Kapitel 3

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»Wieso sollte ich das machen?«, frage ich schockiert.

»Entweder du machst was ich dir sage, oder...« Sie stöbert in ihrer Handtasche herum, zieht einen glitzernen Gegenstand heraus und hält ihn mit ihren gebräunten Fingern in meine Richtung, »oder du wirst diese Kette nie wieder sehen.«

Es ist die Kette meiner Mutter. Die einzige Erinnerung, die ich noch habe. An dieser Kette hängt ein Medaillon, in dem sich ein Foto meiner Eltern befindet. Ich blicke kurz zu Bella, in der Hoffnung, das es nur ein Scherz war und sie gleich loslachen würde, aber sie meint es tatsächlich ernst. So kenne ich sie gar nicht.

»Meinst du das ernst?« Meine Stimme schallt in dem kahlen Zimmer.

»Sehe ich aus, als ob ich lachen würde?«, sagt sie und rollt ihre Augen.

Ich erkenne sie nicht wieder. Klar ist mir aufgefallen, dass Bella sich in den letzten Monaten äußerlich sehr verändert hat. Sie trägt nicht mehr bunte Shirts und pinkfarbene Armbänder, sie trägt teure Sneaker, olivfarbene Bomberjacken, Golduhren und 500 kg Schminke mehr. Streiten tut sie auch immer öfter mit mir, über die dümmsten Dinge, über die man sich streiten kann. Aber das sie sich nicht nur äußerlich verändert hat, ist mir gerade erst richtig aufgefallen.

Ich erinnere mich an das kleine Mädchen mit den großen, bewundernswerten blauen Augen. Das Mädchen, das sich selber Flechtfrisuren mit ihren langen, -damals noch- braunen Haaren gemacht hatte und jeden Abend am Fenster saß, ihre Hände faltete, nach oben in die Sterne blickte und zu Gott betete. Dieses Mädchen kann man nicht mehr mit ihr vergleichen. Schon lange nicht mehr.

»I-Ich kann dir das irgendwie nicht glauben..«, stottere ich.

»Dann glaub' was du willst.«, sagt sie und grinst provokant, dreht sich auf dem Absatz ihrer Highheels und stampft davon.

Langsam steigen mir Tränen in die Augen, doch ich versuche, sie zurück zu halten. Ohne Erfolg. Fassungslos starre ich auf die Tür, durch die Bella vor wenigen Sekunden gelaufen ist.

Was macht die Zeit nur mit Menschen? Ich erkenne sie nicht wieder.
Sie ist die einzige Familie die ich noch habe, und sie behandelt mich wie Dreck.

Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurück drehen, zu den Tagen, an denen alles noch gut war. Als Bella und ich noch kleine Mädchen waren, die zusammen mit Puppen spielten.
Schwestern, die zusammen von der Schule nach Hause gelaufen sind, wo Mama schon gewartet hat und uns ihr frisch gekochtes Essen servierte, und Papa auf dem Sofa saß und unsere Köpfe kraulte.
Doch es wird nie eine Zeitmaschine geben, mit der man mal eben in die Vergangenheit reist. Wir leben jetzt, und jede Sekunde bringt uns näher in die Zukunft. Näher an den Tod.

Völlig erschüttert ziehe ich meinen Laptop zu mir. Ich gehe auf Skype und rufe Felix an. Ich brauche ihn jetzt.

Piep.

Piep.

Piep.

»Hey!«, höre ich Felix rufen, der an seinem Nintendo spielt. Ja, total kindisch. Aber dafür liebe ich meinen besten Freund ja auch so. Er winkt mir per Webcam zu.

»Hey« Meine Stimme klingt unglaublich hoch und kraftlos. Mir stockt der Atem und ich spüre eine Träne aus meinem Auge rollen.

»Ist alles okay?«, fragt er und legt sofort sein Nintendo auf die Seite. Er erkennt sofort, wenn es mir nicht gut geht, was ich total süß finde. Doch mehr als Freundschaft empfinde ich nicht.

Ich fange prompt an zu weinen. Ich habe keine Kraft zu sprechen, es kommt die angestaute Trauer raus. Die ganze Trauer, die ich die ganze Zeit versucht habe, zu verdrängen. Ich klappe kurz den Laptop ein wenig zu und versuche mich zu beruhigen, während ich ein ständiges "Liv? Hallo?" aus meinem Laptop warnehme.

Ich wische mir kalte Tränen mit dem Ärmel meines Pullovers aus meinem Gesicht, auf dem jetzt dunkle, nasse Flecken zu sehen waren.

Ich klappe den Laptopbildschirm wieder hoch und schaue Felix ihm in seine braun-grünen Augen. Er lächelt schwach.

»Möchtest du es mir erzählen?«, Seine Stimme klingt warm und er starrt konzentriert auf den Bildschirm.

»Ja.«

»Dann leg los.«

Ich erzähle ihm, was vorgefallen war. Das Bella mich nur wie Dreck behandelt, dass sie mich ausnutzen möchte, nur um Aufmerksamkeit von Taddl und Ardy zu bekommen, und das ich, wenn ich all dies nicht tu', sie mir die Halskette meiner Mutter nehmen würde.

Es tut gut mit Felix über Dinge zu reden, die mich belasten. Mit einer Person, von der du genau weisst, das sie dich versteht und immer hinter dir stehen würde, und zwar hinter jedem, nochso bescheuertem Fehler. Und für sein "Da-sein" und "Mich-ertragen", bin ich ihm echt dankbar. Manchmal frage ich mich, ob ich ihm auf die nerven gehe, was ich mir gut vorstellen kann, doch es scheint immer so, als würde er meine Anwesenheit genießen.

»Hey, falls sie dir die Kette wirklich wegnimmt, hat sie es mit mir zu tun.« Er fährt seine Hand durch seine hellbraunen Haare, die so aussehen, als ob er sie seit einigen Tagen nicht gekämmt hätte.

»Du bist echt so ein toller Freund, Felix.« Ich grinse in die Webcam. Ich bin ihm unendlich dankbar für alles was er für mich tut, und dieser Satz reicht nicht aus, um es ihm zu zeigen. Nicht einmal eine Million Sätze würden reichen. Doch ich weiss, das er gegen Isabellas Verhalten nichts tun könnte.

»Ich weiss«, sagt er eingebildet und zwinkert mir zu, »aber wieso ist es so ein Problem für dich, dich in den Rollstuhl zu setzen? Ich meine, du bist doch Taddl's wahrscheinlich größter Fan, und im Endeffekt wäre es doch toll ihn kennen zu lernen, falls ihr Plan wirklich aufgehen würde.«, sagt er anschließend.

Eigentlich hat er Recht. Neben Felix ist Taddl die einzige Person, die mich immer zum Lachen bringen kann, egal wie scheisse es mir geht. Aber es wäre einfach verdammt komisch. Alleine daran zu denken, Taddl in echt zu begegnen, bringt mich zum Zittern, mein Herz schlägt ungleichmäßiger und ich bekomme Schweißausbrüche. Ich weiss, dass er eine ganz normale Person wie ich ist, aber irgendwie werde ich trotzdem komisch bei dem Gedanken, ihn zu treffen.

»Ich weiss es nicht.«, sage ich und starre nachdenklich auf meine Hände.

»Komm schon, Liv. Ich bin mir sicher, das du es nicht bereuen würdest.«, seine grün-braunen Augen reflektieren das Licht seiner komischen Schreibtischlampe, die er schon als kleiner Felix besaß.

»Du hast Recht.«

»Na also, geht doch.«

Nach paar weiteren Stunden, in denen wir über Gott und die Welt quatschten, beschlossen wir aufzulegen.

Ich gehe in Richtung Wohnzimmer, in dem der Rollstuhl neben dem Sofa unserer Eltern geschoben war. Es ist einer der einzigen Möbel unserer Eltern, die wir beschlossen, zu behalten. Ich betrachte den Rollstuhl kurz und schiele dann zu Bella, die auf dem beige-farbenem Sofa liegt und Fernseher guckt, dessen Licht in der Wohnung flackert.

Ich knete nervös an meinen Händen, doch reisse mich schlussendlich zusammen.

»Isabella?« Meine unsichere Stimme erfüllt den hohlen Raum.

Sie dreht sich um und guckt mich fragend an.

Ich tippe auf den Rollstuhl.
»Ich werde es tun.«

Faking It ☆ TaddlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt