Kapitel 8

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Mat nach seiner Vergangenheit zu fragen, traute ich mich nicht. Darum ging ich zu Iris und Ely. Sie waren gerade in der Küche. Ely wusste nichts, darum beantwortete Iris meine Fragen.
„Mat haben wir vor zwei Jahren aufgesucht. Wie schon mal erwähnt, er kommt aus Deutschland. Er und seine Familie hatten einen Autounfall. Sonst hätten wir von ihm nichts gehört. Nur er hatte überlebt. Als man ihn gefunden hatte, stand er am Straßenrand. Keine Verletzungen, nichts. In seinen Erinnerungen sah ich, dass er kurz vor dem Unfall einen Streit mit den Eltern hatte.“ Das Letzte flüsterte sie: „Ich glaube, er war an dem Unfall schuld.“
Dann verließ sie einfach die Küche. Gut, das behalten wir für uns. Bei ihm ist die Kraft also einfach explodiert und herausgebrochen., überlegte ich. Denn das würde Iris' Erzählung entsprechen. Arme, arme Andys Leute.

Ein neuer Tag. Wir saßen im Übungsraum und arbeiteten an Deutsch-Arbeitsblättern. In letzter Zeit, genauer gesagt ein paar Tage nach unserem Gespräch, fing Jo an, mich die ganze Zeit über anzublicken. Okay, die ganze Zeit über ist übertrieben, aber oft genug. Und auch jetzt fühlte ich seinen Blick auf mir ruhen. Was hat er nur?
Rate mal., hörte ich Iris in meinen Gedanken sprechen.
Ich blickte kurz zu ihr auf. Sie sah mich nicht an, machte ihre Aufgabe, doch sie hatte alles mitbekommen.
Was tust du in meinem Kopf?, dachte ich an sie gerichtet.
Langeweile vertreiben., antwortete sie.
„Pf!“, flüsterte ich. Warst du in seinen Gedanken?
Ich brauche das nicht. Das sehe ich so. Und nicht nur ich. Ihr Ton wurde listig.
Ich lächelte und verkniff mir das Lachen. Und warum gerade jetzt?
Nicht nur jetzt., widersprach sie. Die ganze Zeit über und sogar schon länger. Am Anfang zeigte er es nur nicht.
Ich blickte wieder zu Iris rüber. Sie sah mich kurz an und zuckte die Schultern. Ich seufzte und fuhr mit der Aufgabe fort. Eigentlich brauchte ich keinen Boyfriend. Nein, ich habe nichts gegen Jo. Er ist eigentlich ein hübscher Junge. Und mit ihm zu sein, wäre auch nicht schlecht... Aber doch nicht jetzt. Es gibt viel zu viele Probleme und wir kennen uns zu schlecht. Tut mir leid, Jo.

***

Ein Monat war vergangen. Ein ruhiger Monat, mit Ausnahme von mehreren Malen, in den mich meine Gefühle zu einem Sterbenden trieben. Aber schöne Zeiten gehen auch irgendwann vorbei, leider.
Ich arbeitete mit Ely, wir mussten schon wieder unsere Fähigkeiten trainieren, als sie ein Blatt herausholte, einen Bleistift nahm und zu malen anfing.
„Andy“, sagte ich nervös. „Wir haben ein Problemchen. Ely zeichnet was.“
Ich blickte wieder auf das Papier. Dann hob ich den Kopf und... Ely und ich waren umkreist von allen anderen.
„Sie hat doch eine Vision, stimmt?“, fragte ich.
Alle nickten. Ely hörte mit dem Zeichnen auf und blinzelte mehrmals. Ahnungslos sah sie sich um. „Was ist? Warum seid ihr alle hier? Hatte ich eine Vision?“
Sie fand den Stift in ihrer Hand und blickte weiter runter auf das Blatt.
„Das ist der Flughafen, richtig?“, stellte Toni fest.
Bevor er die Frage gestellt hatte, hatte ich meine Hand auf eine Ecke des Bildes gelegt. Ich habe gelernt, dass es für mich einfacher ist, Informationen rauszubekommen, wenn ich Ely nach ihrer Vision berühre. Mit dem Bild war es noch leichter. Nur musste ich hoffen, dass das auch klappte, denn das tat es selten.
„Ja, Toni, das ist der Flughafen. Am Donnerstag wird es passieren. Eine Bombe. Nein. Eine riesige Bombe. Der ganze Flughafen wird in die Luft fliegen.“, berichtete ich.
„Du sagst es so kalt...“, meinte Mat.
„Wir können nicht helfen.“
Andy sah mich interessiert an, alle anderen fragend.
„Warum? Früher hatten wir das doch immer geschafft. Warum nicht auch jetzt?“, fragte Jo etwas empört.
Ich ging um den Tisch und verbeugte mich darüber.
„Damit ich Ely die Arbeit erleichtere: Seht mal alle her.“ Ich zeigte auf mehrere Personen auf Elys Zeichnung. „Das sind die Überwachungsleute des Flughafens. Und das“ Ich zeigte auf zwei Männer in einer Ecke. „sind Leute, die die Bombe überwachen. Sie werden Waffen haben. Und der Flughafen wird voll mit den Leuten sein. Wir können uns der Bombe nicht nähern.“
Woher ich das wusste? Weiß ich nicht. Ich wusste das einfach.
„Auch im letzten Moment?“, vergewisserte sich Toni.
Ich sah Ely an und sie nickte.
„Aber ihr wisst, dass wir das nicht ohne jeden Versuch lassen werden?“, sagte Andy. Das war eher eine Feststellung, als eine Frage.
Wir nickten. Es breitete sich Schweigen aus.
„Ich werde mir was überlegen. Alle in den Kampfraum. Macht, was ihr wollt.“
Natürlich meinte er nicht alles. Und alle verstanden das.

Schon mehrere Minuten herrschte Schweigen unter uns. Ich verstand einfach nicht, warum. Irgendwie geschah es, dass zwischen jedem von uns ein guter Abstand zu sehen war. Toni stand mit dem Rücken an den Waffenstand gelehnt, im Raumende, und spielte mithilfe seiner Fähigkeiten mit einem Messer. Ely saß auf der breiten Fensterbank, paar Meter von Toni weg, und blickte aus dem Fenster. Iris setzte sich im Schneidersitz neben die Tür, lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Mat lag auf dem Bauch auf der Matte an der anderen Seite der Tür. Er klopfte mit den Händen dagegen. Jo setzte sich auf eine Art Bühne vor der dritten Wand und ließ die Beine hängen, wobei er sich immer wieder im Raum umsah. Und ich blieb ihm gegenüber stehen und blickte nervös von Einem zum Anderen, weshalb sich meine und Jo's fragende Blicke manchmal trafen. Ich merkte auch, dass Iris meine Gedanken zu lesen versuchte, ganz widerwillig. Ich hatte aber über nichts nachgedacht. Also ließ sie mich in Ruhe. Langsam nervte die Atmosphäre zwischen uns! Ich trat einen Schritt vor.
„Leute, ich glaub, das reicht jetzt!“
Alle blickten mich an. Da Toni das viel zu plötzlich tat, fiel das Messer runter und blieb mit der Spitze im Boden stecken.
„Was denn?“, fragte er.
„Wir machen doch nichts.“, fügte Jo hinzu.
„Ja, genau, wir machen nichts! Gar nichts!“
„Du hast selbst vorhin gesagt, dass wir nichts dagegen tun können.“, meinte Mat leise.
„Ja, aber... Aber... Ihr könnt doch nicht alles sein lassen! Ihr könnt doch jetzt nicht einfach rumsitzen! Das seid doch ihr! Ihr unternimmt doch immer was!“
„Andy wird was ausdenken. Wir können nur abwarten.“, sagte Iris und blickte weg. Die anderen taten es ihr gleich.
„Leute! Haben wir ein Problem? Haben wir etwa einen Streit? Warum bewegen wir uns jetzt, in diesem Moment, voneinander weg?“
„Weil wir, wie du schon gesagt hast, ein Problem haben. Wir hatten noch nie eine solche Situation. Mit tausenden von Leben, die in einer Minute zu Ende gehen werden. Ja, werden. Ich habe die Explosion gesehen.“, erklärte Ely.
„Aber das war nicht auf deinem Bild zu sehen.“
„Ich weiß. So ist es manchmal. Aber warum soll ich das alles jetzt sagen, wenn du selber weißt, wie das enden wird?“
Sie sah mich eindringlich an, ich sagte nichts. Darum sah sie wieder aus dem Fenster. Der Raum füllte sich wieder mit Schweigen.
„Das reicht mir jetzt.“ Schnell ging ich aus dem Zimmer, wobei die Tür hinter mir ein bisschen zu laut zufiel. Ich war verärgert. Jo sprang von der Bühne runter und wollte mir folgen, doch Iris griff nach seinem Handgelenk, als er zur Tür kam, und er blieb stehen.
„Lass.“, befehlte sie.
Sie sahen sich eine Weile sprachlos an. Dann zog Jo seinen Arm ruckartig weg und ging etwas beleidigt, und ebenfalls verärgert, zurück zur Bühne. Mehr kriegte ich nicht mit.
Ich selbst ging zum Ausgang. Auf meinem Weg fand ich Andy im Übungsraum.
„Ich gehe. Ruf mich an, wenn was ist.“

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