Kapitel 4

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Ich reiße meine Augen auf. Helle Sonnenstrahlen scheinen auf meine Bettdecke und wärmen mich. Müde steige ich aus meinem warmen Bett und tapse mit nackten Füßen die ewig langen Treppen hinunter in die Küche, in der Bella schon sitzt und ihr typisches Toast isst. Ich bereite mir ein Müsli zu und setze mich gegenüber von ihr.

»Ich habe auf dich gewartet«, murmelt sie und nimmt einen weiteren Bissen von ihrem Marmeladentoast.

Ich habe es schon fast vergessen: Heute ist das Fantreffen von Taddl und Ardy! Ich fange an zu zittern und schiebe mir einen weiteren Löffel Müsli in meinen Mund.

»Hallo?« Bella klingt leicht wütend und winkt mir ins Gesicht.

»Ich habe dich schon verstanden«, sage ich mit zittriger Stimme.

»Wieso zitterst du so?«

»Ich bin eben aufgeregt, du nicht?«

»Stell dich nicht so an« Sie lacht und nimmt den letzten Bissen ihres Toastes.

Nachdem ich mein Müsli gegessen habe, laufe ich durch den langen Gang unseres alten Hauses, an dessen Ende sich die alte, hölzerne Treppe befindet, die ich früher immer mit Stiften bemalt habe. Meine Eltern haben daraufhin immer mit mir geschimpft, ich solle damit aufhören und haben gemeint, sie würden die Treppe erneuern. Sie wussten aber damals nicht, was für ein Schicksal sie erwarten würde. Diese Treppe führt zu meinem Zimmer, welches sich oben am Dachboden des Hauses befindet.

Ich stelle mich vor meinen alten Holzschrank, der beinahe droht zu zerbrechen, und frage mich was ich anziehen soll. Nach langem überlegen entscheide ich mich für einen viel zu großen, dunkelgrauen Pullover und eine schwarze Jeans. Ich kämme meine welligen Haare und schminke mich wie üblich. Schwarze Mascara und roter Lippenstift, der perfekt zu meinen vollen Lippen passt.

Viele sagen, ich würde damit aussehen wie eine Schlampe, aber ich bin keine Schlampe. Ich bin nur ein verzweifeltes 18-jähriges Mädchen das versucht, sich selber zu verwirklichen und sich von niemanden etwas sagen zu lassen, auch wenn ich immer verdränge, das mich die negativen Wörter anderer Menschen verletzten.

Ich gehe in den Flur. Meine Schwester steht schon fertig angezogen, geschminkt und mit geglätteten Haaren vor mir. Ihr Handgelenk schmückt eine Golduhr, die im Licht glitzert. Sie trägt ein bauchfreies Shirt und eine enge Jeans, welche ihren Po betont.

»Es ist doch viel zu kalt für ein bauchfreies Shirt«, sage ich mit zusammengezogenen Augenbrauen.

»Ja, du hast Recht. Wir sollten lieber Jacken anziehen« Sie schmeißt mir eine Winterjacke zu, die ich mir letzten Winter gekauft hatte. Sie ist schwarz und hat sehr viele verschiedene Muster. Sie ist total außergewöhnlich, doch es gefällt mir so. Es gefällt mir, Sachen zu tragen die nicht jeder besitzt und nicht irgendwelchen Trends hinterher zu rennen.

»Bist du bereit?«, sie deutet auf den Rollstuhl.

Ich atme kurz durch und nicke.

~~~

Sitzend auf dem Rollstuhl, welchen Bella immer schneller in Richtung einer großen Menschenmenge schiebt, betrachte ich die Umgebung. Alte Bäume, die schon so viel erlebt hatten, die gealterten Gesichter von Menschen des Seniorenheims und kleine Kinder, die den Boden mit Kreide bemalen.

Ich fühle mich total unwohl bei der Sache, mit dem Rollstuhl Aufmerksamkeit von Taddl und Ardy zu bekommen. Wir täuschen ihnen vor, dass ich nicht laufen könnte. Und falls die beiden erfahren würden, das alles nur eine Lüge ist, dann hätten wir bei ihnen verkackt. Ich mehr als Isabella, da ich diejenige bin, die im Rollstuhl sitzt.

Ich nehme immer mehr Stimmen und Menschen wahr, was mein Herz vor lauter Aufregung immer schneller schlagen lässt. Ich würde Taddl und Ardy wahrscheinlich gleich sehen. Wir stehen -beziehungsweise Bella steht, ich sitze im Rollstuhl- in einer riesen Menschenmenge.

Ich erstarre, als ich eine allzu bekannte Stimme wahrnehmen konnte.

»Jo, Leute. Keine Sorge, jeder hier bekommt ein Autogramm«

Ich höre Mädchen kreischen. War klar, dass sich hier mehr Mädchen befinden als Jungs, denn Taddl und Ardy sind die Youtuber, von denen wahrscheinlich jedes Youtube-Fangirl schwärmt.

Plötzlich schubst mich Bella vom Rollstuhl. Ich lande knallhart auf dem kalten Boden und ich zische mir vor Schmerz durch die Zähne.

»Hilfe!«, schreit Bella. Es wird auf einmal still und immer mehr Menschen entfernen sich von mir. Was hat Bella vor? Ich nehme Schritte wahr, die immer lauter werden.

Es legen sich zwei große Hände um meine Taille, die mich zurück in den Rollstuhl setzen. Ich blicke kurz nach oben, um meinem Helfer in die Augen schauen zu können. Mit hochgezogenen Augenbrauen ragt er über mir. Als ich erkenne, wer diese Person ist, fahren tausend Blitze durch meinen Körper und ich starre peinlich berührt wieder auf den Boden.

Träume ich?

Er hebt mein Kinn mit seinen Zeigefingern an, so dass ich ihn nun ansehen muss. Seine Augen funkeln eisblau und ich verliere mich in ihnen. Es sind die Augen, die ich bisher nur auf meinem Laptopbildschirm wahrnehmen konnte. Ich bemerke das leichte Zittern meiner Lippen. Zu gerne hätte ich meine Lippen auf seine gelegt, doch ich unterdrücke diesen Impuls. Die ganzen Fans um mich herum blende ich vollkommen aus. Es existieren nur noch Thaddeus Tjarks und Liv Johnson.

»Ist alles okay?«, brummt er mit seiner tiefen Stimme. Ich nicke und er lässt mein Kinn los. Ich wünsche, er hätte nie losgelassen.

Verdammt, er ist hier.
Er ist hier bei mir.
Er ist hier bei mir und redet mit mir.

»Dankeschön, dass du meiner kleinen Schwester geholfen hast!«, sagt Bella in einem unglaublich hohem Ton. Ich schiele zu Ardy, der neben Taddl steht und meine Schwester total fixiert anglotzt.

»Ist doch kein Problem«, sagt er lächelnd, seine weißen Zähne blitzen hervor, »möchtet ihr vielleicht ein Autogramm haben oder so?«

»Klar!«, Meine Schwester streckt Taddl und Ardy ihren Arm hin. Taddl guckt mich an und fragt: »Du auch?«

Ich nicke, woraufhin er sich zu mir hinunter bückt, und ich lasse zu, das er meinen Arm nimmt und den Ärmel meines Pullovers nach hinten schiebt. Ich gucke nervös auf den grauen Boden, aus Angst, er würde meine Narben sehen, die ich aufgrund von Selbstverletzung trage. Doch er sagt nichts. Er kritzelt etwas auf meinen Arm und schiebt den Ärmel wieder vor.

»Wie ist dein Name?«, seine dunkle Stimme bringt meinen Atem zum stocken.

»Liv Johnson«, presse ich mühevoll aus mir heraus.

»Schöner Name« Er richtet sich wieder auf und fährt sich durch seine hellbraunen Haare, die zuvor in seinem niedlichen Gesicht hingen. Mein Herz klopft, droht damit zu explodieren.

Bella steckt Ardy etwas in seine Hosentasche und verabschiedet sich mit einem Handschlag von den beiden. Ich sage nichts, denn ich finde keine Worte. Sie rollt den Rollstuhl in Richtung Bahnhof, und als ich mich ein letztes Mal zu Taddl umrehe, lächelt er mich an, während er anderen Fans ein Autogramm gibt. Röte schießt in meine Wangen, ich merke es. Schnell drehe ich mich wieder um. Ich starre auf meine Hände und merke, das ich immer noch zittere.

Ich will nicht gehen. Ich möchte mich bei Taddl bedanken. Bedanken für seine Videos, bei denen ich die schlimmen Dinge in meinem Leben zumindest für eine kurze Zeit vergessen kann.

Am liebsten wäre ich jetzt losgerannt, hätte Taddl umarmt & nie mehr losgelassen. Der Moment war so verdammt kurz.

»Guck, Liv. Ich hab dir doch gesagt, dass mein Plan funktionieren würde«, sagt sie mit einem zufriedenen Lächeln, ich spüre es.

Ich antworte ihr nicht, da ich keine Worte finde. Mein Herz ist immer noch am ausrasten und meine Hände schwitzen.

Faking It ☆ TaddlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt