»Ja, Taddl. Das sind meine Eltern. Ich habe sie so sehr geliebt, weisst du? Wenn jemand, den du liebst, stirbt, dann beginnt er zu verblassen, und du kannst nichts dagegen tun. Eines Tages kannst du dich nicht einmal mehr an den Klang seiner Stimme erinnern. Als nächstes vergisst du seinen Geruch. Und im Handumdrehen bleiben nur noch die Erinnerungen, die auf Fotos festgehalten sind. Ich weiß, dass ich nicht kontrollieren kann, was in meinem Leben geschieht. Ich muss einfach hinnehmen, dass Menschen hineinschneien und wieder verschwinden, ähnlich wie ich mich damit abfinde, dass die Zeit verfließt und sich nicht zurückdrehen lässt. Das also ist mein Leben, Thaddeus. Und ich will, dass Du weißt, ich bin glücklich und traurig zugleich und versuche noch immer herauszufinden, wie das eigentlich sein kann.« Ich schaue auf den Boden. Thaddeus setzt sich zurück auf den Stuhl neben mir und betrachtet mein verweintes Gesicht. Ich möchte nicht wissen, wie verschmiert meine Wimperntusche wohl ist. Überwältigt von meinen vielen Worten schaut er mich an, versucht Worte zu finden, ich merke es.
»Liv, ich-, es-«, fängt er an, »Es tut mir Leid. Ich hasse es, Menschen zu verletzen. Verdammt, es tut mir so Leid.« Er vergräbt seine Hände in seine hellbraunen Haare und stützt seine Ellenbogen auf seine Knie ab. Ich betrachte sein verzweifeltes Gesicht.
»Du musst dich nicht entschuldigen. Ich habe mich schon daran gewöhnt.«, sage ich.
»Gewöhnt an was?«, fragt er.
»Verletzt zu werden«, antworte ich.Er schluckt.
Stille empfängt uns.
»Lass uns etwas unternehmen. Ich bestehe darauf, dich aufzuheitern. Möchtest du das überhaupt?«, sagt er in die Stille. Und ich schaue ihn verwundert an, frage mich, warum er seine Zeit mit mir verschwendet. Könnte er mich aufmuntern? Ich zweifele. Meine Trauer ist groß, ich fühle mich leer. Ich fühle mich, als wäre ich von einer unbezwingbaren Mauer umgeben. Doch ich nicke.
»Wie sollen wir das machen?«, fragt er plötzlich, und ich ziehe fragend meine Augenbrauen hoch, da ich nicht verstehe was er meint.
»Da ist eine Treppe. Trägt dich deine Schwester immer hinunter, oder wie macht ihr das?«
Wie konnte ich das vergessen? Ich sitze in einem Rollstuhl, beziehungsweise ich täusche vor im Rollstuhl zu sitzen, und kann nicht laufen. Natürlich kann ich laufen, aber nicht vor ihm. Und nicht vor Ardy. Ich darf das nicht. Ich muss lügen, denn sonst bekomme ich die Kette meiner Mutter nicht. Die Kette, die Bella mir genommen hat.
Ich blicke in Taddl's Gesicht, welches mich fragend anblickt. Seine Hand legt sich um den Türgriff, die aufgrund seiner Tattoos nach "Ich bin gefährlich" schreit. Doch einen Menschen als gefährlich oder assozial abzustempeln weil er Tattoos besitzt, ist falsch.
»Ja, meine Schwester trägt mich normalerweise nach unten«, lüge ich und rege mich innerlich darüber auf, ihm ins Gesicht gelogen zu haben.
»Wäre es okay, wenn ich das heute machen würde?«
»Ja, es wäre okay«, antworte ich, man kann die Unsicherheit in meiner Stimme kaum überhören. Seine Augen schauen in meine, ein Lächeln formt sich auf seinen Lippen.
Seine schwarzen Schuhe knarren auf dem Holzboden und laufen in meine Richtung. Er stellt sich hinter den Rollstuhl und schiebt mich in Richtung Tür, was mich immer mehr zum Zittern bringt. Er platziert seine Gestalt wieder vor mich und schaut auf mir herunter. Ich muss nach oben schauen, da er so viel größer ist als ich. Sein Gesichtausdruck verrät seine Unsicherheit, die er jedoch mit einem gezwungenen Lächeln versucht zu überspielen. Ich lächle ihn an, was ihm zeigen soll, das es okay für mich ist, woraufhin er sich verklemmt hinunterbückt und seine Hände um meinen Körper legt. Mein Körper zuckt bei der Berührung kurz zusammen und ich lege meine zierlichen Arme um seinen tattowierten Hals. Sein angenehmer Körperduft steigt mir in die Nase, welcher meine Sinne berauscht.
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Faking It ☆ Taddl
Fanfiction'Seine Augen sind wie ein Portal in eine andere Welt, ohne Garantie, jemals wieder aus dieser Welt herauszukommen.' [Inspiriert von John Green] 2016-2017 || Janiiix3