Kapitel 10

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"Woran denkst du?", fragt er.

"An nichts ..."

"Willst du irgendwo hin?"

"Nein, ich finde es schön, einfach nur so herumzufahren."

Kalter Wind streift sanft mein Gesicht, und ich vergesse einen Moment lang mich schlecht zu fühlen. Und ich vergesse sogar, dass ich in einem Rollstuhl sitze und Taddl vormache, ich könne nicht laufen. In diesem Moment ist nichts falsch an mir. Alles ist richtig. Und mit Taddl habe ich keine Angst. Bei ihm fühle ich mich sicher.

Er hat mich noch nicht darauf angesprochen warum ich in einem Rollstuhl sitze. Vielleicht möchte er mit der Situation vorsichtig umgehen. Oder er möchte warten, bis ich es ihm erzähle und nicht aufdringlich wirken. Innerlich bin ich froh darüber, das ich es ihm nicht erzählen muss. Noch nicht.

Wir beschließen an einer Bank zu stoppen, um eine Pause zu machen. Wir sind schon lange durch die - mittlerweile dunklen - Straßen von Crystals spaziert. Und obwohl ich diese Wege schon unzählige Male gelaufen bin, ist es mit Taddl etwas anderes. Etwas besonderes.

Thaddeus Tjarks setzt sich auf eine hölzerne Bank, welche sich schon seit Ewigkeiten an einem riesigen Baum befindet. Bella und ich haben diesen Baum früher 'Will' genannt, und wir sind oft auf ihn geklettert, wenn wir mit unseren Eltern spazieren waren. Nach ihrem Tod sind wir ihn nicht mehr besuchen gegangen und der Baum ist mittlerweile so groß, das es ohne Hilfsmittel unmöglich geworden ist, auf ihn zu klettern.

Thaddeus wird nie wissen mit wie vielen Orten ich in Crystals etwas verbinde, oder das der Baum unter jenem er sich gesetzt hat eine gewisse Bedeutung für mich hat, oder wie gerne ich aus dieser Stadt flüchten würde. Niemand weiss das. Ich habe das Gefühl, diese Stadt hält mich gefangen. Eigentlich könnte ich jederzeit in den nächsten Zug einsteigen und wegfahren, aber es gäbe immer etwas, das mich zurück nach Crystals bringen würde.

Ich lenke meinen Blick zu Taddl, welcher aufmerksam den Mond betrachtet. Der Mond scheint so hell wie ein Scheinwerfer in sein Gesicht, als würde er nur für ihn leuchten. Und Taddls blauen Augen lassen ihn so unschuldig aussehen, das man ihm nie zutrauen würde, er würde jemals etwas böses tun. 

Seine braunen Haare sehen so flauschig aus, das ich sie am Liebsten angefasst hätte. Er versteckt seine Hände unter den Ärmeln seines Pullovers, sodass nur wenige Finger herausgucken. Er ist viel außergewöhnlicher angezogen als andere Jungs, die immer so übertrieben perfekt aussehen, als wären sie irgendeiner Modezeitschrift entsprungen. Inmitten dieses Universums, in dem wir leben, wirkt er, als würde er eine eigene Sternenkonstellation bilden. Er hat einen unverwechselbaren Stil, und genau das gefällt mir an ihm. Es sind nicht nur seine Tattoos auf seinem Gesicht, Hals und auf seinen Armen, die ihn außergewöhnlich machen - es ist sein gesamtes Erscheinungsbild.

Am liebsten hätte ich mich neben ihn gesetzt und mich an ihm gewärmt, doch ich unterdrücke diesen Impuls. Ich könnte zwar aufstehen, aber dann würde ich alles kaputt machen. Und ich wüsste nicht wie Taddl reagieren würde, wenn er wüsste, das ich ihn die ganze Zeit angelogen habe. Gerne würde ich mich für mein Handeln schlagen, doch wäre ich damals nicht auf den Deal mit Bella eingegangen, der besagt, dass ich Taddl vorspielen solle ich könnte nicht laufen, würde ich jetzt nicht mit ihm nachts unter einem Baum sitzen. Und irgendwie bin ich meiner Schwester dafür dankbar.

Nachts ist es ruhiger und angenehmer als tagsüber, wenn überall Menschen herumlaufen und laute Autos fahren. Würden Taddl und ich tagsüber spazieren gehen, gäbe es sicherlich viele Fans die uns gesehen hätten, und im Internet würde überall berichtet werden, das Taddl alleine mit einem Mädchen spazieren war. Manchmal vergesse ich, das er ein Webstar ist.

"Der Mond ist so -" Seine tiefe Stimme ertönt plötzlich, die mich aus meinen Gedanken reißt.

"Er ist unglaublich, nicht?"

"Ja.", antwortet er. Und er sitzt einfach nur da und betrachtet den Mond.

Er schließt seine Augen und plötzlich fängt er an zu singen: "Ich versteh' nicht warum ich auf diesem Planet bin. Ich flieg ins Space und mache 'nen Abgang."

"Das klingt cool."

"Danke", sagt er und zeigt mir seine weißen Zähne, indem er zu Lächeln beginnt, "Ardy und ich arbeiten mit einem Kumpel an einer EP. Dies war ein kleiner Ausschnitt. Das Projekt ist eigentlich geheim, aber dir kann ich vertrauen, denke ich."

"Danke" Seine blauen Augen versetzen mich in Gänsehaut.

"Wieso bedankst du dich?"

"Es bedeutet mir viel, das du mir dein Vertrauen schenkst.", sage ich, woraufhin er mir sein Lächeln schenkt.

Das Reiben seiner Hände ertönt und er betrachtet nachdenklich den Boden. An was er wohl gerade denkt?

"Wenn du möchtest, könnte ich dich das nächste Mal ins Studio mitmehmen."

Welche Rolle spiele ich wohl in seinem Leben, dass er mich in sein Studio mitnehmen möchte?

"Natürlich möchte ich das.", bringe ich stotternd aus den Mund.

Und er lächelt mich an, und ich verliere mich in seinen Augen. Seine Augen sind wie ein Portal in eine andere Welt, ohne Garantie, jemals wieder aus dieser Welt herauszukommen.

Er nimmt meine Hand und spielt mit meinen Fingern, während sein Mund ein Lächeln umspielt. Der Gedanke daran, was für Gefühle er wohl für mich hat, macht mich verrückt. Es ist eher die Unwissenheit, die mich aus der Bahn wirft. Gibt es wohl irgendwo dort draußen ein Mädchen, für das er Gefühle hat? Oder bin ich sogar vielleicht diese Person?

Ich war mein Leben lang innerlich einsam, dachte aber, das dies normal wäre. Freundschaften habe ich nur oberflächlich geführt. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich alleine in meinem Zimmer mit meinen Gedanken verbracht. Und plötzlich kommt eine Person, die dich in eine neue Welt entführt. Und dein Verlangen, bei dieser Person zu sein, steigt. Es ist unerträglich, Zeit ohne ihn zu verbringen. Und trotzdem ist man immer in Gedanken bei diesem Menschen. In meinem Fall heisst diese Person Thaddeus Tjarks.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 13, 2017 ⏰

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Faking It ☆ TaddlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt