Kapitel 1

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Auf meinem Weg in die Schule hatte mich eigentlich nie jemand wirklich wahrgenommen. Bis zum heutigen Tag. Mit jedem Schritt den ich der Schule näher kam schienen mehr Mitschüler mich anzustarren. Sie tuschelten über mich und kicherten hinter meinem Rücken. Heute sollte eigentlich ein super Tag für mich sein, man wird ja schließlich nur einmal Siebzehn. Doch als ich heute Morgen aufgestanden bin und in den Spiegel sah, waren meine sonst kohlrabenschwarzen Haare auf einmal bordeauxrot und leuchteten wie ein Juwel. Ich versuchte die Farbe eine halbe Stunde lang heraus zu waschen, jedoch ohne Erfolg. Schließlich gab ich mich geschlagen und ging zum Frühstück. Meine Mutter machte große Augen und meine kleine Schwester lachte mich aus, ich warf ihr einen düsteren Blick zu und sie verstummte. Nun, da ich in der Schule war fühlte ich mich entblößt obwohl ich eine Mütze aufgesetzt hatte, konnte ich das Gefühl nicht abschütteln alle würden über mich reden. "Hey Olivia!", rief es hinter mir, ich drehte mich um und erblickte das Gesicht meiner besten Freundin. "Hallo Amelia.", sagte ich zu ihr und sie sah mich verdutzt an. "Was ist denn mit deinen Haaren passiert?", fragte sie belustigt. "Keine Ahnung.", ich verbarg mein Gesicht hinter meinen Händen, Amelia fing an zu kichern und nahm mir die Mütze ab. "Gib sie zurück!", fuhr ich sie an und griff nach der Mütze. In dem Moment als ich die Hand zu ihr ausstreckte, wurde sie von einer unsichtbaren Macht gegen die Wand geschleudert. Ich konnte das Knacken ihrer brechenden Knochen förmlich hören. Amelia sah mich entsetzt an, ihre gesamte linke Körperhälfte blutete und ihr Arm war nach hinten verdreht. "Du bist ein Monster!", schrie sie, die Tränen liefen über ihre Wangen und ich rannte weg. Als meine Mutter mich fragte, was ich so früh denn Zuhause zu suchen habe, sagte ich nur, dass mir schlecht sei. Sie nickte es ab und schickte mich mit einer Wärmflasche ins Bett. Ich konnte kaum realisieren was eben vorgefallen war. Es tat mir unendlich leid für Amelia und ich machte mir schreckliche Vorwürfe. Was war dort geschehen? Ich hatte doch nichts getan außer nach der Mütze zu greifen. Ich streckte meine Handfläche aus und betrachtete sie eingehend. Sie sah genau aus wie immer, nichts war verändert. Das heulen einer Sirene riss mich aus meinen Gedanken, ich sprang vom Bett auf und sah zum Fenster hinaus, mit einer unglaublichen Geschwindigkeit raste ein Rettungswagen an unserem Haus vorbei. Der musste wohl zur Schule unterwegs sein um Amelia zu helfen. Ich sah mich verzweifelt in meinem Zimmer um, nahm meinen alten Rucksack, kippte die Schulsachen aus und stopfte ein paar frische Klamotten, eine Wasserflasche, ein paar Schokoriegel und ein wenig Geld hinein. Ich musste weg, ich ging zu meiner Zimmertür und sah mich noch einmal um. Seit mein Vater uns verlassen hatte gab es nichts mehr was mich hier hielt. Nachdem ich die Treppe runter gegangen war sah ich kurz zur Haustür, meine Mutter stand davor und unterhielt sich mit einer Nachbarin. Sie würde mich niemals gehen lassen also ging ich durch die Küche in den Garten. Hinter unserem Haus befand sich der Stolz unserer Stadt, ein tiefer Wald in dem alles noch so behalten war wie vor über 1000 Jahren. Ich öffnete das Tor, das zu dem Wald führte, hinter mir hörte ich ein wimmern. Als ich mich umdrehte sah ich Sally unsere alte Beagle Dame. Sie sah mich mit schräg gelegtem Kopf an und legte mir eine Pfote auf den Fuß. "Ich muss gehen Sally.", sagte ich beruhigend und tätschelte ihren Kopf. Sie leckte mir über die Hand, drehte sich um und legte sich zurück in ihre Hütte. Ich ging direkt in den Wald und mit jedem Schritt den ich tiefer in den Wald kam wurde das Licht der Sonne schwächer und ich fühlte mich wohler. Ich fühlte mich als wäre ich nach einer langen Reise endlich Zuhause angekommen. Ich legte mich auf den kalten, feuchten Erdboden und sah nach oben, das grünes Blätterdach wurde nur von kleinen Lichtstrahlen unterbrochen, die sich ihren Weg durch das dichte Grün der Blätter bahnten. Ich legte meine Handflächen auf den kühlen Erdboden und spürte das Leben darin, ich atmete tief durch und roch den Geruch von vermodertem Holz, von kühlem Gras und von frischer Erde.  

Ich lag wohl eine ganze Zeit einfach nur da und starrte in den Himmel, denn als ich wieder zu mir kam hörte ich das Gebell von Hunden und Stimmen, die meinen Namen riefen. Ich war noch nicht weit gekommen und doch hatte ich mich so sicher gefühlt, wie nie zuvor in meinem Leben. Ich stand auf, meine Hose war von dem feuchten Erdboden durchweicht. Ich wusste sofort in welche Richtung ich laufen musste und ohne weiter darüber nachzudenken rannte ich los. Es schien als würde der Wald wollen, dass ich immer tiefer in ihn lief. Ich rannte und es hatte den Anschein, dass die Bäume mir aus dem Weg gingen und mir einen Weg vorgaben. Ich musste nicht einem Ast ausweichen oder um einen Baumstamm herum hetzen, ich stolperte über keine Wurzel und keine Dornenranke zerschnitt mir die Haut. Meine Verfolger hatten da wesentlich weniger Glück. Die Bäume, die mir auszuweichen schienen, versuchten nun meine Verfolger aufzuhalten. Ich hörte ihre Schmerzensschreie wenn sie gegen einen Baum oder Ast liefen. Ich hörte wie sie fluchten, wenn ein Brombeerstrauch ihnen die Arme aufriss, es war fast so, als wollte die Natur mich beschützen. Der Weg aus Bäumen führte mich tief in den Wald bis ich die anderen nicht mehr hören konnte, ich atmete auf und wurde etwas langsamer. Vor mir brach der Weg aus Bäumen plötzlich ab und eine Lichtung tat sich vor meinen Augen auf. Ich sah zum Himmel, doch da war kein Himmel über mir. Dort war nur ein Gewirr aus Ranken, fast wie eine Kuppel geformt. Dreizehn dieser Ranken gingen gerade zum Boden, fast wie Säulen. Sie waren mit Rosen bewachsen und ich kam mir vor wie im Märchen. Auf der anderen Seite der Lichtung war ein Torbogen aus eben jenen, mit Rosen bewachsenen Ranken. Doch direkt dahinter war wieder der Wald. Ich setzte mich in die Mitte der Lichtung und packte meine Tasche aus, ich trank das Wasser halb leer und aß zwei der Schokoriegel. Dann legte ich mich hin und schloss die Augen. Ich öffnete meine Augen und lag Zuhause in meinem Bett, meine Mutter und meine Schwester kamen mit einem Kuchen mit Wunderkerzen in mein Zimmer und sagen ein Geburtstagslied. Ich setzte mich auf und sah in den Spiegel neben meinem Bett, meine Haare waren so schwarz wie eh und je. Amelia kam in mein Zimmer, zeigte mit dem Finger auf mich und formte lautlos ein Wort mit den Lippen, Monster. Meine Mutter und meine Schwester waren verschwunden und ich war von einem tosenden Orkan umschlungen. Amelia wurde in die Weiten des Nichts geschleudert und vor mir tauchte der Spiegel wieder auf. Meine Haare züngelten wie Flammen über meinem Kopf und meine Augen waren schneeweiß. Ich hatte die Arme ausgestreckt und ein diabolisches Grinsen auf den Lippen. "Olivia.", eine weibliche Stimme sprach zu mir. Ich sah die verängstigten Augen meiner Mutter inmitten des Orkans und meine Schwester wie sie wild herum geschleudert wurde. Ich war entsetzt von dem was ich tat, doch ich konnte nicht aufhören. "Olivia!", die Stimme schrie nun, "Du musst aufwachen!". Ich riss die Augen auf und befand mich wieder auf der Lichtung, doch dort war niemand. Ich setzte mich auf und sah mich genauer um, ein düsteres Schimmern schien aus dem Torbogen zu kommen. Ich stand auf und ging ein paar Schritte darauf zu. Ein waberndes Licht kam von dem Bogen und es schien nach mir zu rufen. "Komm her.", es hatte eine beruhigende Stimme und trotzdem riet mir mein Instinkt wegzulaufen. Also drehte ich mich um und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Doch vor mir erschien wieder der Bogen mit dem Licht. Ich lief in eine andere Richtung und auch da war der Bogen und die Stimme. Ich stand in mitten der dreizehn Säulen doch der Wald war verschwunden, es gab keinen Ausweg. Ich drehte mich im Kreis, doch jede dieser Säulen schien einen eigenen Bogen geformt zu haben. Ich sank auf die Knie und wünschte mir ich wäre Zuhause. "Hab keine Angst, wir wollen dir helfen.", sagte die Stimme im Licht. "Wer bist du?", von Verzweiflung geplagt rief ich in das Licht. "Wir sind deine Freunde deine Familie, wir wollen dir helfen. Komm her.", sagte die Stimme sanft und es schien mir als würden die Bögen immer näher auf mich zu kommen. Eine Träne lief mir über die Wange. "Ihr seid nicht meine Familie!", schrie ich nun wutentbrannt. Ich spürte wie mir Wind durch die Haare pfiff und ich ballte meine Fäuste. "Doch jetzt schon!", die Stimme die zuvor so friedlich und beruhigend gewirkt hatte war nun wütend und die Bögen schienen sich alle gleichzeitig auf mich zu stürzen. Als ich durch das wabernde Licht gedrückt wurde lief mir ein Schauer über den Rücken, es fühlte sich an als würde man in eine Wanne voll mit Eiswürfeln steigen. Dann sah ich nichts, um mich war völlige schwärze und ich hatte das Gefühl ich würde fallen. Wie ich es in meinem Lieblings film Alice im Wunderland so oft gesehen hatte oder wie wenn man im Halbschlaf das Gefühl hat man würde irgendwo hinunterfallen und dann wacht man ganz plötzlich auf, nur dass ich nicht aufwachte. 

Hexen - Die ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt