Kapitel 6 Tag 6

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Er lag wach, bis die Wolken sich wieder lila färbten. Seine Gedanken drehten sich um die unterschiedlichsten Dinge, aber vor allem um Finja. Um Finja und warum sie ihn nicht mehr losließ. Was das war und was es zu bedeuten hatte. Ob es überhaupt etwas zu bedeuten hatte.

Wahrscheinlich wäre das der Zeitpunkt, an dem er um drei Uhr morgens in Angelos Zimmer stand und sein großer Bruder noch wach wäre. Dann hätte Angelo eine Packung Gummibärchen hervorgezaubert und sie hätten über alles geredet, was ihn bedrückte. Aber diese Zeiten waren vorbei, egal wie sehr er sie sich zurück wünschte, musste er jetzt alleine klar kommen. Denn Angelo sonnte sich jetzt an irgendeinem Karibikstrand, hatte sein 1,0 Abi in der Tasche und das Stipendium für sein Studium auch.

Gegen sechs klingelte sein Handy.

„Was ist los?", fragte er und pausierte stirnrunzelnd das Computerspiel, dass er gerade gegen seinen Vater spielte.

„Ich", begann sie und lachte verlegen, „ Ich weiß auch nicht, aber ich hab Pizza und keine Ahnung, es wäre gerade schön, wenn du hier wärst"

Sie wollte ihn bei ihm haben. Nicht Chris.

„In einer halben Stunde, okay?", antwortete er, ohne lange nachzudenken.

„Keine Revanche?", rief sein Vater ihm verwundert nach, als er schon die Treppen in sein Zimmer hinunter lief, um sich umzuziehen.

„Später", antwortete er und war schon zur Tür hinaus.

Zögernd lies er seinen Finger über dem Klingelschild zu Finjas Wohnung schweben. Was machte er hier?
Finja öffnete ihm die Tür und begrüßte ihn mit einer flüchtigen Umarmung Sie roch nach Vanille und etwas fremden, schwerem und gleichzeitig auch leichtem, das er nicht beschreiben konnte.

Er folgte ihr die Treppen hoch in ihr Zimmer. Verlegen blickte er sich um. Das Zimmer verfügte wie Chris' seines über wenig wirklich private Gegenstände, aber es wirkte wesentlich einladender mit den ordentlichen Regalen und den vielen Kissen und Wandbehängen.

Die Regale waren gefüllt mit unzähligen Filmen und Schallplatten. Vor dem großen Fenster, durch das man die Sonne untergehen sah, stand ein Notenständer mit einigen losen Blättern. Ihr Geigenkoffer lag nebenbei. Wie lange hatte er sie schon nicht mehr spielen?

Sie riss ihn abrupt aus seinen Gedanken: „Salamipizza oder Margherita?"

Er war ihr in einen kleinen, angrenzenden Raum gefolgt, der offensichtlich ein begehbarer Kleiderschrank war und in einem Badezimmer mündete.

„Salami", antwortete er und sie holte zwei Pizzen aus einem provisorisch aufgestellten Kühlschrank und gab sie in die Mikrowelle darüber.

„Warum habe ich keinen Kühlschrank in meinem Zimmer?"

Sie lachte. Es klang so ehrlich und unschuldig, wie das Lachen von einem kleinen Kind.

„Nein, bevor du das meinst, ich bin nicht Bonze."

Sie nahm die Pizza aus dem Rohr und ging mit beiden Tellern in der Hand zurück in ihr Zimmer. Sie stellte sie auf ihrem Bett ab und er setzte sich neben sie.

„Wie geht's dir?, fragte sie.

Die letzten Tage hatten ihn mitgenommen, das ständige Hin und Her seiner Gefühle war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen.

„Keine Ahnung", antwortete er ehrlich, „Dir?"

Sie gähnte zur Antwort.

„Wie war dein Vorspiel?", fragte er.

„Gut", entgegnete sie knapp und sie schwiegen sich an.

Es war nicht diese Art peinlicher, berührender Stille, bei der man einfach nicht wusste, was sagen. Es war viel eher so, dass sie sich soviel zu sagen hatten, dass sie nicht wussten, womit sie anfangen sollten.

Irgendwann brach sie den Bann dann doch wieder: „Ich möchte mit Chris Schluss machen" „Liebst du ihn nicht mehr?", er biss sich auf die Lippe, ein weiterer Satz auf der Liste der Dinge, die er nicht hätte sagen oder fragen sollen.

„Schon lange nicht mehr", erklärte sie, „Klar, ich sag das immer und ich versuch es mir selbst einzureden, aber es ist unmöglich Chris zu lieben, ohne ihn irgendwann zu hassen." Konnte man ihn auch nicht lieben, ohne ihn zu hassen? War das der Grund warum alle Mädchen immer mit ihm Schluss gemacht hatten? Weil man ihn nicht lieben konnte?

„Mein Leben ist weitergegangen ohne ihn", sie lächelte traurig und kuschelte sich in seinen Arm. Es war halb elf, als er sich wieder auf den Weg nach Hause machte. Er roch noch immer ihr Parfüm und spürte ihre Berührungen auf seiner Haut. Es war nichts gelaufen und doch viel zu viel.

FinjaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt