in diesem Moment so gerne tun.
„Wo kommst du denn so mutig her?“, fragte der Räuber und richtete die Pistole auf mich.
Hilfe!
„Woher ich komme... Na ja... Ich kam einfach vorbei... und... sah... deinen misslungenen Versuch, an großes Geld heranzukommen.“
Ich sollte wohl lieber was anderes zur Ablenkung sagen. Sonst würde er auf mich noch wütend werden, oder?
Der Räuber ging langsam zu mir. Ich glaube, ihm gefiel, was jetzt los war.
„Misslungener Versuch, sagst du?“
„Ehm... Ja, ganz genau.“ Ich sah die Polizisten und Jo, wie sie sich reinschlichen. Der Letztere winkte mir zu und zeigte den gehobenen Daumen.
„Hast du etwa gar keine Angst vor mir?“, wunderte sich der Räuber.
„Vielleicht nur ein bisschen. Aber mach dir nicht zu viele Hoffnungen.“
„Was meinst du damit?“
„Na dass du meiner Angst entwegen Geld kriegen kannst.“
„Ach ja?“
„Ja...“, nickte ich einmal langsam.
Es erklang ein Schuss und ich kreischte auf. Gleichzeitig stürmten mehrere Polizisten auf den Mann zu. Plötzlich stand Jo neben mir und zog mich schnell weg. Zum Glück. Ich bin ihm so dankbar. Dank ihm verfehlte mich die Kugel. Es wurde sehr laut im Raum. Die vielen Geiseln rannten aus dem Gebäude. Jo ergriff meine Hand und wir verschwanden, diesmal ohne der Wolke. Wir tauchten wieder bei Cris auf, doch da zu bleiben, hatte Jo nicht vor. Er legte seine zweite Hand auf Cris' Schulter und wir verschwanden.

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